Ein Ge­braucht­wa­gen­käu­fer darf re­gel­mä­ßig da­von aus­ge­hen, dass ei­ne oh­ne Ein­schrän­kung ge­mach­te Ki­lo­me­ter­an­ga­be sich auf die für ihn maß­geb­li­che Ge­samt­fahr­leis­tung des Fahr­zeugs be­zieht. Ist dem Ver­käu­fer die er­heb­li­che Ab­wei­chung zwi­schen der tat­säch­li­chen Lauf­leis­tung des Fahr­zeugs und den Ta­chostand be­kannt, muss er grund­sätz­lich auch un­ge­fragt dar­über auf­klä­ren.

OLG Köln, Ur­teil vom 13.03.2007 – 22 U 170/06

Sach­ver­halt: Der Klä­ger er­warb im Ja­nu­ar 2005 von dem Be­klag­ten, der ei­nen Han­del mit ge­brauch­ten Sport­wa­gen nebst Werk­statt be­treibt, ei­nen da­mals 14 Jah­re al­ten Por­sche zum Kauf­preis von 15.968 €. Der Kauf­ver­trag ent­hält ei­nen for­mu­lar­mä­ßi­gen Ge­währ­leis­tungs­aus­schluss für Män­gel, Ki­lo­me­tersttand und frü­he­re Un­fall­schä­den. Der Klä­ger er­klär­te im Mai 2005 we­gen ei­ner Rei­he von Sach­män­geln den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag und lei­te­te ein Be­weis­ver­fah­ren ein, in dem zahl­rei­che Män­gel des Fahr­zeugs und un­sach­ge­mäß re­pa­rier­te Un­fall­schä­den fest­ge­stellt und In­stand­set­zungs­kos­ten von 13.500 € er­mit­telt wur­den.

Das Land­ge­richt hat die Kla­ge, mit der der Klä­ger die Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­trags be­gehrt, ab­ge­wie­sen. Die ge­gen die­ses Ur­teil ge­rich­te­te Be­ru­fung hat­te Er­folg.

Aus den Grün­den: II. … 1. Der Klä­ger ist je­den­falls des­halb zum Rück­tritt ge­mäß §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 326 V BGB be­rech­tigt, weil das von ihm ge­kauf­te Ge­braucht­fahr­zeug ei­ne um über 90.000 km hö­he­re Lauf­leis­tung hat­te, als sich aus dem Stand des Ki­lo­me­ter­zäh­lers er­gab, und der Be­klag­te die­sen Um­stand ver­schwie­gen hat, ob­wohl er ver­pflich­tet war, den Klä­ger über den Ein­bau ei­nes „Tausch­ta­chos“ auf­zu­klä­ren.

a) Nach den ei­ge­nen An­ga­ben des Be­klag­ten sind in das Fahr­zeug an­läss­lich der „Zer­le­gung und Neu­la­ckie­rung“ im Jah­re 1996 bei ei­nem Ki­lo­me­ter­stand von rund 90.000 ein Aus­tausch­mo­tor und ein „Tausch­ta­cho“ ein­ge­baut wor­den. Da­nach ver­blieb das Fahr­zeug als Fir­men­wa­gen im Be­sitz des Be­klag­ten und hat die rund 68.000 km zu­rück­ge­legt, die der Ki­lo­me­ter­zäh­ler bei dem Ver­kauf des Wa­gens an den Klä­ger aus­wies. Die Ge­samt­fahr­leis­tung lag al­so im Zeit­punkt des Ver­kaufs bei rund 158.000 km und da­mit um mehr als das Dop­pel­te hö­her, als es der Ki­lo­me­ter­zäh­ler an­zeig­te.

Stimmt der Stand des Ki­lo­me­ter­zäh­lers mit der wirk­li­chen Fahr­leis­tung nicht über­ein, so liegt ein Sach­man­gel ge­mäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor, wenn der Käu­fer un­ter den kon­kre­ten Um­stän­den be­rech­tig­ter­wei­se von der Rich­tig­keit des an­ge­zeig­ten Ki­lo­me­ter­stands im Sin­ne der Ge­samt­fahr­leis­tung aus­ge­hen durf­te (Rein­king/Eg­gert, Der Au­to­kauf, 8. Aufl., Rn. 1285).

Dem Klä­ger muss­ten sich beim Kauf des Fahr­zeugs trotz des re­la­tiv ho­hen Al­ters des Fahr­zeugs auf­grund des äu­ße­ren Zu­stands kei­ne Zwei­fel an dem Ki­lo­me­ter­stand auf­drän­gen. Die Lauf­leis­tung ei­nes Sport­wa­gens muss nicht der durch­schnitt­li­chen Lauf­leis­tung ei­nes „nor­ma­len“ Ge­braucht­fahr­zeugs (durch­schnitt­lich 13.000 km p. a., vgl. Rein­king/Eg­gert, a. a. O., Rn. 1285) ent­spre­chen. Auch die Ab­nut­zung der Sit­ze gab kei­nen ver­läss­li­chen Hin­weis auf die Lauf­leis­tung ei­nes Fahr­zeugs. Selbst bei Kennt­nis des Um­stands, dass ein Aus­tausch­mo­tor ein­ge­baut wor­den war, muss­te sich dem Klä­ger nicht der Ver­dacht auf­drän­gen, dass zu­gleich ein Tausch­ta­cho ein­ge­baut wor­den war. Der Ein­bau ei­nes Aus­tausch­mo­tors kann un­ter­schied­li­che Grün­de ha­ben. Der gleich­zei­ti­ge Ein­bau ei­nes Tausch­ta­chos ist da­mit nicht zwangs­läu­fig ver­bun­den, es gibt hier­für auch kei­nen tech­ni­schen Grund. Eher dient – um­ge­kehrt – der Ein­bau ei­nes Aus­tausch­mo­tors als Ver­kaufs­ar­gu­ment, um den ab­les­ba­ren ho­hen Ki­lo­me­ter­stand zu re­la­ti­vie­ren.

b) Der Be­klag­te war zur Auf­klä­rung über die von der Ge­samt­lauf­leis­tung so er­heb­lich ab­wei­chen­de Ki­lo­me­ter­stands­an­zei­ge ver­pflich­tet, auch wenn die Par­tei­en den Ki­lo­me­ter­stand im Sin­ne ei­ner Ge­samt­lauf­leis­tung nicht aus­drück­lich in den schrift­li­chen Kauf­ver­trag auf­ge­nom­men ha­ben.

aa) Der Käu­fer ei­nes Ge­braucht­wa­gens ori­en­tiert sich bei sei­nem Kauf­ent­schluss au­ßer an dem Bau­jahr und dem Er­hal­tungs­zu­stand des Wa­gens in ers­ter Li­nie an der Ge­samt­fahr­leis­tung. Ihr misst er ge­ra­de des­we­gen ei­ne be­son­de­re Be­deu­tung zu, weil das äu­ße­re Er­schei­nungs­bild und der War­tungs­zu­stand des Wa­gens häu­fig täu­schen und ins­be­son­de­re kei­nen zu­ver­läs­si­gen Rück­schluss auf sei­ne tat­säch­li­che Ab­nut­zung zu­las­sen. Dem Kauf­wil­li­gen kommt es mit­hin, wie je­dem Ge­braucht­wa­gen­händ­ler be­kannt ist, nicht auf den je­der­zeit von ihm fest­stell­ba­ren Ta­chostand, son­dern auf die Ge­samt­fahr­leis­tung an. Dass die­se all­ge­mei­nen Er­wä­gun­gen auch auf den Klä­ger zu­tref­fen, er­gibt sich dar­aus, dass er den Rück­tritt vom Ver­trag im an­walt­li­chen Schrei­ben vom 11.05.2005 aus­drück­lich auch auf den Ver­dacht ei­ner vom Ta­chostand ab­wei­chen­den hö­he­ren Fahr­leis­tung stütz­te.

bb) Ein Ge­braucht­wa­gen­käu­fer kann re­gel­mä­ßig zu­nächst da­von aus­ge­hen, dass ei­ne oh­ne Ein­schrän­kung ge­mach­te Ki­lo­me­ter­an­ga­be sich auf die für ihn maß­geb­li­che Ge­samt­fahr­leis­tung be­zieht (BGH, NJW 1975, 1693 [1694]). Der Ver­käu­fer ei­nes Ge­braucht­wa­gens, dem die er­heb­li­che Ab­wei­chung zwi­schen tat­säch­li­cher Lauf­leis­tung und Ta­chostand be­kannt ist, muss die­sen aber grund­sätz­lich auch un­ge­fragt of­fen­ba­ren (OLG Düs­sel­dorf, OLGR 1993, 81; OLG Köln, NJW-RR 1988, 1136). Das­sel­be gilt, wenn sich der Ein­druck ei­ner er­heb­lich nied­ri­ge­ren Ge­samt­fahr­leis­tung – wie hier – aus dem Ein­bau ei­nes „Tausch­ta­chos“ er­gibt (LG Müns­ter, ZfS 1993, 409). Denn auch wenn im Kauf­recht kei­ne all­ge­mei­ne Auf­klä­rungs­pflicht des Ver­käu­fers be­steht, muss die­ser nach herr­schen­der Auf­fas­sung in Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur zu­min­dest sol­che Tat­sa­chen of­fen­ba­ren, die er­kenn­bar für den Ver­trags­ent­schluss des Käu­fers von Be­deu­tung sind und de­ren Mit­tei­lung von ihm nach den kon­kre­ten Ge­ge­ben­hei­ten des Ein­zel­falls nach Treu und Glau­ben er­war­tet wer­den kann (OLG Köln, VersR 1994, 111 m. w. Nachw.). Im vor­lie­gen­den Fall be­stand ei­ne sol­che Auf­klä­rungs­pflicht je­den­falls auf­grund der fol­gen­den Um­stän­de:

Die Ge­samt­fahr­leis­tung des ver­kauf­ten Pkw war mit rund 158.000 km mehr als dop­pelt so hoch wie der Ta­chostand. Dies wuss­te der Be­klag­te, der den Ta­cho­me­ter in sei­nem Be­trieb aus­ge­tauscht und das Fahr­zeug seit­her als Fir­men­wa­gen in Be­sitz ge­habt hat­te. Der Be­klag­te konn­te kei­ne Zwei­fel ha­ben, dass ei­ne er­heb­li­che Ab­wei­chung zwi­schen wah­rer Lauf­leis­tung und Ta­chostand ei­nen für den Kauf­ent­schluss des Klä­gers we­sent­li­chen Um­stand dar­stell­te, und dass des­halb sein Wis­sen dem Klä­ger zu of­fen­ba­ren war. Dies gilt um­so mehr, als der Be­klag­te ge­werb­li­cher Händ­ler ist und an sei­ne Auf­klä­rungs­pflich­ten hö­he­re An­for­de­run­gen zu stel­len sind als bei ei­nem Pri­vat­ver­käu­fer (Pa­landt/Wei­den­kaff, BGB, 66. Aufl., § 444 Rn. 11 m. w. Nachw.).

Die er­for­der­li­che Auf­klä­rung ist nach dem Er­geb­nis der in ers­ter In­stanz durch­ge­führ­ten Be­weis­auf­nah­me nicht er­folgt. Die ge­gen­tei­li­ge Be­haup­tung des – in­so­weit be­weis­be­las­te­ten – Be­klag­ten ist von den Zeu­gen nicht be­stä­tigt wor­den.

c) Der Be­klag­te kann sich auf den im Kauf­ver­trag ent­hal­te­nen for­mu­lar­mä­ßi­gen Ge­währ­leis­tungs­aus­schluss gem. § 444 BGB nicht be­ru­fen, weil das Ver­schwei­gen der vom Ta­chostand ab­wei­chen­den Ge­samt­lauf­leis­tung ge­gen die be­ste­hen­de Auf­klä­rungs­pflicht ver­stieß und des­halb arg­lis­tig war.

d) Der Rück­tritt ist vom Klä­ger wirk­sam er­klärt wor­den. Ei­ne Nach­er­fül­lung schei­det be­züg­lich die­ses Man­gels aus. Der Rück­tritt führt zur Rück­ab­wick­lung des Ver­tra­ges, al­so zur Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses von 15.968 € Zug um Zug ge­gen Rück­ga­be des Fahr­zeugs (§ 346 I BGB). Her­aus­zu­ge­ben­de Nut­zun­gen hat der Klä­ger nach sei­nem un­be­strit­te­nen Vor­trag nicht ge­zo­gen …

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