Der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs, der dem Verkäufer eine Frist zur Nachbesserung (§ 439 I Fall 1 BGB) setzt, muss berücksichtigen, dass vom VW-Abgasskandal eine Vielzahl von Fahrzeugen betroffen ist. Angesichts des damit einhergehenden Aufwands und des Umstands, dass der Verkäufer erst nachbessern kann, sobald ihm die Volkswagen AG das dafür benötigte Softwareupdate zur Verfügung gestellt hat, ist eine Frist von eineinhalb Wochen unangemessen kurz; angemessen erscheint vielmehr eine Frist von etwa einem Jahr. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Käufer das Fahrzeug ohne Schwierigkeiten und Nachteile nutzen kann und nicht zu erwarten ist, dass sich daran innerhalb der Frist etwas ändert.
LG Halle (Saale), Urteil vom 15.09.2016 – 5 O 66/16
Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung eines Pkw-Kaufvertrags in Anspruch.
Er erwarb von der Beklagten mit Vertrag vom 29.04.2014 einen Škoda Octavia, der mit einem von der Volkswagen AG hergestellten EA189-Dieselmotor ausgestattet und deshalb vom VW-Abgasskandal betroffen ist. In dem Fahrzeug kommt eine Software zum Einsatz, die bewirkt, dass seine Stickoxid(NOX)-Emissionen während eines Emissionstests auf einem Prüfstand niedriger sind als beim regulären Betrieb des Pkw im Straßenverkehr.
Mit Anwaltsschreiben vom 15.01.2016 erklärte der Kläger deshalb die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Die zulässige Klage ist unbegründet.
Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung scheidet bereits deshalb aus, weil selbst dann, wenn zu unterstellen ist, dass der VW-Konzern Kenntnis von der manipulierten Software hatte, diese Kenntnis nicht bei der Beklagten vorlag. Dies behauptet auch der Kläger nicht. Eine Zurechnung der Kenntnis gemäß § 166 BGB kommt nicht infrage, da die Beklagte in keinem Vertretungsverhältnis zum Hersteller des Fahrzeugs bzw. des streitgegenständlichen Motors stand.
Der Kläger ist auch nicht gemäß § 437 Nr. 2 Fall 1, § 323 I BGB wirksam von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten, sodass kein Rückzahlungsanspruch hinsichtlich des geleisteten Kaufpreises gemäß § 346 I BGB besteht.
Es kann dahinstehen, ob die Tatsache, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer Software ausgestattet ist, die den Schadstoffausstoß im Testbetrieb manipuliert, dazu führt, dass der Pkw als mangelhaft zu betrachten ist, wobei jedoch bereits deshalb davon auszugehen sein dürfte, weil die Beklagte bzw. der Hersteller sich gehalten sieht, im Laufe des Jahres 2016 ein Softwareupdate vorzunehmen, um den entsprechenden Auflagen des Kraftfahrt-Bundesamtes zu genügen.
Ein wirksamer Rücktritt des Klägers scheitert zumindest daran, dass der Kläger der Beklagten keine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat bzw. eine solche weder im Zeitpunkt der Klageerhebung noch im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 128 II 2 ZPO) abgelaufen gewesen wäre. Soweit der Kläger mit Schreiben vom 25.01.2016 der Beklagten eine Frist zur Mangelbeseitigung bis 03.02.2016 gesetzt hat, war diese nicht angemessen i. S. des § 323 I BGB. Eine angemessene Frist wäre bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung auch noch nicht abgelaufen.
Die Angemessenheit einer Frist beurteilt sich zwar im Wesentlichen nach den Interessen des Käufers, allerdings muss der Käufer dem Verkäufer die Möglichkeit und dafür notwendige Zeit zugestehen, die auch bei objektiver Betrachtung notwendig ist, sodass dieser Aspekt regelmäßig die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen muss und nicht pauschal getroffen werden kann (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl. [2014], Rn. 902). Vorliegend können die notwendigen Updates ausschließlich nach entsprechender Instruktion der Volkswagen AG vorgenommen werden, wobei eine Vielzahl von Fahrzeugen und Motorvarianten betroffen ist und demzufolge eine technische Lösung für jede Variante entwickelt werden musste/muss. Die Beklagte gab an, dass im Jahr 2016 nach den bisherigen Vorgaben der Volkswagen AG ein entsprechendes Update beim Klägerfahrzeug durchgeführt werden würde. Unter Berücksichtigung des Aufwands, der sich aus der Neuentwicklung einer entsprechenden Software zum Update sowie der Vielzahl der betroffenen Fahrzeuge – laut unbestrittenem Beklagtenvortrag circa 10 Millionen – ergibt, erscheint es angemessen, die Frist bis Ende 2016 als angemessen zu erachten, wobei eine diesbezügliche abschließende Entscheidung nicht getroffen werden muss, da zumindest die Frist bis zur letzten mündlichen Verhandlung als nicht angemessen anzusehen ist. Bei diesen Erwägungen war auch zu berücksichtigen, dass das Fahrzeug ohne Schwierigkeiten und Nachteile für den Kläger im Einsatz ist und auch nicht zu erwarten ist, dass sich daran bis zum Ablauf der Frist – zumindest nicht wegen des hier gerügten Mangels – etwas ändert.
Aus gleichem Grund können auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht geltend gemacht werden, wobei auch grundsätzlich die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs diesbezüglich mangels Verzugs der Beklagten nicht vorliegen dürften. …