Bei einem Neufahrzeug ist ein gegenüber den Prospektangaben festzustellender Kraftstoffmehrverbrauch von 3,03 % im gewichteten Gesamtverbrauch unerheblich i. S. von § 323 V 2 BGB und rechtfertigt deshalb keinen Rücktritt vom Kaufvertrag.
LG Ravensburg, Urteil vom 06.03.2007 – 2 O 297/06
Sachverhalt: Der Kläger bestellte bei der Beklagten am 05.03.2005 einen Pkw. Käuferin des Fahrzeugs sollte die D-Leasing GmbH sein. Mit dieser Gesellschaft schloss der Kläger einen Leasingvertrag über das genannte Fahrzeug. Dieses wurde von der Beklagten am 11.03.2005 an den Kläger als Leasingnehmer ausgeliefert und der D-Leasing GmbH als Erwerberin und Leasinggeberin mit dem vereinbarten Kaufpreis von 27.850 € in Rechnung gestellt. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Leasingvertrag sind sämtliche Sachmängelansprüche der Leasinggeberin gegen den Verkäufer an den Kläger als Leasingnehmer abgetreten mit der Maßgabe, dass beim Rücktritt vom Kaufvertrag etwaige Zahlungen des Verkäufers direkt an den Leasinggeber zu leisten sind.
Dem Kläger lag vor der Fahrzeugbestellung ein Verkaufsprospekt für das genannte Fahrzeug vor. In diesem Prospekt ist als Kraftstoffverbrauch (innerorts/außerorts/kombiniert, jeweils in l/100 km) angegeben „Super Plus Bleifrei – 13,2/8,2/9,9“.
Eine Fußnote zu dieser Verbrauchsangabe lautet wie folgt:
„Die angegebenen Werte wurden nach dem vorgeschriebenen Meßverfahren (Richtlinie 80/1268/EWG in der gegenwärtig geltenden Fassung) ermittelt. Die Angaben beziehen sich nicht auf ein einzelnes Fahrzeug und sind nicht Bestandteil des Angebots, sondern dienen allein Vergleichszwecken zwischen verschiedenen Fahrzeugen.“
Schon wenige Monate nach der Fahrzeugübergabe beklagte der Kläger einen überhöhten Treibstoffverbrauch des Fahrzeugs. Zwei Abhilfeversuche der Beklagten brachten keine Veränderung. Nach fruchtloser Fristsetzung erklärte der Kläger schließlich den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Seine Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Dem Kläger steht ein Rücktrittsrecht nicht zu.
1. Die Verbrauchsangaben im Prospekt sind nicht wegen des relativierenden Fußnotenzusatzes für das individuelle Vertragsverhältnis zwischen Verkäufer und Käufer unbeachtlich. Trotz eines solchen Fußnotenzusatzes kann und darf der Käufer eines Produktes aus industrieller Serienfertigung eine derartige Prospektangabe zumindest dahin gehend verstehen, dass auch das konkret von ihm erworbene Produkt (hier: Fahrzeug) jedenfalls bei der Prüfstandsmessung, wie sie auch der Prospektangabe zugrunde liegt, die angegebenen Werte einzuhalten vermag.
2. Der erworbene Pkw weist einen Sachmangel i. S. von § 434 BGB auf.
Nach § 459 I 2 BGB a.F. war eine Abweichung der Istbeschaffenheit der Kaufsache von der vertraglichen Sollbeschaffenheit gewährleistungsrechtlich nicht relevant, wenn eine nur unerhebliche Minderung der Tauglichkeit vorlag. Bezogen hierauf hat der BGH einen Kraftstoffmehrverbrauch von bis zu 10 % gegenüber den Herstellerangaben als unerheblich angesehen (BGH, Urt. v. 14.02.1996 – VIII ZR 65/95, BGHZ 132, 55; Urt. v. 18.06.1997 – VIII ZR 52/96, NZV 1997, 398).
Nach der durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vorgenommenen Neuregelung gibt es für die Frage, ob ein Sachmangel vorliegt oder nicht, kein Erheblichkeitskriterium mehr. Ein im vorgeschriebenen Prüfstandstestverfahren festgestellter Kraftstoffmehrverbrauch stellt deshalb bereits dann einen Sachmangel dar, wenn er jenseits desjenigen Toleranzbereichs liegt, der durch Fertigungstoleranzen und unvermeidbare Ungenauigkeiten der Verbrauchswertemessung vorgegeben ist (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Auf. 2005, Rn. 251);
ob mit Blick auf die Überlassung des Herstellerprospekts durch den Verkäufer auf § 434 I 1 BGB oder aber § 434 I 2 Nr. 2 BGB i. V. mit § 434 I 3 BGB abzustellen ist, kann dahinstehen.
Für die Frage der Mangelhaftigkeit ist – jedenfalls dann, wenn der gemessene Verbrauch nicht bei einer der beiden Teilprüfungen (innerorts/außerorts) einen ganz eklatanten Mehrverbrauch ergibt (wie etwa im Fall OLG München, Urt. v. 16.12.1986 – 13 U 4562/86, NJW 1987, 3012) – allein auf den gewichteten Gesamtverbrauch abzustellen (so für die frühere Normvorgabe „Euro-Mix“: BGH, Urt. v. 18.06.1997 – VIII ZR 52/96, NZV 1997, 398). Die aufgrund des Messverfahrens unvermeidbar hinzunehmende Toleranz beläuft sich nach den Angaben des erfahrenen Sachverständigen U auf 1,5–2 %; dafür, dass das Fertigungsverfahren noch größere Toleranzen unausweichlich mit sich bringe, ist nichts ersichtlich. Der Mehrverbrauch von 3,03 % im gewichteten Gesamtverbrauch beim vorliegenden Fahrzeug stellt sich deshalb als Mangel dar.
3. Dem Kläger steht gleichwohl kein Rücktrittsrecht zu, weil der Sachmangel i. S. von § 323 V 2 BGB unerheblich ist.
Das reformierte Schuldrecht hat zwar das Erheblichkeitskriterium, wie es nach § 459 I 2 BGB a.F. für die Feststellung des Mangels an sich galt, fallen gelassen. Durch die Vorschrift des § 323 V 2 BGB ist jedoch sichergestellt, dass wegen nur unerheblicher Mängel jedenfalls kein Rücktritt vom Kaufvertrag erfolgen darf. Zur Frage, nach welchen Kriterien im Einzelnen die Frage der Erheblichkeit nach dieser Vorschrift zu bestimmen ist, ist im Einzelnen noch vieles streitig; insbesondere stellt sich hier die Frage, inwieweit auf die zu § 459 I 2 BGB a.F. ergangene Rechtssprechung zurückgegriffen werden kann. Speziell hinsichtlich der Frage des Kraftstoffmehrverbrauchs werden unterschiedliche Positionen vertreten: Zum Teil heißt es unter Bezugnahme auf die oben zitierte (zum alten Recht ergangene) BGH-Rechtsprechung, ein Kraftstoffmehrverbrauch bis zu 10 % oder gar 15 % sei unerheblich (Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. [2007], § 437 Rn. 23); zum Teil heißt es, dass der 10 %-Grenzwert der alten Rechtsprechung mit Rücksicht auf das gestiegene Umweltbewusstsein und die entsprechende Zielsetzung der europarechtlichen Vorgaben für die Kennzeichnung des Treibstoffverbrauchs wohl herabzusetzen sei (Schmidt, NJW 2005, 329, 332; MünchKomm-BGB/Westermann, 4. Aufl. [2004], § 437 Rn. 12; BeckOK-BGB/Faust, Stand: 01.03.2006, § 437 Rn. 26). Veröffentlichte Rechtsprechung zu dieser Frage auf der Grundlage des neuen Schuldrechts ist nicht ersichtlich.
Entscheidend erscheint dem Gericht der Blick darauf, an welcher Stelle des Gewährleistungsrechts und mit welchen Rechtsfolgen die Erheblichkeitsschwelle vom Gesetzgeber nach altem Recht angesiedelt war und was die Schuldrechtsreform insoweit geändert hat. Nach altem Recht war bei Unerheblichkeit der Tauglichkeitsminderung bereits ein Sachmangel nicht gegeben; dem Käufer standen von vornherein keinerlei Gewährleistungsrechte zu. Nach neuem Recht dagegen ist gänzlich unabhängig von der Erheblichkeitsfrage eine vertragswidrige Beschaffenheitsabweichung als Mangel zu qualifizieren, dem Käufer steht ein Nacherfüllungsanspruch in seinen verschiedenen Ausprägungen zu; die Prüfung der Erheblichkeit des Mangels (technisch spricht § 323 V 2 BGB von der „Pflichtverletzung“) hat der Gesetzgeber lediglich für die (bezogen auf das Schicksal des Vertrags an sich) weitestreichende Rechtfolge, nämlich das Rücktrittsrecht, vorgesehen. Dies spricht dafür, die Erheblichkeitsschwelle bei § 323 V 2 BGB deutlich höher anzusetzen als bei § 459 I 2 BGB a.F. (ebenso OLG Bamberg, Urt. v. 10.04.2006 – 4 U 295/05, DAR 2006, 456; ausführlich hierzu MünchKomm-BGB/Ernst, 4. Aufl. [2003], § 323 Rn. 243).
Ein gegenüber den Prospektangaben festzustellender Kraftstoffmehrverbrauch von 3,03 % im gewichteten Gesamtverbrauch ist deshalb unerheblich i. S. von § 323 V 2 BGB und rechtfertigt keinen Rücktritt vom Kaufvertrag.
II. Auch das Minderungsbegehren des Klägers bleibt erfolglos.
1. Wegen der Feststellung eines Mangels wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen. Das Minderungsrecht des Käufers setzt nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 441 I 2 BGB eine wie immer geartete Erheblichkeit des Mangels nicht voraus.
2. Der aus dem Prüfprotokoll sich ergebende Mehrverbrauch des streitgegenständlichen Fahrzeugs hat jedoch keine Wertminderung des Fahrzeugs zur Folge, sodass eine Kaufpreisherabsetzung nach § 441 III BGB nicht infrage kommt.
a) Zu dieser Feststellung bedurfte es nicht der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Die Parteien haben ausdrücklich dem Gericht die Schätzung, ob überhaupt und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Minderwert festzustellen sei, überlassen (vgl. auch § 441 III 2 BGB) .
b) Ab welchem Ausmaß eines festgestellten Kraftstoffmehrverbrauches ein Minderwert anzunehmen sein wird …, kann hier dahinstehen. Jedenfalls für den hier festgestellten Mehrverbrauch von 3,03 % liegt beim hier betroffenen Fahrzeugtyp ein Minderwert nicht vor.
Zum einen liegt der festgestellte Wert nur sehr knapp jenseits des Toleranzbereichs, wie er allein schon durch das Messverfahren bedingt ist (+1 %/−2 %).
Zum anderen kommt hier der eingeschränkte Zweck der Verbrauchsangaben im Prospekt entsprechend der dortigen Fußnote zum Tragen. Die nach dem vorgeschriebenen Prüfstandsverfahren ermittelten Werte sollen dem Käufer einen Vergleich zwischen verschiedenen Fahrzeugen ermöglichen. Solange aber die Durchschnittsverbrauchswerte bei Personenkraftwagen unterschiedlichster Art zwischen, grob gesagt, 5 l/100 km und 20 l/100 km variieren, ist nicht nur die Zuordnung eines Fahrzeugs zur entsprechenden Verbrauchsgrößenordnung letztlich unabhängig davon, ob 9,9 l/100 km oder 10,2 l/100 km verbraucht werden; es kann auch nicht angenommen werden, dass auf dem allgemeinen Fahrzeugmarkt ein Neufahrzeug anstelle von 27.850 € allein aufgrund einer so minimalen Differenz gleich weniger wert sein soll. Für jeden umwelt- und folgekostenbewussten Käufer ist der hier betroffene Fahrzeugtyp allein schon aus den Prospektangaben als außerordentlich wenig sparsames Fahrzeug erkennbar.
Schließlich und vor allem ist auf die Besonderheit des Messverfahrens abzustellen.
Nach den eindrücklichen Darlegungen des Sachverständigen bildet der von der EU-Norm vorgeschriebene Fahrzyklus, wie er auf dem Prüfstand zu simulieren ist, gerade nicht ein durchschnittliches, gleichsam „normales“ Fahrverhalten ab. Insbesondere die jeweiligen Beschleunigungswerte werden nur bei außergewöhnlich zurückhaltender Fahrweise erreicht und wären etwa bei einer Verkehrsunfallkonstruktion als unrealistisch niedrig auszuklammern . Die tatsächlich von den Fahrzeughaltern festgestellten Verbrauchswerte liegen demnach praktisch immer deutlich über den Herstellerangaben, die auf der genormten Prüfstandsmessung beruhen. Das Ausmaß des tatsächlichen Mehrverbrauchs hängt dabei von verschiedensten Faktoren ab (Fahrweise; Bereifung/Luftdruckkontrolle; Zuschaltung ergänzender Verbraucher im Bereich Komfort und Sicherheit – Klimaanlage, Abblendlicht bei Tag, Musikanlage und dergleichen).
Beim hier betroffenen Fahrzeugtyp kommt dem Faktor Fahrverhalten besondere Bedeutung zu: Wer einen Pkw mit Turbomotor kauft, wird im Alltag eher selten so gemächlich beschleunigen, wie es der Prüfstands-Fahrzyklus vorsieht; der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass man gerade bei einem Turbo-Benzinmotor sehr leicht besonders hohen Kraftstoffverbrauch feststellt, wenn man dessen besondere Beschleunigungs- bzw. Durchzugsmöglichkeiten auch entsprechend nutzt. Auch vor diesem Hintergrund hält das Gericht es für ausgeschlossen, dass der allgemeine Fahrzeugmarkt den Wert eines Fahrzeugs, wie es hier streitgegenständlich ist, deshalb niedriger ansetzt, weil es in einem genormten Prüfstandsverfahren von durchaus eingeschränktem Realitätsbezug die vorgegebenen Werte um 3,03 % übersteigt.
Ob der Kläger im Falle eines etwaigen Weiterverkaufs des Fahrzeugs auf das eingeholte Gutachten hinzuweisen hat oder nicht, ist nach alledem unerheblich, weil – wie dargelegt – der Markt den denkbar geringfügigen Mehrverbrauch bei standardisierter Prüfstandsmessung gar nicht bei der Wertschätzung des Fahrzeugs berücksichtigt. …