Um die Vermutung des § 476 BGB zu widerlegen, muss der Kfz-Verkäufer den vollen Beweis dafür führen, dass der Mangel (hier: eine Beschädigung des Zahnriemens) bei Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer noch nicht vorgelegen hat.
OLG Koblenz, Urteil vom 24.02.2011 – 2 U 261/10
Sachverhalt: Der Kläger verfolgt gegenüber dem Beklagten Schadenersatzansprüche aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag über einen Pkw.
Mit Vertrag vom 19.03.2008 erwarb der Kläger von dem Beklagten, der einen Gebrauchtwagenhandel betrieb, das Fahrzeug zu einem Preis von 4.500 €. Der Pkw hatte zum Zeitpunkt der Veräußerung einen abgelesenen Kilometerstand von 144.500. Bei einem Kilometerstand von 90.000 war der Zahnriemen gewechselt worden. Dieser Umstand wurde dem Kläger seitens des Verkäufers mitgeteilt.
In der Nacht vom 11./12.05.2008 erlitt der streitgegenständliche Wagen bei einem Kilometerstand von ca. 155.000 einen Motorschaden. Nach dem von dem Kläger in Auftrag gegebenen Privatgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. H soll ein fehlerhafter Einbau des Zahnriemens die Ursache für den Schaden gewesen sein. Der Kläger hat vorgetragen, der Zahnriemen sei fehlerhaft installiert gewesen, sodass er gegen die Zahnriemenabdeckung gelaufen und dabei mit der Zeit verschlissen und beschädigt worden sei. Dieser Schaden habe mit Sicherheit schon vor Übergabe des Fahrzeugs vorgelegen.
Seine im Wesentlichen auf Zahlung von 10.572,19 € nebst Zinsen gerichtete Klage hat das Landgericht mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe nicht bewiesen, dass der Pkw bereits bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen sei. Aufgrund des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme sei das Gericht davon überzeugt, dass der Mangel nicht bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorgelegen habe, sondern erst während der Besitzzeit des Klägers aufgetreten sei.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Das Rechtsmittel hatte überwiegend Erfolg.
Aus den Gründen: II. … 1. Das Landgericht hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3 BGB i. V. mit §§ 440, 280, 281 BGB zu. Zutreffend führt das Landgericht zwar aus, dass Gewährleistungsansprüche des Klägers nur in Betracht kommen, wenn der Pkw bereits bei Übergabe an den Kläger, das heißt bei Gefahrübergang mangelbehaftet war. Da es sich um einen Verbrauchsgüterkauf i. S. des § 474 I 1 BGB handelt, findet § 476 BGB Anwendung. Bei einem Verbrauchsgüterkauf wird, wenn sich der Sachmangel innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ereignet, vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar. Da sich vorliegend der Motorschaden an dem Pkw ca. zwei Monate [nach Übergabe] ereignete, spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass der Mangel bereits bei Übergabe vorhanden war. Das Landgericht hat diese Vermutung als widerlegt angesehen.
Das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme rechtfertigt allerdings die Klageabweisung nicht. Das landgerichtliche Urteil lässt offen, von welchen Beweismaßstäben es bei der Überzeugungsbildung i. S. von § 286 ZPO ausgegangen ist. Hierfür reicht es nicht aus, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Zahnriemen erst nach Übergabe beschädigt und der Motorschaden dadurch verursacht worden ist. Für die Überzeugungsbildung i. S. von § 286 ZPO und einer „persönlichen Gewissheit“ genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 [256]; 61, 169; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl. § 286 Rn. 19).
Der vom Kläger beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. H hat in seinem Privatgutachten vom 12.06.2008, mit dem sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt hat, ausgeführt, dass er beim Ausbau der Zahnriemenabdeckung, die original einteilig sei, festgestellt habe, dass diese in der Mitte durchgetrennt gewesen sei. Der Zahnriemen sei gerissen gewesen, sodass ein Antrieb der Nockenwelle nicht mehr möglich gewesen sei. Der Zahnriemen sei seitlich stark verschlissen gewesen. Im gesamten Bereich des Zahnriemenantriebs hätten sich Materialablagerungen gefunden. Bei der weiteren Prüfung sei dann festgestellt worden, dass die Spannrolle ein abnormales Lagerspiel aufweise. Bedingt durch die ausgeschlagene Lagerung der Spannrolle sei der Zahnriemen im Laufe der Zeit langsam aber stetig gegen die Zahnriemenabdeckung gedrückt worden und habe dort anlaufen können. Hierdurch sei im Laufe der Zeit ein Verschleiß an der Abdeckung als auch an dem Zahnriemen entstanden. Die Art des Verschleißens des Zahnriemens und die Beschädigung an der Zahnriemendeckung sowie Materialablagerungen im gesamten Zahnriemenantriebsbereich zeige, dass die Schadensursache schon länger zurückliege. Es sei sachverständigenseits zwingend davon auszugehen, dass die Schadensursache, die das Schieflaufen des Zahnriemens verursacht habe, mit Sicherheit schon vor Übergabe des Fahrzeugs am 19.03.2008 bei einer Laufleistung von 144.500 km vorgelegen habe.
Der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. S hat die Feststellungen des Sachverständigen H in seinem Gutachten vom 14.07.2009 im Kerngehalt bestätigt. Seiner Auffassung nach war das Spannrollenspiel bzw. das Versagen der Lagerung nicht eine Folge des seitlich verschobenen Zahnriemens, sondern das Versagen des Lagers sei Ursache für das seitliche Verlaufen des Zahnriemens. Die Trennstelle an der Verkleidung stehe nicht in einem kausalen Zusammenhang mit der Ursache des Verlaufens des Zahnriemens. Der Zahnriemen sei von innen gegen die Zahnriemenabdeckung gelaufen und habe sich durch die Drehbewegung an den Zahnriemenabdeckungen aufgescheuert, sodass eine seitliche Beschädigung und der Abrieb am Zahnriemen stattgefunden hätten. Der Riss des Zahnriemens sei dadurch zu erklären, dass die Tragkraft des in der Breite nunmehr reduzierten Zahnriemens nicht mehr ausgereicht habe. Das Aufsetzen auf die Kolbenböden sei dann ein nachfolgender Schaden. Die zusätzliche Kante, wie sie durch die Trennung eingebracht worden sei, könne den Verschleiß nochmals erhöht haben. Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass das Anlaufen des Zahnriemens gegen die Zahnriemenabdeckung und der dadurch entstandene Abrieb bis hin zur Zerstörung des Zahnriemens im Ansatz bereits seit über 11.000 km vorgelegen haben kann. Zuerst komme es über einen längeren Zeitraum zu einem leichten Kontakt, der gegebenenfalls durch eine Taumelbewegung der Spannrolle ein Lösen des Zahnriemens von der Verkleidung bewirkt haben könne. Erst in der Schlussphase der Zerstörung expotenziere sich das Schadensbild. Es lasse sich jedoch technisch fundiert nicht ableiten, ob der Schnitt auch schon vor dem Kaufzeitpunkt gewesen sein könne oder eine Manipulation nach dem Kauf durchgeführt worden sei. Es könne nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass ein Fahrer und Nutzer des Fahrzeugs die Geräusche wahrnehme. Konkret wahrnehmbar seien aber diese Geräusche, wenn man den Motorraum bei laufendem Motor öffne oder unmittelbar vor dem Fahrzeug bei laufendem Motor stehe. Der Sachverständige S folgte hinsichtlich der Schadensfeststellungen und der Bewertung jedoch in der Tendenz dem Gutachten H, wonach der Verschleiß der Spannrolle und Schieflaufen des Zahnriemens bereits 11.000 km vor Schadenseintritt stattgefunden habe. Ursächlich für den Schaden sei das Versagen der Spannrolle gewesen. Das Auflaufen und anschließende Reißen des Zahnriemens sei eine Folge eines Lagerschadens der Spannrolle gewesen. Technisch lasse sich nicht ausschließen, dass hier bereits vor 11.000 km ein Schaden im Ansatz im Lagerbereich der Spannrolle vorgelegen und somit der Zahnriemen seine konkrete Fluchtung verlassen habe und gegen die Abdeckung gelaufen sei.
Das Landgericht hat die Feststellungen des Sachverständigen (verkürzt) dahin gehend interpretiert, dass sachverständigenseits nicht sicher geklärt werden könne, ob bereits vor oder nach Übergabe die Zahnriemenabdeckung getrennt gewesen sei. Es sei jedenfalls nicht auszuschließen, dass der Zahnriemen über eine Fahrstrecke von 11.000 km, die der Kläger mit dem Pkw zurückgelegt habe, an der Abdeckung geschliffen habe.
Das Landgericht hat in Verbindung mit der Aussage des Zeugen A die Vermutung (§ 476 BGB), dass der Schaden bereits bei Übergabe des Fahrzeugs vorgelegen habe, als widerlegt angesehen. Das Landgericht hat seine Überzeugungsbildung darauf gestützt, der Zeuge A, der Kfz-Meister sei, habe bei der Überprüfung des Pkw nicht feststellen können, dass irgendein Schaden am Zahnriemen gewesen sei. Als er den Motor in Augenschein genommen habe, sei die Abdeckung aus Plastik nicht durchtrennt gewesen. Er habe beim Laufenlassen des Motors ein derartiges Geräusch, das durch ein defektes Lager hervorgerufen worden sein könne, nicht gehört. Das Landgericht schlussfolgerte, dass der Zeuge bei Vorliegen eines Schadens ein solches Geräusch aber hätte hören müssen.
Unter Berücksichtigung des objektiven Aussagegehalts der Aussage des Zeugen A lässt sich diese Bewertung nicht rechtfertigen. Der Zeuge A hat zwar zu Beginn seiner Aussage ausgesagt, dass er den Pkw vor dem Verkauf überprüft habe. Hatte der Zeuge A zu Beginn seiner Vernehmung keine Erinnerung, wann ihm der Pkw vorgestellt worden sei, glaubte er sich am Ende seiner Vernehmung daran erinnern zu können, dass er das Fahrzeug im März 2008 überprüft habe, weil es sich bei dem Pkw um einen Kia Carnival gehandelt habe. Solche Fahrzeuge habe er nicht so oft in seiner Werkstatt. Ob er eine HU-Abnahme gemacht habe, wusste der Zeuge nicht. Unterlagen waren nicht vorhanden. Da dem Zeugen nach seinen eigenen Bekundungen eine Vielzahl von Fahrzeugen des Beklagten vorgestellt werden, damit er diese überprüfen und gegebenenfalls reparieren kann, ist nicht auszuschließen, dass der Zeuge dieses Fahrzeug mit einem anderen Fahrzeug der Marke Kia verwechselt hat. Dafür spricht, dass die Angaben des Zeugen hinsichtlich des Schadensbildes im Verlaufe seiner Aussage wechselhaft waren. Hat der Zeuge A zu Beginn noch bekundet, er habe einen Schaden am Zahnriemen nach Kontrolle desselben bzw. Lager nicht feststellen können und keinen Riss in der Abdeckung bemerkt, hat er später eingeräumt, dass er den Motorblock nicht geöffnet und sich lediglich die Abdeckung des Zahnriemens angeschaut habe. Eine Kontrolle des Zahnriemens und der Spannrolle habe er nicht vorgenommen. Er habe kein Geräusch eines defekten Lagers gehört.
Auf Grund des objektiven Aussagegehalts der Bekundungen des Zeugen ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Schaden an dem Zahnriemen und des Spannrollenlagers erst während der Besitzzeit des Klägers eingetreten ist. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, warum der Kläger, dem zugesichert worden war, dass der Zahnriemen bei 90.000 km erneuert worden sei, Manipulationen an dem Zahnriemen bzw. der Zahnriemenabdeckung vorgenommen haben sollte. Möglicherweise beruht der Schaden darauf, dass beim Zahnriemenwechsel bei 90.000 km die Spannrolle und die vier Umlenkrollen nicht gewechselt worden sind.
Der Beklagte ist beweispflichtig dafür, dass zum Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs der Mangel noch nicht vorgelegen hat. Der Beklagte hat für den Beweis des Gegenteils den Vollbeweis nach § 292 ZPO zu führen. Er hat die Vermutungsregel des § 476 BGB nicht widerlegt (vgl. hierzu Martis, MDR 2010, 841 ff.; BGH, Urt. v. 29.03.2006 – VIII ZR 173/05, BGHZ 167, 40 = MDR 2006, 1271; OLG Celle, Urt. vom 04.08.2004 – 7 U 30/04, NJW 2004, 3566 = MDR 2005, 207). Der Beklagte hat den Mangel an dem Pkw auch zu vertreten (vgl. Faust, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 437 Rn. 91). Er hat die Verschuldensvermutung des § 280 I 2 BGB nicht widerlegt. Einer Fristsetzung zur Nacherfüllung bedurfte es nicht, weil der Beklagte jede Nacherfüllung verweigert (§§ 440 Satz 1, 281 II BGB).
2. Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger den durch den Motorschaden entstandenen Schaden zu ersetzen.
Der Kläger macht, gestützt auf das Privatgutachten H, Reparaturkosten von 5.114,24 € netto geltend. Der Schaden ist noch nicht repariert worden. Der Beklagte beanstandet zu Recht, dass diese Nettokosten deutlich über dem Wiederbeschaffungswert des Pkw liegen. Da der Kläger den Pkw bislang nicht repariert hat, kann er derzeit nur Ersatz der Kosten in Höhe des Wiederbeschaffungswerts, das heißt in Höhe von 4.500 € verlangen. Zwar kann ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten und des möglichen Minderwerts im Falle einer vollständigen und fachgerechten Reparatur auch dann bestehen, wenn diese höher sind als der Wiederbeschaffungswert. Allgemein ist eine 130 %-Grenze des Wiederbeschaffungswerts anerkannt (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 249 Rn. 27; § 251 Rn. 7). Der Anspruch auf Integritätszuschlag besteht aber nur, wenn die Reparatur fachgerecht und in dem Umfang durchgeführt wird, wie sie Grundlage der Schätzung des Sachverständigen war (BGH, NJW 2005, 1108; 2007, 2917). Es besteht kein Integritätszuschlag, wenn der Geschädigte den Schaden fiktiv berechnet (BGH, NJW 1992, 1618; Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 249 Rn. 27). Falls der Kläger den Pkw repariert, kann er die Gesamtreparaturkosten bis zur 130 %-Grenze des Wiederbeschaffungswerts inkl. MwSt. (5.850 €) geltend machen.
Des Weiteren kann der Kläger als Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Sachverständigenkosten für die Einholung des Privatgutachtens in Höhe von 957,95 € geltend machen. Diese Position hat der Beklagte nicht bestritten.
Der Kläger macht einen Nutzungsausfallschaden für den Zeitraum von Juni bis August 2008 in Höhe von 30 Tagen × 50 € – mithin 1.500 € pro Monat –, demnach 4.500 € geltend. Nach Auffassung des Senats verstößt die Geltendmachung dieses Nutzungsausfallschadens gegen die Schadensminderungspflicht des Klägers (§ 254 II BGB). Der Kläger hat den Beklagten mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 26.06.2008 unter Beifügung des Gutachtens H mitgeteilt, dass er die Instandsetzung des Fahrzeugs veranlassen werde und dass dadurch erhebliche Kosten entstehen. Da der Kläger wusste, dass der Beklagte nicht bereit war, in die Rückabwicklung des Kaufvertrags einzuwilligen, hätte er spätestens Ende Juni 2008 die Reparatur in Auftrag geben oder sich ein Ersatzfahrzeug beschaffen müssen. Der Senat hält lediglich den Ansatz eines Nutzungsausfallschadens für einen Monat für gerechtfertigt. Danach steht dem Kläger ein Ersatzanspruch in Höhe von 1.500 € zu …