- Der Käufer eines Neuwagens darf erwarten, dass das Fahrzeug die gesetzlich vorgegebenen Emissionswerte nicht nur deshalb (scheinbar) einhält, weil die für die Abgaskontrollanlage zuständige Software so manipuliert wurde, dass sie die Entstehung von Stickoxiden unzulässig reduziert, sobald sie eine Prüfungssituation erkennt. Ein Fahrzeug mit dergestalt manipulierter Software ist deshalb mangelhaft i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB.
- Ein Mangel eines Neuwagens, der sich mit einem Kostenaufwand von weniger als 100 € beseitigen lässt und die Nutzbarkeit des Fahrzeugs in keiner Weise einschränkt, berechtigt den Käufer nicht zum Rücktritt vom Kaufvertrag.
LG Münster, Urteil vom 14.03.2016 – 011 O 341/15
Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte, eine VW-Vertragshändlerin, in erster Linie auf Rückabwicklung eines Pkw-Kaufvertrages in Anspruch; hilfsweise verlangt er Nacherfüllung.
Im September 2013 schlossen die Parteien einen Kaufvertrag über einen Pkw der Marke Volkswagen zum Preis von 36.999,99 €. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 14.11.2015 übergeben. Die bei dem Pkw für die Abgaskontrollanlage zuständige Software wurde dergestalt manipuliert, dass sie erkennt, ob das Fahrzeug einem Emissionstest unterzogen oder „auf der Straße“ bewegt wird. In einer Prüfungssituation wird die Abgasaufbereitung unzulässigerweise so optimiert, dass möglichst wenig Stickoxide entstehen und die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden. Im normalen Fahrbetrieb findet diese Optimierung nicht statt, sodass dann die Stickoxid-Emissionen erheblich höher sind. Um die Manipulation zu beseitigen, genügt ein Softwareupdate, das mit einem Zeitaufwand von circa einer halben Stunde und einem Kostenaufwand von weniger als 100 € verbunden ist.
Mit Anwaltsschreiben vom 21.10.2015 rügte der Kläger gegenüber der Beklagten, dass sein Fahrzeug wegen der manipulierten Software mangelhaft sei, und setzte ihr erfolglos eine Frist zur Mangelbeseitigung bis zum 04.11.2015. Mit anwaltlichem Schreiben vom 11.11.2015 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte – ebenfalls erfolglos – zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs auf.
Die Klage hatte lediglich insoweit Erfolg, als die Beklagte auf einen Hilfsantrag des Klägers zur Nachbesserung verurteilt wurde.
Aus den Gründen: I. Dem Kläger steht der geltend gemachte Rückabwicklungsanspruch nicht zu. Die Voraussetzungen gemäß den §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323 BGB sind nicht erfüllt.
1. Allerdings ist das Fahrzeug mangelhaft. Es liegt ein Verstoß gegen § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor. Das Fahrzeug eignet sich zwar trotz der manipulierten Abgassoftware für die gewöhnliche Verwendung. Es weist angesichts dieser Manipulation aber kein Beschaffenheit auf, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf. Ein Durchschnittskäufer eines Neufahrzeuges kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird. Insoweit resultiert die Mangelhaftigkeit nicht etwa daraus, dass die unter Laborbedingungen (Prüfstandlauf) gemessenen Werte im alltäglichen Straßenverkehr nicht eingehalten werden, sondern basiert darauf, dass der Motor die Vorgaben im Prüfstandlauf nur aufgrund der manipulierten Software einhält.
2. Dem Rücktritt steht schon entgegen, dass die vom Kläger gesetzte Frist zur Mangelbeseitigung nicht angemessen war.
Nach § 323 I BGB kann der Gläubiger vom Vertrag im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung zurücktreten, wenn er dem Schuldner zuvor eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Mangels konkreter Parteivereinbarung richtet sich die Bewertung der Angemessenheit hier nach objektiven Maßstäben. Insoweit ist zunächst die Dimension der Softwareproblematik bei diversen Dieselmotoren der VW-Fahrzeugflotte zu berücksichtigen. Bei der vom Kläger gerügten Mangelhaftigkeit handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Vielmehr sind allein in Deutschland bekanntermaßen Millionen von Fahrzeugen betroffen. Insofern war und ist dem Volkswagen-Konzern und damit auch den VW-Vertragshändlern zuzugestehen, zunächst eine Problemlösung zu entwickeln und eine Strategie zur Umsetzung derselben zu entwerfen, insbesondere auch unter Einbeziehung der beteiligten Behörden. Ferner kann bei der Angemessenheit der Fristsetzung nicht vernachlässigt werden, dass die Fahrtauglichkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs nach derzeitigem Sach- und Streitstand in keiner Weise eingeschränkt ist. Der Kläger ist für die volle Nutzbarkeit des Pkw nicht auf die umgehende Durchführung des Softwareupdates angewiesen. Für ihn ist es daher letztlich unerheblich, wann das Update aufgespielt wird. Inwiefern der Kläger auf die zügige Behebung des Softwareproblems angewiesen ist, ist jedenfalls weder dargelegt noch ersichtlich.
Vor diesem Hintergrund war die mit Schreiben vom 21.10.2015 gesetzte Frist zur Mangelbeseitigung bis zum 04.11.2015 unangemessen kurz. Der Beklagten standen unter Berücksichtigung üblicher Postlaufzeiten von ein bis drei Tagen für die Mangelbeseitigung nicht einmal zehn Werktage zur Verfügung.
Die mit Schreiben vom 21.10.2015 erfolgte Fristsetzung ist damit indes nicht schlechthin unwirksam. Vielmehr ist mit vorgenanntem Schreiben eine angemessene Frist in Gang gesetzt worden. Unter Berücksichtigung der oben genannten Umstände, insbesondere in Anbetracht der erheblichen Anzahl der betroffenen Fahrzeuge auf der einen Seite und der uneingeschränkten Nutzbarkeit dieser Fahrzeuge auf der anderen Seite, liegt eine angemessene Frist zumindest nicht unter einem Zeitraum von vier Monaten, sodass auch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung kein erfolgloser Fristablauf vorlag.
Dass die Voraussetzungen für eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach den §§ 323 II, 440 BGB vorliegen, ist weder substanziiert dargetan noch ersichtlich. Insbesondere ergibt sich eine Entbehrlichkeit entgegen dem Vorbringen des Klägers im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 11.03.2016 nicht aus § 323 II Nr. 1 BGB. In dem Bestreiten des Mangels durch die Beklagte liegt keine ernsthafte und endgültige Verweigerung der Nacherfüllung. Dass die Beklagte bereit ist, das Fahrzeug zu überarbeiten, ergibt sich unter anderem aus dem – ebenfalls nicht nachgelassenen Schriftsatz – vom 09.03.2016.
3. Unabhängig von dem mangelnden Ablauf einer angemessenen Nacherfüllungsfrist steht dem Rücktritt ferner eine Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nach § 323 V 2 BGB entgegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die obigen Ausführungen. Eine Mangelbeseitigung ist mit geringem finanziellem Aufwand pro Fahrzeug möglich (100 €). Die Fahrtauglichkeit des Fahrzeugs wird durch den Mangel nicht eingeschränkt.
II. Dem Kläger steht wegen der Mangelhaftigkeit des Pkw dagegen der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Mangelbeseitigung nach den §§ 437 Nr. 1, 439 BGB zu. Dieser ist indes lediglich darauf gerichtet, dass die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses einschlägigen Abgasnormen sowie die technischen Angaben im Datenblatt (Anlage K 2 zur Klageschrift) eingehalten werden.
Dass eine Mangelbeseitigung in dieser vom Kläger zumindest auch begehrten Form nach § 275 I BGB objektiv unmöglich ist, ist von der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten weder vorgetragen noch ersichtlich. Vor diesem Hintergrund scheitert indes auch ein auf § 326 V BGB gestütztes Rückabwicklungsbegehren.
III. Der Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren ist nach § 439 II BGB gerechtfertigt (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., § 439 Rn. 11). Zugrunde zu legen ist allerdings ein Streitwert in Höhe von bis zu 100 €, da allein der Anspruch auf Mangelbeseitigung und nicht der Rückabwicklungsanspruch begründet ist. Der – von der Beklagten zu tragende – Kostenaufwand der Mangelbeseitigung liegt nicht über 100 €. Begründet ist der Anspruch demnach in Höhe von 93,42 € brutto …