- Der Erwerber eines Gebrauchtwagens ist nicht schon dann gutgläubig i. S. des § 932 BGB, wenn er sich vom Veräußerer die Zulassungsbescheinigung Teil II (den Fahrzeugbrief) vorlegen lässt, um die Verfügungsberechtigung des Veräußerers prüfen zu können. Dies gehört vielmehr zu den Mindestvoraussetzungen für einen gutgläubigen Erwerb.
- Grobe Fahrlässigkeit i. S. des § 929 II BGB ist dem Erwerber eines Gebrauchtwagens dann vorzuwerfen, wenn besondere Umstände wie etwa ein besonders günstiger Kaufpreis seinen Verdacht erregen mussten, er aber dennoch keine sachdienlichen Nachforschungen unternommen hat, um sich über die Verfügungsbefugnis des Veräußerers zu vergewissern. Insoweit ist ein strenger Maßstab anzulegen.
LG München I, Urteil vom 02.02.2015 – 26 O 13347/14
Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der beklagten Leasinggesellschaft die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II, die zu einem von ihm erworbenen Fahrzeug, einem BMW 730d, gehört.
Der Leasingnehmer der Beklagten L hatte dieses Fahrzeug dem Kläger, der Geschäftsführer der X-GmbH ist, am 26.11.2013 zum Kauf angeboten. In beiden Zulassungsbescheinigungen war L als Halter des Fahrzeugs eingetragen; die Zulassungsbescheinigung Teil II war jedoch unter Verwendung entwendeter Blankoformulare gefälscht worden.
Die X-GmbH erwarb den BMW 730d am 27.11.2013 zum Kaufpreis von 26.000 €, der in bar geleistet wurde, und veräußerte das Fahrzeug anschließend zum gleichen Preis an den Kläger. Der Wagen wurde am 28.11.2013 von der Stadt Frankfurt a. M. auf den Kläger zugelassen, ohne dass die Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II erkannt wurde.
Mit Anwaltsschreiben vom 03.01.2014 und vom 10.01.2014 ließ die Beklagte den Kläger zur Herausgabe des Fahrzeugs auffordern, wobei sie darauf hinwies, dass der BMW 730d ihr als Leasinggeberin abhandengekommen sei. Der Kläger verlangte seinerseits mit Anwaltsschreiben vom 19.05.2014 und vom 05.06.2014 die Herausgabe der echten Zulassungsbescheinigung Teil II von der Beklagten und machte geltend, dass er das Eigentum an dem hier interessierenden Fahrzeug gutgläubig erworben habe.
Mit Schreiben vom 09.01.2014 erstattete die Beklagte bei der Staatsanwaltschaft München I Strafanzeige gegen L; das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung wurde an die Staatsanwaltschaft Frankfurt a. M. abgegeben. Die gefälschte Zulassungsbescheinigung Teil II wurde am 19.02.2014 polizeilich sichergestellt und befindet sich in den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Frankfurt a. M.
Der Kläger hat behauptet, dass er am 26.11.2013 nach der Besichtigung des BMW 730d zunächst eine Kopie des Fahrzeugscheins von L angefertigt habe und diesem gesagt habe, dass er ihm ein Angebot machen werde. Er habe dann die Herkunft des Fahrzeugs überprüft und auch über die Polizei überprüfen lassen, ob das Fahrzeug als gestohlen gemeldet sei. Da alles in Ordnung gewesen sei, habe er dem Verkäufer am nächsten Tag telefonisch angeboten, das Fahrzeug für 26.000 € zu kaufen. L, der ursprünglich 30.000 € hätte haben wollen, sei damit schließlich einverstanden gewesen.
Weiter hat der Kläger behauptet, dass L ihm die gefälschte Zulassungsbescheinigung Teil II und die Zulassungsbescheinigung Teil I sowie seinen Personalausweis vorgelegt habe. Die Zulassungsbescheinigung Teil II habe so echt gewirkt, dass weder er – der Kläger – noch die Zulassungsstelle Frankfurt a. M. sie als Fälschung erkannt habe.
Die Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Der Kläger ist als Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs gemäß § 952 I BGB analog auch Eigentümer der Zulassungsbescheinigung Teil II und kann demgemäß von der Beklagten Herausgabe gemäß § 385 BGB verlangen.
Der Kläger hat das Fahrzeug für die X-GmbH gemäß §§ 929, 932 BGB gutgläubig erworben und konnte es daher anschließend wirksam an sich selbst übereignen. Ein Fall des Abhandenkommens i. S. von § 935 BGB liegt nicht vor, weil der Beklagten die Sache nicht abhandengekommen ist. Sie hat das Fahrzeug vielmehr freiwillig zu Leasingzwecken an L gegeben.
Nach der Überzeugung des Gerichts hatte der Kläger bei dem Erwerb des Fahrzeugs für die X-GmbH keine Kenntnis davon, dass der Verkäufer L nicht Eigentümer des Fahrzeugs war. Der Kläger berichtete bei seiner Anhörung im Termin vom 04.12.2014 glaubhaft, dass er selbst die Beklagte auf die Spur des Fahrzeugs gebracht hat, indem er bei der Firma F, die seines Wissens mit der Beklagten zusammenarbeitet, nach den am 21.10.2013 durchgeführten Reparaturen fragen ließ.
Aus dem Serviceheft des Fahrzeugs hat sich ergeben, dass die Firma F das Fahrzeug am 21.10.2013 überprüft hatte. Am 15.11.2013 wurde das Fahrzeug von der Beklagten an den Leasingnehmer L übergeben.
Wenn der Kläger, der nach seinen Angaben schon Fahrzeuge von der Beklagten gekauft hat, damit gerechnet hätte, dass es sich um ein unterschlagenes Fahrzeug handelt, hätte er bei F keine Erkundigungen eingezogen. Der Kläger hat sich nach seinen glaubhaften Angaben vor dem Ankauf auch bei der Polizei erkundigt, ob das Fahrzeug auf L zugelassen ist und nicht als gestohlen gemeldet ist.
Die Beklagte konnte den ihr nach § 932 I 1, II BGB obliegenden Nachweis, dass der Kläger beim Erwerb des Fahrzeugs nicht im guten Glauben war, nicht führen.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, weil er das unbeachtet lässt, was im konkreten Fall jedem hätte einleuchten müssen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 23.05.1966 – VIII ZR 60/64, WM 1966, 678; Urt. v. 18.06.1980 – VIII ZR 119/79, NJW 1980, 2245; Urt. v. 09.02.2005 – VIII ZR 82/03, NJW 2005, 1365 [1366]). Beim Erwerb vom Nichtberechtigten ist dies regelmäßig anzunehmen, wenn der Erwerber trotz Vorliegens von Verdachtsgründen, die Zweifel an der Berechtigung des Veräußerers wecken müssen, sachdienliche Nachforschungen nicht unternimmt. Wann eine solche Nachforschungspflicht besteht, ist eine Frage des Einzelfalls. Für den Gebrauchtwagenhandel ist nach der Rechtsprechung des BGH, der sich die Kammer anschließt, bei der Bewertung der Umstände, die für den Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeuges eine Nachforschungspflicht hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des Veräußerers begründen, ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.1987 – VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456 [1457] m. w. Nachw.).
Auch unter Zugrundelegung eines strengen Maßstabs bestand für den Kläger über die von ihm eingeholten Informationen hinaus keine weitergehende Nachforschungspflicht. Zwar genügt es für die Annahme der Gutgläubigkeit noch nicht, dass sich der Kläger die – gefälschte – Zulassungsbescheinigung Teil II hat vorlegen lassen. Die Überprüfung der Berechtigung des Veräußerers anhand dieses Dokuments gehört vielmehr lediglich zu den Mindestanforderungen für einen gutgläubigen Erwerb eines Gebrauchtwagens (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 13.09.2006 – VIII ZR 184/05, NJW 2006, 3488 [3489]). Hiervon ausgehend können sich aber weitergehende Nachforschungspflichten ergeben, wenn besondere Umstände den Verdacht des Erwerbers erregen mussten (BGH, Urt. v. 09.10.1963 – VIII ZR 210/62, WM 1963, 1186).
Derartige unberücksichtigt gebliebene weitergehende Nachforschungspflichten bestanden hier nicht. Insbesondere bestanden keine besonderen Verdachtsmomente, wie ein besonders günstiger Kaufpreis, eine verdächtige Veräußerungssituation oder eine verkehrsunübliche Abwicklung des Geschäfts (vgl. MünchKomm-BGB/Oechsler, 5. Aufl., § 932 Rn. 48 ff.).
Der Kläger hat sich nach seiner glaubhaften Einlassung vom Veräußerer L die Zulassungsbescheinigungen Teil I und Teil II vorlegen lassen. In diesen Dokumenten war der Veräußerer L als Berechtigter eingetragen. Der Kläger musste auch keineswegs ohne Weiteres erkennen, dass es sich bei der Zulassungsbescheinigung Teil II um eine Fälschung handelte. Es lag kein Fall vor, in dem die Fälschung, zum Beispiel wegen auffälliger Schreibfehler oder unrichtiger technischer Eintragungen, leicht durchschaubar gewesen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 23.05.1966 – VIII ZR 60/64, WM 1966, 678; MünchKomm-BGB/Oechsler, a. a. O., § 932 Rn. 56). Bei dem gefälschten Papier handelte es sich um ein originales Blankoformular. Auch die vom Veräußerer oder seinen Komplizen vorgenommenen Eintragungen ließen eine Fälschung nicht problemlos erkennen. Dies gilt insbesondere auch für die Behauptung der Beklagten, die fehlende Übereinstimmung der Dokumentennummern der Zulassungsbescheinigungen Teil I und Teil II hätte dem Kläger zwingend auffallen müssen. Auch wenn die fehlende Übereinstimmung dem Kläger aufgefallen wäre, hat der Fälscher mit der Eintragung unter (25) der gefälschten Zulassungsbescheinigung Teil II einem Verdachtsgrund vorgebeugt, indem er den Vermerk aufgenommen hat „BISH. ZULASSUNGSBESCHE. TEIL II / BISH. FAHRZEUGBRIEFNR. … BRIEFVERMERK: U ENTWERTET UND EINGEZOGEN/AUSGEHÄNDIGT“. Es wurde also an eine Erklärung für die unterschiedlichen Dokumentennummern gedacht. Auch für einen Fahrzeughändler wäre deshalb nicht ohne Weiteres durchschaubar gewesen, dass die neue Zulassungsbescheinigung Teil II eine Fälschung sein muss, weil in der Zulassungsbescheinigung Teil I noch die alte Dokumentennummer steht …
Die Originalschlüssel und das Inspektionsheft im Original konnten im Termin vom 04.12.2014 in Augenschein genommen werden. Die Gegenstände befinden sich also im Besitz des Klägers.
Der Kläger hat auch glaubhaft versichert, dass er sich erkundigt hat, ob das Fahrzeug als gestohlen gemeldet wurde. Er hat das Fahrzeug nicht sofort gekauft, sondern Überprüfungen durchgeführt. Der Veräußerer L war damit auch einverstanden und hat dem Kläger die gewünschten Unterlagen zur Verfügung gestellt.
Eine verdächtige Verkaufssituation lag nicht vor.
Anhand der im Termin vom 04.12.2014 vorgelegten Originalrechnungen konnte nachvollzogen werden, dass der Kläger unmittelbar im Anschluss an den Kauf dringende Investitionen in Höhe von über 3.000 € für das Fahrzeug – Reifen, Bremsen – vorgenommen hat. Wegen dieser Investitionen und des weiten Preisspektrums, wobei jeweils auf den Nettopreis abzustellen ist, kann nicht von einem besonders günstigen Kaufpreis ausgegangen werden …