Hinsichtlich eines unterschlagenen – und damit nicht i. S. des § 935 BGB abhandengekommenen – Fahrzeugs ist ein gutgläubiger Eigentumserwerb auch dann möglich, wenn der zu dem Fahrzeug gehörende Fahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) nicht ebenfalls unterschlagen, sondern gestohlen wurde.
AG Miesbach, Urteil vom 04.08.2015 – 12 C 223/15
Sachverhalt: Die Kläger verlangen von der Beklagten die Rückzahlung einer auf einen VW Bus geleisteten Anzahlung von 2.000 €.
Der Fahrzeug stand ursprünglich im Eigentum der Beklagten, die den Kleinbus verkaufen wollte. Es meldeten sich drei nicht näher bekannte Personen bei der Beklagten, die bereit waren, das Fahrzeug für 7.000 € zu kaufen. Sie leisteten eine Anzahlung auf den Kaufpreis, woraufhin ihnen der Wagen übergeben wurde. Der Geschäftsführer der Beklagten behielt allerdings den Fahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) zurück.
Die drei Personen kamen zu einem späteren Zeitpunkt auf im Einzelnen umstrittene Art und Weise aber auch in den Besitz der Zulassungsbescheinigung Teil II. Sodann veräußerten sie das Fahrzeug unter Vorlage sämtlicher Originalpapiere zum Preis von 6.700 € an die Firma T in München. Diese verkaufte und übereignete das Fahrzeug unter Vorlage der Originalpapiere an die Kläger.
Einige Zeit später wurde der Wagen polizeilich sichergestellt und der Beklagten ausgehändigt. Da die Kläger dringend auf das Fahrzeug angewiesen waren, wandten sie sich an die Beklagte, schlossen mit ihr einen Kaufvertrag über das Fahrzeug und leisteten eine Anzahlung von 2.000 € auf den Kaufpreis.
Zur Begründung ihrers Erstattungsanspruchs tragen die Kläger vor, dass bereits die Firma T gutgläubig das Eigentum an dem streitgegenständlichen Fahrzeug erworben habe. Deshalb seien auch sie, die Kläger, Eigentümer des Wagens geworden, sodass dieser zu Unrecht an die Beklagte herausgegeben worden sei. Die Beklagte habe ihnen, den Klägern, das Eigentum an dem VW Bus folglich nicht (mehr) verschaffen können.
Die Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: 2. … Der Kaufvertrag konnte wirksam rückabgewickelt werden, da ein Rechtsmangel gemäß § 435 BGB vorlag. Die Kläger konnten damit wirksam gemäß §§ 437 Nr. 2, 435, 323 I BGB vom Vertrag zurücktreten.
Vorliegend besteht der Rechtsmangel darin, dass die Kläger zum Zeitpunkt des Kaufabschlusses bereits Eigentümer des streitgegenständlichen Pkw waren. Die Kläger erwarben das Eigentum an dem Pkw durch wirksame Übereignung gemäß § 929 BGB von der Firma T. Diese wiederum hatte gutgläubig Eigentum von den drei unbekannten Personen erworben. Der jeweils Bevollmächtigte bei der Firma T befand sich aufgrund der Tatsache, dass ihm die Originalfahrzeugpapiere samt Schlüsseln mit dem Pkw übergeben wurden, im guten Glauben gemäß § 932 BGB. Dieser gutgläubige Erwerb war auch nicht gemäß § 935 BGB ausgeschlossen. Der streitgegenständliche Pkw ist nicht als abhandengekommen i. S. des § 935 BGB anzusehen. In Hinblick auf das Fahrzeug ist davon auszugehen, dass zwischen dem Geschäftsführer der Beklagten und den drei unbekannten Personen zunächst eine Übereignung unter Eigentumsvorbehalt stattgefunden hatte. Damit war der Eigentumsübergang aufschiebend bedingt bis zur endgültigen vollständigen Kaufpreiszahlung. Deswegen wurde auch der Fahrzeugbrief zunächst zurückgehalten. Gleichzeitig erwarben die drei unbekannten Personen jedoch tatsächlich ein Anwartschaftsrecht und damit einhergehend ein Besitzrecht an dem Fahrzeug. Die drei Personen waren damit im Hinblick auf das Fahrzeug selbst rechtmäßige Besitzer, der Geschäftsführer der Beklagten nurmehr mittelbarer Besitzer gemäß § 868 BGB. Der mittelbare Besitzer ist jedoch im Hinblick auf eine Unterschlagung des jeweiligen Gegenstandes nicht gemäß § 935 BGB geschützt (vgl. u. a. MünchKomm-BGB/Kohler, 6. Aufl. [2013], § 868 Rn. 59). Dies beruht auf der zutreffenden Erwägung, dass in derart gelagerten Fällen der ursprüngliche Besitzer, welcher dann lediglich noch mittelbarer Besitzer ist, bewusst und freiwillig seinen Besitz gelockert hat. Seiner Auswahl des Vertragspartners ist es geschuldet, dass ein Vertrauensmissbrauch stattfand und der Pkw unter Vorlage der Originalpapiere weiterveräußert werden konnte. Daher ist es sachgerecht, das Risiko des gutgläubigen Erwerbs dem mittelbaren Besitzer aufzuerlegen, da dieser den unmittelbaren Besitz freiwillig aufgegeben hat. So begründet sich der in diesen Fällen fehlende Schutz des § 935 BGB.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Erwägung, dass die Zulassungsbescheinigung Teil II tatsächlich nicht nur unterschlagen, sondern gestohlen wurde. Diese wurde dem Geschäftsführer der Beklagten, was dessen glaubhafte und nachvollziehbare Anhörung ergab, tatsächlich entwendet.
An dieser Stelle ist der Beklagtenpartei zwar zuzugeben, dass insoweit der Geschäftsführer der Beklagten nicht vollständig auf seine Kontrolle über das Fahrzeug verzichtet hat. Vielmehr wurde ihm die Kontrolle über den notwendigen Bestandteil für den Eigentumserwerb, nämlich die Zulassungsbescheinigung Teil II, gegen seinen Willen entzogen. Allerdings ist an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass auf die Zulassungsbescheinigung Teil II § 952 BGB analog anzuwenden ist (vgl. Palandt/Bassenge, 74. Aufl., § 952 Rn. 7). Damit ist festzustellen, dass ein eigenständiges Eigentum an der Zulassungsbescheinigung Teil II nicht besteht. Vielmehr teilt der Fahrzeugbrief stets das Schicksal des Eigentums des Fahrzeugs. Aus dieser gesetzlichen Wertung ergibt sich, dass für die Frage des Abhandenkommens nicht auf die Zulassungsbescheinigung Teil II, sondern ausschließlich auf das Fahrzeug selbst abzustellen sein muss. Dies entspricht auch der gesetzlich gewollten Risikoverteilung. Es bleibt dabei, dass es der Beklagte war, der sich den unseriösen Vertragspartner ausgesucht hat. Daher muss er im Ergebnis auch das Risiko tragen, welches sich aus dessen Unredlichkeit ergibt.
Damit war der erklärte Rücktritt der Kläger wirksam, und die gezahlte Anzahlung in Höhe von 2.000 € ist zurückzuerstatten. Gleichzeitig hat das Fahrzeug im Besitz der Eigentümer zu verbleiben.
3. Der Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ergibt sich aus § 437 Nr. 3 BGB i. V. mit § 280 I BGB. Danach ist die Beklagte, welche eine mangelbehaftete Sache verkauft hat, auch zum Ersatz des daraus folgenden Schadens verpflichtet. Ein Verzugseintritt im Hinblick auf diese Forderung ist nicht erforderlich. Das Verschulden wird insoweit vermutet …