Ein Neuwagen, der nicht wie vom Hersteller angegeben durchschnittlich 9,7–9,8 Liter Kraftstoff pro 100 Kilometer, sondern im Durchschnitt 10,8 Liter pro 100 Kilometer verbraucht, weist einen erheblichen Sachmangel auf.
LG Duisburg, Urteil vom 06.06.2003 – 1 O 117/03
Sachverhalt: Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger wegen eines angeblich zu hohen Kraftstoffverbrauchs zur Wandlung eines zwischen den Parteien im Jahr 2000 geschlossenen Kaufvertrages über einen neuen Audi A6 Avant berechtigt ist.
Der Kläger bestellte im August 2000 bei der Beklagten das in deren Geschäftsräumen zur Ansicht ausgestellte Neufahrzeug. Auf Nachfragen zu technischen Details wurden dem Kläger unter anderem diverse Prospekte vorgelegt. Insbesondere wurde er hinsichtlich des Kraftstoffverbrauchs auf den vom Pkw-Hersteller stammenden Prospekt „A6 Details“ verwiesen. Darin war der nach den maßgeblichen EG-Vorschriften ermittelte Verbrauch mit durchschnittlich 9,7–9,8 l/100 km angegeben. Bei der Auslieferung des Fahrzeugs wurde dem Kläger ein Serviceheft übergeben, aus dem ein Durchschnittsverbrauch von 10,8 l/100 km hervorging. Ein Schild mit demselben Verbrauchswert war auch an einer Stelle im Kofferraum des Wagens unterhalb des Ersatzreifens angebracht.
Der Kläger wandte sich im November desselben Jahrs an die Beklagte und verlangte Abhilfe hinsichtlich der von ihm als zu hoch empfundenen Verbrauchswerte. Diese wurde ihm nach einer gemeinsamen Probefahrt allerdings mit der Begründung verweigert, der Verbrauch liege im Normbereich. Nachdem ein weiterer Verbrauchstest bei einer VW-Niederlassung in Krefeld zu keiner Klärung der Angelegenheit führte, beantragte der Kläger am 24.08.2001 im selbstständigen Beweisverfahren die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage des Verbrauchs des Pkw. Es wurde eine Verbrauchsüberschreitung von 10,2 % gegenüber den Werten in der Verkaufsbroschüre festgestellt.
Mit Schreiben vom 02.10.2002 erklärte der Kläger die Wandlung des Kaufvertrags und setzte der Beklagten erfolglos eine Frist zur Rückzahlung des Kaufpreises.
Die im Wesentlichen auf Zahlung von 33.871,80 € nebst Zinsen gerichtete Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung des geltend gemachten Betrages nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw verlangen.
a) Dem Kläger steht zunächst ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 75.500 DM (= 38.602,54 €) aus §§ 346 I, 467 Satz 1, 465, 462, 459 I, 433 BGB a.F. zu.
aa) Auf das Rechtsverhältnis der Parteien ist das BGB in der Fassung anzuwenden, die es am 01.01.2002 besaß …
bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten war diese nicht berechtigt, ihr Einverständnis mit der vom Kläger im Schreiben vom 02.10.2002 erklärten Wandlung zu verweigern. Denn der verkaufte Audi A6 Avant weist einen Mangel im Sinne der gewährleistungsrechtlichen Vorschriften auf. Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte dem Kläger eine bestimmte Höhe des Kraftstoffverbrauchs als Eigenschaft i. S. des § 459 I 2 BGB a.F. zugesichert hat. Es liegt ein Fehler der Kaufsache gemäß § 459 I BGB a.F. vor.
aaa) Die vom Sachverständigen N im vorangehenden selbstständigen Beweisverfahren festgestellten Ist-Verbrauchswerte des Audi A6 Avant von durchschnittlich 10,8 l/100 km weichen von der vertraglich vereinbarten Sollbeschaffenheit der Kaufsache ab. Vertragsinhalt war nämlich ein Verbrauch von durchschnittlich 9,7–9,8 l/100 km, wie er in dem Prospekt „A6 Details“ angegeben ist, und nicht etwa der höhere Wert aus dem … Serviceheft. Das ergibt sich aus einer Auslegung der wechselseitigen Willenserklärungen der Parteien beim Vertragsschluss.
Bei der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen ist gemäß §§ 133, 157 BGB auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen und jeweils zu prüfen, wie ein objektiver Dritter in der Rolle des Erklärungsempfängers die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte redlicherweise verstehen durfte. Maßgebliche Bedeutung kommt hierbei neben dem Wortlaut einer Erklärung den Umständen zu, unter denen sie abgegeben wurde. So ist insbesondere ein Verkaufsprospekt, der bei den Vertragsverhandlungen von beiden Seiten zugrunde gelegt wird, bei der Auslegung der entsprechenden Willenserklärungen zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 12.02.1981 – IVa ZR 103/80, NJW 1981, 2295).
Vorliegend hat die Beklagte dem Kläger durch ihre Mitarbeiter unstreitig auf entsprechende Nachfrage den Verkaufsprospekt der Herstellerfirma des Pkw vorgelegt, sodass die darin verzeichneten Verbrauchswerte bei der Auslegung des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags, der in der Unterzeichnung der verbindlichen Bestellung durch den Kläger … zu erblicken ist, zu berücksichtigen waren. Aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Rolle des Erklärungsempfängers war das Angebot des Klägers auf den ausgestellten Audi A6 Avant mit einem Soll-Verbrauchswert in der aus der Verkaufsbroschüre hervorgehenden Höhe gerichtet. Aus der im Kofferraum des Pkw angebrachten Verbrauchsplakette ergibt sich nichts anderes. Denn diese war derart versteckt unter dem Reserverad angebracht, dass der Kläger selbst bei eingehender Besichtigung des Wagens diese gar nicht wahrnehmen konnte.
Die Annahmeerklärung der Beklagten war gleichfalls auf die entsprechende Verbrauchshöhe gerichtet. Sie hat widerspruchslos die Bestellung entgegengenommen und ausgeführt und damit ihre Annahme bekundet, ohne, was ihr ohne Weiteres möglich gewesen wäre, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie die Verbrauchswerte in dem Serviceheft für maßgeblich hielt. Ein objektiver Dritter in der Rolle des Klägers als Empfänger der Annahmeerklärung durfte deshalb davon ausgehen, dass ein Vertrag mit dem Inhalt des Angebots zustande kommen sollte. Daran ändert auch die spätere Übergabe des Servicehefts nichts. Sie kann für die Auslegung der Vertragserklärungen überhaupt nicht herangezogen werden, weil zu diesem Zeitpunkt der Vertrag mit den niedrigeren Soll-Verbrauchswerten bereits geschlossen war.
bbb) Der festgestellte Mehrverbrauch beruht auch eindeutig auf den Eigenschaften des Audi A6 Avant und nicht auf der vom Kläger angebrachten besonderen Bereifung. Die vom Sachverständigen durchgeführten Verbrauchstests wurden nämlich mit der zwischenzeitlich vom Kläger besorgten Serienbereifung durchgeführt.
ccc) Die Überschreitung der vertraglich vereinbarten Verbrauchswerte stellt auch keine lediglich unerhebliche Wertminderung i. S. des § 459 I 2 BGB a.F. dar.
(1) Selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass zum Zeitpunkt des Kaufs eine Regelung in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen … festlegte, dass bei Vertragsabschluss gültige Beschreibungen nur als annähernd zu betrachten sind, so muss gleichwohl von einer durchschnittlichen Überschreitung des Solll-Verbrauchs von jedenfalls mehr als 10 % ausgegangen werden. Der Sachverständige N hat Werte von 10,2 % für den Durchschnittsverbrauch und 6,9 % für den außerstädtischen bzw. 11,8 % für den städtischen Verkehr gegenüber den Angaben des Verkaufsprospekts festgestellt. In diesem Prospekt „A6 Details“ ist für den Verbrauch aber mit der Angabe von 9,7–9,8 l/100 km bereits eine Schwankungsbreite von einem zehntel Liter aufgeführt. Innerhalb dieser Schwankungsbreite sind die Werte auch nach der AGB-Klausel verbindlich. Wollte man der genannten Klausel demgegenüber den Sinn beimessen, dass über die im Prospekt angegebene hinaus eine weitere Schwankungsbreite vom Käufer hinzunehmen sei, wäre die Klausel wegen einer unzumutbaren Benachteiligung des Käufers gemäß § 9 I AGBG von vornherein unwirksam.
(2) Der BGH hat unter Auswertung der untergerichtlichen Rechtsprechung in zwei Grundsatzentscheidungen aus den Jahren 1996 und 1997 (BGH, Urt. v. 14.02.1996 – VIII ZR 65/95, NJW 1996, 1337; Urt. v. 18.06.1997 – VIII ZR 52/96, NJW 1997, 2590) entschieden, dass bei Neuwagen eine Abweichung im Kraftstoffverbrauch von weniger als 10 % noch als unerheblich angesehen werden kann. Im Gegenschluss lässt sich dieser Rechtsprechung entnehmen, dass eine – wenn auch geringe – Überschreitung der 10 %-Grenze einen erheblichen Fehler darstellt. Dem ist entgegen den vorgebrachten Bedenken der Beklagten, die mit einigen früheren untergerichtlichen Entscheidungen (LG Aachen, NJW-RR 1989, 1462; LG Braunschweig, DAR 1989, 424; LG Aachen, MDR 1992, 231) von einem Grenzwert von 20 % ausgeht, sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu folgen. Abgesehen davon, dass die von der Beklagten zitierten Entscheidungen es an keiner Stelle ausschließen, dass auch eine Abweichung von knapp über 10 % erheblich sein kann, hat die Grenzziehung des BGH den Vorteil der Praktikabilität und berücksichtigt das gestiegene Umweltbewusstsein heutiger Autokäufer, ohne allzu kleinlichen Gewährleistungswünschen Vorschub zu leisten.
Die Tatsache, dass im außerstädtischen Verkehr vorliegend nur eine Abweichung von 6,9 % festgestellt wurde, spielt demgegenüber keine Rolle. Nach der zutreffenden Auffassung des BGH ist nämlich stets auf den nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften … ermittelten Durchschnittsverbrauch abzustellen, der hier eine Überschreitung von 10,2 % gegenüber den vertraglich vereinbarten Soll-Verbrauchswerten aufwies.
b) Gegen diesen Zahlungsanspruch besteht allerdings ein aufrechenbarer Gegenanspruch der Beklagten auf Erstattung der Gebrauchsvorteile, die der Kläger durch die Benutzung des Audi A6 Avant seit dem Kauf gezogen hat. Dieser Anspruch folgt vor der Kenntnis der Wandlungsvoraussetzungen aus einer entsprechenden Anwendung des § 327 Satz 2 BGB a.F., danach aus §§ 467 Satz 1, 347 Satz 2, 987 I BGB a.F. und ist dem Grunde nach zwischen den Parteien auch unstreitig. Einer Klärung bedurfte allein die Frage, mit welchem Betrag die ebenfalls unstreitige Laufleistung von ca. 25.000 km im Rahmen der richterlichen Schätzung gem. § 287 II ZPO zu bewerten ist. Das Gericht folgt hier dem Ansatz des Klägers mit einem Betrag von 4.730,74 €.
Den korrekten Ansatzpunkt für eine angemessene Erfassung des infolge der Benutzung eintretenden Wertverlusts bietet eine anteilige lineare Abschreibung des Fahrzeugwerts im Verhältnis zu der zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs (vgl. zu dieser Formel OLG Hamm, NJW 1997, 2121; OLG Köln, NJW 1987, 2520). Insofern lässt sich der Gebrauchsvorteil nach der Formel
$$\text{Gebrauchsvorteil} = {\frac{\text{Kaufpreis}\times\text{Laufleistung in Kilometern}}{\text{Erwartete Gesamtlaufleistung in Kilometern}}}$$
berechnen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten und der von ihr herangezogenen Rechtsprechung (OLG Hamm, NJW-RR 1994, 375; NJW-RR 1988, 1140; OLG Köln, NJW 1987, 2520) ist für die zu erwartende Gesamtlaufleistung allerdings nicht der Standardwert von 150.000 km, der bei der von der Beklagten angestellten Berechnung einem Multiplikator von 0,67 % entspricht, sondern ein Wert von jedenfalls 200.000 km anzusetzen. Denn bei dem Audi A6 Avant handelt es sich schon ausweislich des Kaufpreises von mehr als 75.000 DM um ein Fahrzeug der gehobenen Mittelklasse, für das eine durchschnittliche Gesamtlaufleistung von lediglich 150.000 km nicht realistisch erscheint. Es ist angesichts der hohen Fertigungsqualität solcher Fahrzeuge vielmehr gerechtfertigt, von einer erhöhten Gesamtlaufleistung auszugehen, die der Kläger mit 200.000 km zutreffend beziffert hat (vgl. auch BGH, Urt. v. 14.02.1996 – VIII ZR 65/95, NJW 1996, 1337, wo hinsichtlich eines Volvo 945 Automatik eine Gesamtlaufleistung von 200.000 km angenommen wurde, sowie LG Dortmund, NJW 2001, 3196, wonach bei einem fabrikneuen BMW 530 Touring eine Gesamtfahrleistung von sogar 250.000 km anzusetzen ist).
Den Gegenanspruch hat der Kläger bereits von sich aus bei Einreichung der Klage berücksichtigt, sodass es auf eine Aufrechnungserklärung der Beklagten insoweit nicht ankommt und auch eine Reduzierung der Klageforderung um diesen Betrag ausscheidet.
c) Auf den danach zugesprochenen Betrag kann der Kläger … die Zahlung von Zinsen … seit dem 17.10.2002 verlangen. In dem Schreiben vom 02.10.2002 war neben einer Wandlungserklärung auch eine wirksame Mahnung enthalten. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Anspruch von einer Gegenleistung abhängt, setzt eine wirksame Mahnung neben einer ernsthaften Zahlungsaufforderung voraus, dass die Gegenleistung in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten wird. Diese Anforderungen hat der Kläger eingehalten. Neben der Fristsetzung zur Zahlung bis zum 16.10.2002 enthält das Schreiben nämlich die Aussage, das Fahrzeug stehe nach Eingang der Zahlung zur Verfügung der Beklagten. Dies war als wörtliches Angebot zur Begründung des Annahmeverzugs ausreichend, da es eines tatsächlichen Angebots i. S. von § 294 BGB nicht bedurfte, nachdem die Parteien ausweislich der Rechnung vom 24.08.2000 die Überführung des Audi A6 Avant zum Kläger und damit ursprünglich eine Bringschuld vereinbart hatten, die sich bei der Rückabwicklung in eine Holschuld der Beklagten i. S. von § 295 I Fall 2 BGB umwandelt.
d) Da sich bei der durchzuführenden Rückabwicklung des Kaufvertrags gemäß §§ 467 Satz 1, 346 Satz 1 BGB a.F. einerseits der um die angerechneten Gebrauchsvorteile verminderte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises und andererseits der Anspruch auf Rückgabe und Rückübereignung des Pkw gegenüberstehen, war gemäß § 348 Satz 1 BGB a.F. die Verurteilung nur Zug um Zug auszusprechen …