1. Es stellt einen Sachmangel dar, der den Käufer eines neuen VW Golf VI zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigen kann, wenn in den Türbereich des Fahrzeugs Wasser eindringt und dies bei Frost dazu führen kann, dass die Türen und Seitenscheiben einfrieren und sich allenfalls schwer öffnen lassen.
  2. Auch fahrzeugtypische Konstruktionsmängel („Serienfehler“) sind Sachmängel, wenn das Fahrzeug durch diese konstruktive Schwäche dem Qualitätsstandard vergleichbarer Fahrzeuge und damit der Markterwartung nicht entspricht. Vergleichsmaßstab ist der herstellerübergreifende Entwicklungsstand aller vergleichbaren Fahrzeuge.

LG Kassel, Urteil vom 04.08.2010 – 6 O 778/10

Sachverhalt: Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung des Kaufs eines fabrikneuen Pkw wegen verschiedener Sachmängel.

Sie erwarb von der Beklagten aufgrund einer verbindlichen Bestellung vom 24.02.2009 einen VW Golf VI. Die Beklagte lieferte das Fahrzeug am 16.06.2009 an die Klägerin aus, die den mit Rechnung vom selben Tag geforderten Kaufpreis (15.235 €) beglich.

Als die Klägerin nach einem größeren Regenschauer vom 20.08.2009 die Türen des Fahrzeugs am 22.08.2009 öffnete, stellte sie fest, dass sich im Türbereich Wasser gesammelt hatte, welches zum Teil beim Öffnen der Türen herauslief. Nachdem sich dieser Missstand bei weiteren Regenfällen erneut gezeigt hatte, schilderte die Klägerin dies dem Kfz-Meister K der Beklagten und bat um Abhilfe.

Als die Klägerin das in der Werkstatt der Beklagten verbliebene Fahrzeug am 26.08.2009 abholen wollte, teilte der Kfz-Meister K ihr mit, dass nach schriftlicher Auskunft des Herstellerwerks dort angeblich keine ähnlichen Mängel und auch keine Vergleichsfälle bekannt seien. Als sich die Klägerin mit E-Mail vom 27.08.2009 an die VW-kundenbetreuung wandte, teilte man ihr mit, man habe ihr Anliegen in die Hände ihres VW-Partners gelegt. sollte dieser aus welchen Gründen auch immer an seinen Grenzen stoßen, habe er die Möglichkeit, sich Expertenrat vom Hersteller zu holen. Man werde ihn nach Kräften unterstützen.

Daraufhin führten im Auftrag der Klägerin deren Sohn S mit dem Mitarbeiter M der Beklagten ein Gespräch zwecks Vereinbarung weiterer Lösungsschritte. Mit Schreiben vom selben Tag erhob die Klägerin gegenüber der Beklagten eine ausführliche Mängelrüge und forderte die Beklagte zur Nacherfüllung bis zum 16.09.2009 auf. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 15.09.2009 mit, nach einer „exakten technischen Begutachtung und Rücksprache mit dem Hersteller“ sei bestätigt worden, „dass es sich hier um den Stand der Serie handelt“ und demnach eine Nacherfüllung nicht erfolgen werde.

Mit Schreiben vom 17.09.2009 setzte die Klägerin der Beklagten eine letzte Nachfrist zur Mängelbeseitigung bis zum 30.09.2009, die allerdings erfolglos verstrich. Daraufhin beantragte die Klägerin unter dem 23.11.2009 die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens.

Sie musste feststellen, dass bei winterlichen Temperaturen bedingt durch die eingedrungene Nässe die Fensterscheiben regelmäßig einfrieren und sich nicht mehr öffnen lassen und auch die Türen des Pkw nicht oder nur unter großer Gewaltanwendung geöffnet werden können. Als die Klägerin dies am 14.12.2009 einem Mitarbeiter der Beklagten mitteilte, gab dieser lediglich den Hinweis, wenn die Fahrzeugtüren eingefroren seien, sollten diese nicht mit zu großer Gewalt geöffnet werden, da ansonsten die Türgriffe Schaden nehmen und eventuell sogar abreißen könnten. Die klägerin solle das Fahrzeug am besten in eine beheizte Garage stellen.

Nach Vorlage des Gutachtens im selbstständigen Beweisverfahren durch den Sachverständigen erklärte der spätere Prozessbevollmächtigte der klägerin mit Schreiben vom 04.03.2010 gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Mit der am 28.05.2010 zugestellten Klage hat die Klägerin zuletzt im Wesentlichen beantragt die Beklagte zu verurteilen, an sie 15.235 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe des Pkw zu zahlen. Die Klage hatte zum größten Teil Erfolg.

Aus den Gründen: Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 15.235 € Zug um Zug gegen Rückgabe des gelieferten Pkw gem. §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 346 ff. BGB.

Der von der Beklagten gelieferte Pkw ist mangelhaft.

Ist – wie hier – bei Abschluss des Vertrags eine Beschaffenheit nicht vereinbart, und setzt auch der Vertrag eine bestimmte Verwendung der Sache nicht voraus, so ist diese frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB). Vergleichsmaßstab ist damit die Üblichkeit bei Sachen gleicher Art. Maßgeblich sind nicht ausschließlich die gleichen Produkte desselben Herstellers, sondern vielmehr der Entwicklungsstand aller vergleichbaren Gegenstände auch anderer Hersteller. Eine Beschränkung der Gewährleistung auf den Standart des Herstellers für seine Produkte würde demgegenüber bedeuten, dass für Konstruktions- oder Fertigungsfehler einer ganzen Serie keine Gewährleistung besteht. Auch fahrzeugtypische Konstruktionsmängel (sogenannte Serienfehler) sind Sachmängel, wenn der Kaufgegenstand durch diese konstruktive Schwäche dem Qualitätsstandard vergleichbarer Produkte und damit der Markterwartung nicht entspricht. Bei Kraftfahrzeugen ist Vergleichsmaßstab der Entwicklungsstand aller in dieser Fahrzeugklasse vergleichbaren Fahrzeuge (OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.06.2005 – I-3 U 12/04; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.08.2006 – 10 U 84/06; OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.04.2007 – I-1 U 252/06; sämtlich zitiert nach juris).

Der Sachverständige Dipl-Ing. I hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 26.02.2010 im selbstständigen Beweisverfahren … festgestellt, dass sich bei feuchter Witterung Wasser in den Türen des streitbefangenen Pkw sammeln und auch zwischen der äußeren und inneren Türdichtung auf dem Einstiegsblech teilweise „eingeschlossen“ werden kann, welches sodann beim Öffnen der Türen wieder abläuft. Darüber hinaus kann sich bei feuchter Witterung auch Wasser in den Fensterführungen der Türrahmen sammeln und bei Frosttemperaturen dazu führen, dass sich die Scheiben nicht mehr öffnen lassen. Ebenso kann auch in den Türrahmen eingedrungene Feuchtigkeit bei Frosttemperaturen zum Einfrieren der Türen bzw. zur Schwergängigkeit beim Öffnen der Türen führen. Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen handelt es sich dabei um einen konstruktionsbedingten Serienzustand dieses Fahrzeugsmodells.

Das Gericht folgt in vollem Umfang den in sich widerspruchsfreien, schlüssigen und von Sachgründen getragenen Feststellungen des Sachverständigen, der dem Gericht seit vielen Jahren als zuverlässig, gründlich und von hoher Sachkunde geprägt bekannt ist.

Bei dem vom Sachverständigen geschilderten Serienzustand des VW Golf VI handelt es sich um einen Sachmangel. Es entspricht nicht der Markterwartung, dass bei einem Kraftfahrzeug der Preisklasse eines VW Golf VI in den Türbereich eindringendes Wasser bei Frosttemperaturen dazu führen kann, dass die Türen einfrieren bzw. sich wegen des Einfrierens nur schwer und die Scheiben in den Türen gar nicht mehr öffnen lassen. Der Käufer eines Neuwagens der Klasse eines VW Golf VI erwartet zu Recht, dass er sein Fahrzeug bei winterlichen Temperaturen im Freien parken und anschließend uneingeschränkt nutzen kann, was selbstverständlich ein leichtes Öffnen der Türen und natürlich auch das Öffnen der Fenster einschließt.

Die Klägerin hat mehrfach unter Fristsetzung erfolglos Beseitigung dieser Mängel von der Beklagten begehrt und schließlich wirksam den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt.

Der Rücktritt ist auch nicht etwa wegen einer unerheblichen Pflichtverletzung i. S. des § 323 V 2 BGB ausgeschlossen. Es ist gerade nicht unerheblich, wenn sich im Winterhalbjahr in Mitteleuropa die Türen eines Fahrzeugs der Klasse eines VW Golf VI, welches nicht in einer geheizten Garage geparkt wird, nicht oder nur schwer und wenn sich die Fenster überhaupt nicht öffnen lassen. Im Übrigen trägt der Beklagte als Verkäufer die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 10. Aufl., Rn. 545). Diesbezüglich fehlt jeglicher Vortrag der Beklagten.

Die Beklagte hat demnach den von der Klägerin gezahlten Kaufpreis von 15.235 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw zu erstatten.

Grundsätzlich muss sich die Klägerin zwar den Wert der von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Allerdings ist es Sache des Verkäufers, diese Nutzungen im Falle des Rücktritts geltend zu machen – was die Beklagte nicht getan hat. Eine automatische Saldierung oder Verrechnung findet nicht statt (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 636).

Schließlich hat die Beklagte auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Klägerin einschließlich der Zinsen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verzugs zu tragen, allerdings der Höhe nach nur entsprechend einem Gegenstandswert von 15.235 €, weil die Klage nur in dieser Höhe Erfolg hat …

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