Der Käufer eines – wohl nicht von einem behördlich angeordneten Rückruf betroffenen – Mercedes-Benz-Fahrzeugs (hier: Mercedes-Benz A 200 d mit OM 651-Motor), der die Daimler AG wegen eines angeblichen Sachmangels in Gestalt einer unzulässigen Abschalteinrichtung („Thermofenster“) in Anspruch nimmt, muss darlegen, woher seine Kenntnis vom angeblichen Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung stammt. Trägt der Kläger nicht vor, weshalb er weiß, wie bei seinem Fahrzeug die Abgasreinigung (angeblich) funktioniert, stellt er insoweit lediglich Behauptungen „ins Blaue hinein“ auf, die die – als Ausforschungsbeweis zu bewertende – Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht rechtfertigen.
LG Verden, Urteil vom 05.07.2018 – 5 O 241/17
(nachfolgend: OLG Celle, Beschluss vom 07.02.2019 – 7 U 263/18 ⇒ BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19)
Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der Beklagten, der Daimler AG, die Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags.
Er kaufte von der Beklagten mit Kaufvertrag vom 29.10.2016 einen gebrauchten Pkw Mercedes-Benz A 200 d in der Ausstattungslinie „Urban“ zum Preis von 23.700 €. Dieses Fahrzeug wurde dem Kläger mit einer Laufleistung von 19.168 km übergeben.
Mit Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 21.09.2017 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag. Die Beklagte wies den Rücktritt mit Schreiben vom 27.09.2017 zurück.
Der Kläger behauptet, sein Fahrzeug sei vom sogenannten Mercedes-Abgasskandal betroffen. In dem Pkw komme eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz, die erkenne, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befinde. In diesem Fall finde eine Abgasreinigung dergestalt statt, dass die einschlägigen Emissionsgrenzwerte eingehalten würden. Während des realen Fahrbetriebs würde die Abgasreinigung dagegen weitgehend heruntergefahren, sodass dann der Schadstoffausstoß erheblich höher sei als auf dem Prüfstand. Ein „thermisches Fenster“ definiere den Umgebungsrahmen, in dem die Abgasreinigung vorbildlich funktioniere. Bis zu einer bestimmten Temperatur, die im standardisierten Testbetrieb auf dem Prüfstand nicht überschritten werde, funktioniere zum Beispiel die AdBlue-Technologie (Harnstoffeinspritzung) einwandfrei, und der einschlägige Stickoxid(NOX)-Emissionsgrenzwert werde nicht überschritten. Werde die Temperatur aber über- oder unterschritten (z. B. beim Lauf des kalten Motors, im Stadtverkehr, im Stau, unter Last oder bei schneller Autobahnfahrt), schalte die Elektronik „den Umweltschutz und die Sparsamkeit ab“, um Bauteile vor Überhitzung zu schützen. Der Kläger ist der Auffassung, insoweit sei vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung schon deshalb auszugehen, weil überhaupt auf das Emissionskontrollsystem eingewirkt werde; in welcher Weise dies geschehe, sei unerheblich. Auch wenn die Einwirkung auf einer technisch vorgelagerten Stufe geschehe, liege eine Abschalteinrichtung vor. Die tatsächlichen NOX-Emissionen des Fahrzeugs – so macht der Kläger geltend – wichen derart von den gesetzlichen Vorgaben und den Herstellerangaben im technischen Datenblatt ab, dass der Pkw den einschlägigen Euro-6-Emissionsgrenzwert nicht einhalte.
Das streitgegenständliche Fahrzeug sei auch deshalb mangelhaft, weil ihm, dem Kläger, nachteilige behördliche Maßnahmen drohten, wenn er ein vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigtes Softwareupdate nicht installieren lasse. Es treffe nicht zu, dass die für den Fahrzeugtyp erteilte EG-Typgenehmigung unverändert wirksam und vom Kraftfahrt-Bundesamt nicht aufgehoben worden sei.
Wegen des Mangels sei der Pkw 30 % weniger wert als ein vergleichbarer mangelfreier Gebrauchtwagen. Eine Nachbesserung sei nicht möglich, weil Maßnahmen zur Verringerung des NOX-Ausstoßes negative Auswirkungen (erhöhter Verschleiß, Minderung der Haltbarkeit, deutlich erhöhter Kraftstoffverbrauch, reduzierte Leistung) auf das Fahrzeug im Übrigen hätten. Der Pkw sei für ihn, den Kläger, nicht mehr uneingeschränkt gebrauchstauglich.
Der Kläger meint, die in der Lieferung eines mangelhaften Fahrzeugs liegende Pflichtverletzung der Beklagten sei erheblich (§ 323 V 2 BGB), zumal darin, dass die Beklagte den Pkw mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen habe, ein Betrug zu seinem Nachteil und eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung lägen. Deshalb schulde er der Beklagten auch keine Nutzungsentschädigung.
Die Beklagte behauptet, das Fahrzeug des Klägers sei nicht vom angeblichen Mercedes-Abgasskandal betroffen; einen solchen Skandal gebe es gar nicht. Die in dem streitgegenständlichen Fahrzeug zum Einsatz kommende Software sei nicht manipulativ so programmiert, dass das Emissionsverhalten beim regulären Betrieb des Pkw im Straßenverkehr ein anderes sei als beim Betrieb auf einem Prüfstand. In dem Fahrzeug komme gerade keine Software zum Einsatz, die nur auf dem Prüfstand den NOX-Ausstoß reduziere. Bei ansonsten gleichen Betriebsbedingungen verhalte sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand genauso wie auf der Straße. Es erfülle auch die Anforderungen der Euro-6-Abgasnorm.
Letztlich sei allerdings unerheblich, welches Emissionsverhalten ein Fahrzeug außerhalb der maßgeblichen gesetzlichen Prüfbedingungen, nach denen nach einer Ruhezeit von mindestens sechs Stunden ein NOX-Grenzwert von 80 mg/km im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) eingehalten werden müsse, zeige. Für vor dem 01.09.2017 erteilte Typgenehmigungen seien allein die Vorschriften über die Verbrauchs- und Abgasmessungen unter detailliert geregelten Bedingungen („Laborbedingungen“) maßgeblich. Es sei eine bekannte Tatsache, dass das Verbrauchs- und dementsprechend auch das Emissionsverhalten eines Fahrzeugs auf der Straße generell von demjenigen „im Labor“ abweiche. Dies sei technisch begründet und habe nichts mit Manipulation zu tun.
Für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp liege eine bestandskräftige und uneingeschränkt wirksame EG-Typgenehmigung vor. Daher stehe aufgrund sachverständiger und behördlicher Prüfung fest, dass der Fahrzeugtyp den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs sei uneingeschränkt gültig. Ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes gegen sie, die Beklagte, liege nicht vor. Sie habe auch nicht im Verwaltungsverfahren akzeptiert, dass der streitgegenständliche Dieselmotor nicht im Einklang mit der erteilten EG-Typgenehmigung stehe. Eine Rückrufaktion, wie es sie im VW-Abgasskandal gebe, gebe es bezüglich des streitgegenständlichen Pkw nicht.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
1. Der Kläger kann keinen Anspruch aus §§ 433 I, 434 I, 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323, 346 ff. BGB gegenüber der Beklagten geltend machen, obwohl zwischen den Parteien unstreitig ein Kaufvertrag vom 29.10.2016 über das streitgegenständliche Kraftfahrzeug besteht.
a) Der Kläger hat einen Mangel des erworbenen Fahrzeugs nicht ausreichend substanziiert behauptet.
Zum Vortrag eines Mangels genügt es nicht, aus der – inzwischen umfangreichen – Rechtsprechung zum VW-Abgasskandal zu zitieren. Streitbefangen ist vorliegend ein Fahrzeug einer anderen Marke. Insbesondere ist auch die Verwendung einer gleichartigen Technik wie bei den vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugen nicht unstreitig.
Die Behauptung des Klägers zur Verwendung unterschiedlicher Modi Operandi bei der Abgasrückführung – wie sie vom VW-Konzern in den Fällen von Fahrzeugen, die vom VW-Abgasskandal betroffen sind, vorgetragen werden – ist von der Beklagten dezidiert bestritten worden. Sie stellt sich auch als Behauptung „ins Blaue hinein“ dar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger über entsprechende Tatsachengrundlagen verfügt. Jedenfalls teilt er nicht mit, woher er die Kenntnis und das Wissen im Hinblick auf die technische Funktionsweise der Abgasrückführung bei seinem Pkw hat. Eine besondere Fachkunde des Klägers ist weder ersichtlich, noch behauptet er, dass entsprechend fachkundige Personen mit der Besichtigung oder Begutachtung seines konkreten Fahrzeugs beauftragt waren und er die Ergebnisse einer solchen Besichtigung oder Begutachtung vorträgt. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass die Behauptungen aus den diversen Fällen zum VW-Abgasskandal zur sogenannten Abschalteinrichtung bzw. manipulierten Software vom Kläger unreflektiert übernommen werden und ohne tatsächlichen Hintergrund für den hier vorliegenden Fahrzeugtyp in gleicher Weise vorgetragen werden.
Der Mangel ist auch gerade deswegen nicht ausreichend vorgetragen, weil es bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug weder zu einem Widerruf der EG-Typgenehmigung gekommen ist noch zu einem Rückruf des Fahrzeugs durch die Beklagte noch zu einer Anweisung des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber der Beklagten, hinsichtlich des Abgasausstoßes bzw. der ihn regelnden Software nachzubessern oder diese zu optimieren. Auch wenn in der Presse von Rückrufaktionen von Fahrzeugen der Beklagten berichtet wird, genügt allein diese Information nicht, um auch einen Mangel des Pkw des Klägers darzulegen. Insoweit hat der Kläger jedenfalls nicht behauptet, dass sein Pkw konkret von einer Rückrufaktion betroffen ist. Das ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.
b) Auch nach entsprechendem Hinweis der Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24.05.2018 und der daraufhin eingeräumten Schriftsatzfrist ist kein ausreichender Vortrag des Klägers zum Vorliegen eines Mangels seines Pkw erfolgt.
Der Kläger hat bereits nicht zu konkreten Vereinbarungen der Parteien unter anderem bezüglich des Abgasausstoßes bei Abschluss des Kaufvertrags vorgetragen. Seitens des Klägers ist insoweit nicht einmal schriftsätzlicher Vortrag erfolgt, welche Euro-Norm das Fahrzeug nach den vertraglichen Vereinbarungen zu erfüllen hatte. Es fehlt ebenfalls am Vortrag, inwieweit der tatsächliche Abgasausstoß des Fahrzeuges von etwaigen vereinbarten oder zugesagten Werten oder zu erfüllende Normen abweicht.
Der Vortrag zu einem „thermischen Fenster“ wiederholt letztlich den schon eingangs gehaltenen Vortrag zu einer Abschalteinrichtung bzw. Softwaremanipulation und ist dementsprechend ebenfalls als Behauptung „ins Blaue hinein“ zu würdigen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu diesen Behauptungen würde sich danach als Ausforschungsbeweis darstellen.
Der im Rahmen der Schriftsatzfrist vorgelegte Beschluss des LG Köln ist in dem vorliegenden Verfahren nicht maßgeblich. Es ist völlig unklar, welcher Fahrzeugtyp Gegenstand des Beweisbeschlusses ist und welcher Vortrag in dem dem Beschluss des LG Köln zugrunde liegenden Verfahren erfolgt ist.
2. Daraus ergibt sich, dass der Kläger auch keine Ansprüche aus § 823 II BGB i. V. mit sect; 263 StGB oder aus § 826 BGB gegenüber der Beklagten geltend machen kann.
Nachdem schon ein Mangel nicht ausreichend vorgetragen worden ist, genügen die Behauptungen des Klägers auch nicht zur Annahme einer aktiven Täuschungshandlung durch die Beklagte, einer Täuschung durch Unterlassen oder einer sittenwidrigen Schädigung.
Im Übrigen müsste dazu der Kläger nachweisen, dass einzelne Personen, und zwar wer genau, Täuschungshandlungen, und zwar welche genau, vorgenommen haben, die der Beklagten zuzurechnen sind. Spekulationen oder Mutmaßungen können die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Zivilprozessordnung nicht außer Kraft setzen. Solange nicht feststeht, wer ganz konkret für welche Täuschungshandlung verantwortlich ist, mag es zwar schwierig sein für einen Kläger, konkrete (insbesondere konzerninterne) Tatsachen vorzutragen, das ändert jedoch nichts an der Erforderlichkeit des entsprechenden Vorbringens. …
Hinweis: Die Berufung des Klägers hatte ebenso wenig Erfolg wie seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Der BGH hat in seinem Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 – allerdings ausgeführt, dass das Berufungsgericht (und damit auch das Landgericht) die Anforderungen an die Substanziierung des klägerischen Vortrags überspannt habe.