Ein Fahrzeug ist auch dann noch fabrikneu, wenn Herstellungsmängel vor Auslieferung des Fahrzeugs im Herstellerwerk nach den Produktionsrichtlinien des Herstellers ordnungsgemäß und ohne Verbleib einer Wertminderung beseitigt worden sind. Ein ausgeliefertes Fahrzeug kann jedoch nicht mehr als Neufahrzeug bezeichnet werden, wenn vor der Auslieferung am Fahrzeug Schäden jenseits einer gewissen Bagatellgrenze aufgetreten sind, sodass das Fahrzeug nach der Verkehrsanschauung als „Unfallfahrzeug“ bezeichnet werden muss.
LG Bonn, Urteil vom 26.09.2006 – 3 O 372/05
Sachverhalt: Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen von ihr geleasten Pkw Mercedes Benz C 230 Kompressor.
Der Ehemann der Klägerin hatte bei der Beklagten am 07.01.2005 einen Pkw Mercedes Benz C 230 Kompressor bestellt und die Neufahrzeug-Bedingungen der Beklagten anerkannt. Unter dem 08.01.2005 schloss die Klägerin mit der M-GmbH einen Leasingvertrag über eine Laufzeit von 54 Monaten und beauftragte die M-GmbH, das bereits bestellte Fahrzeug zu erwerben. In Nr. XIII der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der M-GmbH, die Inhalt des Leasingvertrages geworden sind, ist die Haftung der Leasinggeberin für Fahrzeugmängel ausgeschlossen. An deren Stelle tritt der Leasinggeber sämtliche Ansprüche hinsichtlich Sachmängeln aus § 437 BGB aus dem Kaufvertrag über das Fahrzeug, der dem Leasingvertrag zugrunde liegt, an den Leasingnehmer ab. Der Leasingnehmer verpflichtet sich, die Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen, jedoch mit der Maßgabe, dass beim Rücktritt vom Kaufvertrag etwaige Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises direkt an den Leasinggeber zu leisten sind. Aufgrund des Leasingvertrags hat die M-GmbH das Fahrzeug zu den Bedingungen aus der Bestellung vom 07.01.2005 bei der Beklagten erworben und hierfür einen Nettopreis von 33.805 € bezahlt. Umsatzsteuer ist nicht angefallen, da es sich um ein konzerninternes Geschäft handelte.
Nach einigen Verzögerungen bei der Auslieferung holte der Ehemann der Klägerin das Fahrzeug am 17.03.2005 beim Werk der Beklagten ab. Nach Rückkehr aus einem Kurzurlaub bemerkte der Ehemann der Klägerin, dass das Fahrzeug auf der Fahrerseite nachlackiert worden war. Hiervon unterrichtete er die Vermittlerin des Kaufvertrags mit Telefax vom 29.03.2005 und forderte sie zur kurzfristigen Übergabe eines neuen Fahrzeugs auf. Nachdem die Beklagte die Rückabwicklung mit Schreiben vom 12.04.2005 mit der Begründung abgelehnt hatte, dass die im Herstellerwerk erfolgte Nachlackierung die Neuwageneigenschaft nicht beeinträchtigt habe, holte die Klägerin ein Privatgutachten ein.
Die Klägerin hält den von ihr erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag für berechtigt, da es sich bei dem ausgelieferten Pkw aufgrund des Umfangs der im Werk nachgearbeiteten Vorschäden um ein Unfallfahrzeug, nicht jedoch einen Neuwagen handele. Sie behauptet unter Bezugnahme auf das von ihr eingeholte Privatgutachten, die linke Fronttür sei erneuert und nachlackiert worden, die Seitenwand hinten links sowie die Fahrertür seien instand gesetzt und nachlackiert worden, und der Kotflügel vorne links und der Dachrahmen links seien nachlackiert worden. Im Übrigen lägen bei der Lackierung Farbunterschiede vor, die bei einem Neufahrzeug nicht hinzunehmen seien. Die Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug durch Rückzahlung des gezahlten (Netto-)Kaufpreises an die M-GmbH Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und Zahlung einer Nutzungsentschädigung, nachdem sie wirksam das Rücktrittsrecht wegen eines Sachmangels ausgeübt hat. Der Anspruch folgt aus §§ 346, 437 Nr. 2, 440, 323, 326 V, § 398 BGB.
1. Die Beklagte ist Verkäuferin des Fahrzeugs. Im Laufe des Rechtsstreits ist zwischen den Parteien unstreitig geworden, dass der Kaufvertrag zwischen der M-GmbH und der Beklagten zustande gekommen ist … Die Klägerin ist zur Geltendmachung des kaufvertraglichen Rechte wegen Sachmängeln – und damit auch zum Rücktritt vom Kaufvertrag – befugt aufgrund der nicht zu beanstandenden Abtretung dieser Rechte in Nr. XIII 2 der Allgemeinen Leasingbedingungen der M-GmbH, die Inhalt des zwischen der Klägerin und der M-GmbH geschlossenen Leasingvertrags geworden sind.
2. Die Klägerin war gemäß §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 326 V BGB zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt, da das verkaufte Fahrzeug mangelhaft und eine Nachbesserung durch die Beklagte unmöglich war.
a) Das verkaufte Fahrzeug ist mangelhaft, da es bereits vor Auslieferung Schäden erlitten hat, die zwar im Werk noch repariert worden sind, der vereinbarten Eigenschaft als Neuwagen jedoch entgegenstanden.
Gemäß § 434 I 1 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. Nach der Bestellung vom 07.01.2005, die Grundlage des Kaufvertrags zwischen der Beklagten und der M-GmbH geworden ist, war Gegenstand des Kaufvertrags ein Mercedes-Benz Typ C 230 Kompressor als Neufahrzeug. Dies ergibt sich aus der Bezugnahme in dem Bestellschreiben auf die „Neufahrzeug-Verkaufsbedingungen“ der Beklagten, ist aber auch nicht ernsthaft von dieser in Zweifel gezogen worden.
Fabrikneu ist ein Fahrzeug, wenn es, abgesehen von der Überführungsfahrt, nicht benutzt worden ist, wenn das Modell weiterhin unverändert hergestellt wird, wenn es keine durch längere Standzeit bedingte Mängel hat, und wenn die Stand- bzw. Lagerzeit zwischen Herstellung und Verkauf nicht mehr als ein Jahr beträgt (vgl. zusammenfassend Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2004, § 434 Rn. 152 m. w. Nachw.). Die Eigenschaft als fabrikneues Neufahrzeug wird auch nicht dadurch infrage gestellt, dass etwaige Herstellungsmängel vor Auslieferung im Werk nach den Produktionsrichtlinien des Herstellers beseitigt werden. Voraussetzung ist jedoch stets, dass die aufgetretenen Mängel oder Schäden ordnungsgemäß und ohne Verbleib einer Wertminderung behoben worden sind. Dabei wären kleinere Mängel einer Nach-/Zweitlackierung, wie sie hier in Form von Farbnebelresten auch behauptet worden sind, nachbesserungsfähig und würden noch nicht die Eigenschaft als fabrikneues Neufahrzeug aufheben (vgl. … Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl., Rn. 216).
Ein ausgeliefertes Fahrzeug kann jedoch nicht mehr als Neufahrzeug bezeichnet werden, wenn vor der Auslieferung am Fahrzeug Schäden jenseits einer gewissen Bagatellgrenze aufgetreten sind, sodass das Fahrzeug nach der Verkehrsanschauung als Unfallfahrzeug bezeichnet werden muss. In diesem Falle würde auch eine fachgerechte Reparatur im Werk diese Eigenschaft als „Unfallfahrzeug“ und die dadurch eingetretene Wertminderung nicht aufheben. Der Käufer dieses Fahrzeugs sähe sich vielmehr bei der Weiterveräußerung Offenbarungspflichten und einer etwaigen Sachmängelgewährleistung wegen dieser reparierten Vorschäden ausgesetzt. Der Käufer eines Neuwagens kann dagegen die berechtigte Erwartung haben, dass ihm kein Fahrzeug mit reparierten und später offenbarungspflichtigen Vorschäden übergeben wird. Hätte die Beklagte … diese Vorschäden offenbart, wie es ihre Verkäuferpflicht gewesen wäre, hätte die M-GmbH oder die Klägerin das Fahrzeug nicht ohne einen erheblichen Preisnachlass übernehmen müssen (vgl. zum Vorstehenden eingehend Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 218 …).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass das ausgelieferte Fahrzeug vor der Übergabe im Werk eine erhebliche Beschädigung erlitten hat, die dort zwar instand gesetzt worden ist, jedoch bei dem Fahrzeug einen nicht behebbaren Minderwert hinterlassen hat. Der Sachverständige hat nach eingehender Untersuchung und Lackschichtendickemessungen des Fahrzeugs festgestellt, dass auf der linken Seite des Fahrzeugs erhebliche Arbeiten außerhalb des normalen Produktionsprozesses erfolgt sind. So ist die linke Hintertür ersetzt worden, was sich aus einer von der übrigen Lackschichtdicke deutlich nach unten abweichenden Stärke ergibt. Am Radlauf der Seitenwand hinten links wurden geringfügige Instandsetzungs- und Glättarbeiten durchgeführt, die durch eine erheblich dickere Lackschicht und auch leichte, für ein geübtes Auge erkennbare Unstetigkeiten im Kantenverlauf nachweisbar waren. Die Seitenwand hinten links wurde einschließlich des Dachholms ebenso nachlackiert wie die Fahrertür. Auch hier waren für ein geübtes Auge an den Bauteilen geringfügige Farbtonunterschiede erkennbar. Diese von der Beklagten auch nicht weiter angegriffenen Untersuchungsergebnisse hat der Sachverständige detailliert dargelegt und auf Nachfrage überzeugend erläutert. Hieraus hat der Sachverständige nachvollziehbar den Schluss gezogen, dass das Maß der Instandsetzungsarbeiten die Bagatellgrenze deutlich überschritten hat und ein merkantiler Minderwert bei dem Fahrzeug verbleibe. Dies ergibt sich schon aus den für ein geübtes Auge weiterhin erkennbaren Abweichungen und der Offenbarungspflicht bei einem Weiterverkauf. Dabei kann hier dahinstehen, ob durch eine zu geringe Grundierung oder Lackschichtdicke der ausgetauschten linken Hintertür weitere Mängel angelegt sind, die bei einem ordnungsgemäß hergestellten Neufahrzeug nicht zu erwarten wären.
Die Beklagte hat zu den Gründen der von ihr veranlassten erheblichen Reparaturarbeiten keine konkreten Angaben gemacht, sodass die berechtigte Vermutung verbleibt, dass sie der Klägerin statt eines Neufahrzeugs ohne weitere Aufklärung ein „Unfallfahrzeug“ übergeben hat.
b) Ein Nachbesserungsverlangen war wegen der nicht mehr behebbaren Wertminderung und des Verlustes der Neuwageneigenschaft vor Ausübung des Rücktrittsrechts nicht erforderlich. Eine Neulieferung hat die Beklagte verweigert.
3. Nach § 346 I BGB hat die Beklagte aufgrund des wirksamen Rücktritts der Klägerin den erhaltenen Kaufpreis an ihre Vertragspartnerin, die M-GmbH, zurückzuzahlen Zug um Zug (§ 348 BGB) gegen Rückgabe des Fahrzeugs und Zahlung einer Entschädigung für die zwischenzeitliche Nutzung des Fahrzeugs. Unstreitig hat die Beklagte aus den von ihr dargelegten umsatzsteuerlichen Gründen an die M-GmbH nur den Nettokaufpreis in Höhe von 33.805 € gezahlt, sodass auch nur dieser zurückzuzahlen ist …