Eine den Rücktritt und die Geltendmachung von Schadensersatz statt der ganzen Leistung ausschließende unerhebliche Pflichtverletzung ist beim Kaufvertrag in der Regel zu verneinen, wenn der Verkäufer über das Vorhandensein eines Mangels arglistig getäuscht hat.
BGH, Urteil vom 24.03.2006 – V ZR 173/05
Sachverhalt: Mit notariellem Vertrag vom 16.08.2002 kauften die Kläger von den Beklagten eine Eigentumswohnung unter Ausschluss der „Gewährleistung“ für Sachmängel. Der Kaufpreis betrug 84.363,16 €. Für Maklerprovision, Grunderwerbsteuer, Gebühren des Grundbuchamts und des beurkundenden Notars wandten die Kläger insgesamt 8.778,91 € auf. Nach der Übergabe der Wohnung stellten die Kläger unter anderem einen Feuchtigkeitsschaden fest, dessen Beseitigung rund 2.500 € kostet. Die Kläger erklärten den Rücktritt vom Vertrag, nachdem die Beklagten die geforderte Nachbesserung abgelehnt hatten. Nunmehr verlangen sie die Rückabwicklung des Kaufvertrags, machen hierzu die Unwirksamkeit des Haftungsausschlusses geltend und behaupten, den Beklagten sei der Schaden schon vor Vertragsschluss bekannt gewesen.
Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Rückzahlung des Kaufpreises und Erstattung der Vertragskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.
Aus den Gründen: [3] I. Das Berufungsgericht steht auf dem Standpunkt, eine Rückabwicklung des Kaufvertrags scheitere daran, dass der Feuchtigkeitsschaden als unerheblicher Mangel i. S. von § 323 V 2 BGB zu qualifizieren sei. Bei einzelfallbezogener Interessenabwägung überwiege das Interesse der Beklagten am Fortbestand des Vertrags. Zulasten der Beklagten sei zwar deren arglistiges Verhalten zu berücksichtigen. Dennoch falle die Interessenabwägung zu ihren Gunsten aus, weil der vergleichsweise geringe Mangelbeseitigungsaufwand von nur 2.500 € nicht die Nachteile aufwiege, die sie bei einer Rückabwicklung erlitten. Die Beklagten müssten bei Rückabwicklung des Vertrags nicht nur den Kaufpreis erstatten, sondern auch die Vertragskosten und ggf. die mit einer vorzeitigen Darlehensablösung einhergehenden Vorfälligkeitszinsen.
[4] II. 1. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
[5] a) Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2, 323, 346 BGB zu Unrecht verneint.
[6] aa) Allerdings geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass die Feuchtigkeitsschäden einen Mangel der Kaufsache bilden. Der Sache nach hat es auch zutreffend zugrunde gelegt, dass sich die Beklagten nach § 444 BGB auf den vereinbarten Haftungssausschluss insoweit nicht berufen können, weil ihnen der Mangel bekannt gewesen sei …
[7] bb) Rechtsfehlerhaft ist indessen die Annahme, es liege lediglich eine den Rücktritt ausschließende unerhebliche Pflichtverletzung i. S. des § 323 V 2 BGB vor. Dabei kann offenbleiben, ob es bei Mangelbeseitigungskosten von 2.500 € noch gerechtfertigt sein kann, eine unerhebliche Pflichtverletzung zu bejahen … Denn selbst bei einer nach objektiven Gesichtspunkten geringfügigen Pflichtverletzung kann der Käufer zumindest grundsätzlich die Rückabwicklung des Vertrags verlangen, wenn der Verkäufer – wie hier – einen Mangel arglistig verschwiegen hat.
[8] (1) Die durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz mit Wirkung zum 01.01.2002 eingeführte Vorschrift des § 323 V 2 BGB löst unter anderem die bisher für das Kaufrecht maßgebliche Regelung des § 459 I 2 BGB a.F. ab. Während nach der früheren Gesetzeslage die Gewährleistungshaftung des Verkäufers bei Unerheblichkeit insgesamt entfiel, wird nach heutigem Recht lediglich die Rückabwicklung des Kaufvertrags ausgeschlossen; das Recht auf Minderung und der Anspruch auf kleinen Schadensersatz bleiben dem Käufer auch bei Unerheblichkeit des Mangels erhalten.
[9] (2) Bereits nach altem Recht war umstritten, ob der Haftungsausschluss bei geringfügigen Mängeln auch dann gelten sollte, wenn der Verkäufer diese arglistig verschwiegen hatte …
[10] (3) Auch unter der Geltung des neuen Schuldrechts besteht keine Einigkeit über die Berücksichtigung der Arglist. Den Gegenstand der Auseinandersetzung bildet nunmehr die Frage, ob der in § 323 V 2 BGB geregelte Ausschluss der Rückabwicklung eines Vertrags auch dem arglistigen Verkäufer zugutekommen soll (die Frage bejahend AnwKomm-BGB/Dauner-Lieb, § 323 Rn. 36; Faust, in: Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 437 Rn. 27; Soergel/Gsell, BGB, 13. Aufl., § 323 Rn. 216; verneinend Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl., Rn. 1442, 1616; vermittelnd Palandt/Grüneberg, BGB, 65. Aufl., § 323 Rn. 32 und Staudinger/Otto, BGB, Neubearb. 2004, § 323 C 30, die ein arglistiges Verhalten des Verkäufers im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung berücksichtigen wollen).
[11] (4) Der Senat entscheidet die Rechtsfrage europarechtskonform (Art. 3 VI, Art. 8 II der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, abgedruckt in NJW 1999, 2421 ff.) dahin, dass eine unerhebliche Pflichtverletzung i. S. von § 323 V 2 BGB zumindest in der Regel zu verneinen ist, wenn dem Verkäufer arglistiges Verhalten zur Last fällt.
[12] § 437 Nr. 2 BGB verweist bei Vorliegen eines Mangels auf die den Rücktritt von gegenseitigen Verträgen betreffende Vorschrift des § 323 BGB. Anders als § 459 I 2 BGB a.F. knüpft § 323 V 2 BGB nicht an die Unerheblichkeit des Mangels an, sondern über das Merkmal der Pflichtwidrigkeit an ein Verhalten des Schuldners. Das lässt Raum für die Berücksichtung arglistigen Verhaltens. Da die Verletzung der Pflicht zur Verschaffung einer mangelfreien Sache (vgl. §§ 434, 437 BGB; BT-Dr. 14/6040, S. 209, 219 f.) bei Arglist ein anderes Gewicht erhält als im Regelfall, in dem ein Verkäufer unter Beachtung der grundlegenden Redlichkeitsanforderungen des Geschäftsverkehrs eine mangelhafte Sache liefert (vgl. auch BT-Dr. 14/6040, S. 210), erscheint es sachgerecht, diesem qualitativ erheblichen Unterschied auch bei der Konkretisierung des Merkmals der Unerheblichkeit Rechnung zu tragen …
[13] Die Vorschrift des § 325 V 2 BGB enthält eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung des § 323 I BGB, die dem Gläubiger bei einer Pflichtverletzung des Schuldners generell ein Rücktrittsrecht einräumt. Diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis liegt eine Abwägung der Interessen des Gläubigers und des Schuldners zugrunde. Während der Gesetzgeber bei einer mangelhaften Leistung grundsätzlich dem Rückabwicklungsinteresse des Gläubigers den Vorrang einräumt, soll dies ausnahmsweise bei einer unerheblichen Pflichtverletzung nicht gelten, weil das Interesse des Gläubigers an einer Rückabwicklung bei nur geringfügigen Vertragsstörungen in der Regel gering ist, wohingegen der Schuldner oft erheblich belastet wird (vgl. auch Erman/Grunewald, BGB, 11. Aufl., § 437 Rn. 7; ähnlich Soergel/Gsell, a. a. O., § 323 Rn. 213). Daher überwiegt in diesen Fällen ausnahmsweise das Interesse des Schuldners am Bestand des Vertrags. Bei typisierender Betrachtung scheidet ein überwiegendes Interesse des Schuldners jedoch aus, wenn dieser arglistig gehandelt hat. Wird der Abschluss eines Vertrags durch arglistiges Verhalten einer Partei herbeigeführt, so verdient deren Vertrauen in den Bestand des Rechtsgeschäfts keinen Schutz (vgl. Senat, Urt. v. 11.05.1979 – V ZR 75/78, NJW 1979, 1983 [1984]). Vielmehr bleibt es in diesen Fällen bei dem allgemeinen Vorrang des Gläubigerinteresses an einer Rückabwicklung des Vertrags, ohne dass es hierzu einer weiteren Abwägung bedürfte. Ob dies selbst dann gilt, wenn die Pflichtverletzung des Verkäufers trotz Vorliegens einer arglistigen Täuschung derart unbedeutend ist, dass eine verständige Vertragspartei ohne Weiteres am Vertrag festhalten würde – was bei Mängeln mit Bagatellcharakter in Betracht zu ziehen ist –, braucht nicht entschieden zu werden, weil davon vorliegend keine Rede sein kann.
[14] b) Die Abweisung des Anspruchs auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen ist nicht im Ergebnis aus anderen Gründen richtig. Die Kläger sind wirksam von dem Kaufvertrag zurückgetreten. Einer Fristsetzung bedurfte es nicht, weil die Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 29.04.2004 eine Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert haben (§ 323 II Nr. 1 BGB). Der Zinsanspruch ist aus § 291 BGB begründet.
[15] 2. Ist der Kaufvertrag danach rückabzuwickeln, erweist sich die Abweisung der Klage auch im Übrigen als rechtsfehlerhaft.
[16] a) Der Anspruch auf Erstattung der Vertragskosten findet seine Grundlage in §§ 437 Nr. 3, 284 BGB. Dieses Recht steht dem Käufer einer mangelhaften Sache nach § 325 BGB auch dann zu, wenn er – wie hier – wegen des Mangels den Rücktritt von dem Kaufvertrag erklärt hat (vgl. auch BT-Dr. 14/6040 S. 221; BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 275/04, NJW 2005, 2848).
[17] b) Der Antrag, die weitere Schadensersatzpflicht der Beklagten festzustellen, hat Erfolg. Das gemäß § 256 I ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Kläger zu einer abschließenden Bezifferung des ihnen entstandenen Schadens derzeit nicht in der Lage sind. In der Sache ist das Feststellungsbegehren aus §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB begründet. Der Befugnis der Kläger, Schadensersatz statt der ganzen Leistung zu verlangen, steht schon deshalb nicht § 281 I 3 BGB entgegen, weil eine unerhebliche Pflichtverletzung nicht vorliegt. Insoweit müssen die gleichen Maßstäbe wie bei § 323 V 2 BGB gelten, weil nur so der vom Gesetzgeber gewollte Gleichlauf von beiden auf die Liquidation des Vertrags gerichteten Rechtsbehelfen (vgl. BT-Dr. 14/7052, S. 185) erreicht werden kann …
[19] 3. Nach allem hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist i. S. von § 563 III ZPO. Weitere Feststellungen kommen nicht in Betracht.