- Ein Gebrauchtwagen, der eine Laufleistung von etwa 145.000 km haben soll, tatsächlich aber eine Laufleistung von mehr als 170.000 km aufweist, ist mit einem nicht geringfügigen Mangel behaftet. Dieser Mangel berechtigt den Käufer ohne Weiteres zu einem Rücktritt vom Kaufvertrag, weil eine Nacherfüllung insgesamt unmöglich ist.
- Die Angabe eines Kilometerstands in einem Kfz-Kaufvertrag ist – solange sich aus den Umständen und der Formulierung nicht anderes ergibt – aus der nach §§ 133, 157 BGB maßgeblichen Sicht des Käufers auch dann als Angabe der tatsächlichen Laufleistung des Fahrzeugs zu verstehen, wenn der Verkäufer kein Kfz-Händler ist.
AG Rheda-Wiedenbrück, Urteil vom 28.11.2002 – 4 C 209/02
Sachverhalt: Der Kläger erwarb am 25.04.2002 von dem Beklagten einen gebrauchten VW Golf II (Baujahr 1992) für 950 €. Dieses Fahrzeug hatte der Beklagte in einem am 24.04.2002 veröffentlichten Zeitungsinserat für 1.150 € zum Kauf angeboten. Das Inserat enthielt unter anderem den Vermerk „ca. 145 tkm“.
Mit der Klage hat der Kläger den Beklagten auf Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen in Anspruch genommen und in der Klageschrift vom 04.06.2002 den Rücktritt von dem mit dem Beklagten geschlossenen Kaufvertrag erklärt. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, dass der von ihm erworbene Pkw im Zeitpunkt des Verkaufs tatsächlich eine Laufleistung von weit über 170.000 km aufgewiesen habe. Schon am 09.06.2001 sei das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von circa 170.000 verkauft worden, und der Erwerber habe es dann noch bis zum 14.03.2002 genutzt.
Die Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 29 ZPO, wobei der Erfüllungsort bei der Rückabwicklung von Kaufverträgen der Ort ist, an dem sich die Kaufsache zum Zeitpunkt des Rücktritts vertragsgemäß befindet (BGH, Urt. v. 09.03.1983 – VIII ZR 11/82, BGHZ 87, 104, 110). Hinsichtlich des Antrags auf Feststellung des Annahmeverzugs besteht ein besonderes Feststellungsinteresse, da gleichzeitig eine Leistung Zug um Zug begehrt wird (BGH, Urt. v. 31.05.2000 – XII ZR 41/98, NJW 2000, 2663, 2664; Schilken, JZ 2001, 199, 201).
Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises ist begründet aus § 346 I BGB i. V. mit § 434 I 1, § 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323, 326 V BGB. Die Tatsache, dass die tatsächliche Laufleistung des Pkw mehr als 170.000 km beträgt, stellt einen Mangel dar, der den Kläger zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt.
Die Vorschrift des § 437 Nr. 2 Fall 1 BGB gewährt ein Rücktrittsrecht bei Vorliegen eines Mangels, wobei zur Feststellung eines Mangels gemäß § 434 I 1 BGB vorrangig die vereinbarte Beschaffenheit zu berücksichtigen ist. Die Eignung zur gewöhnlichen Verwendung gemäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB ist nur von Bedeutung, wenn keine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt. Die Regelung des § 434 I 3 BGB, die sich mit öffentlichen Äußerungen und Werbung befasst, bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur auf diese Eignung zur gewöhnlichen Verwendung. Auf die beiden letztgenannten Normen kommt es im vorliegenden Fall nicht an, da schon ein Sachmangel nach § 434 I 1 BGB vorliegt.
Vereinbart war zwischen den Parteien, dass ein Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 145.000 km verkauft werden sollte, während der Wagen tatsächlich jedenfalls mehr als 170.000 km gefahren ist.
Dies steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Zeuge U hat bezeugt, dass das Fahrzeug bereits am 09.06.2001 ndash; also ein Jahr vor dem Vertragsschluss zwischen den Parteien – einen Kilometerstand von 170.036 aufwies. Der Zeuge U kann die Laufleistung so konkret beziffern, da er damals anlässlich des Verkaufs des Wagens den Kilometerstand abgelesen und schriftlich im Kaufvertrag festgehalten hat. Diese Aussage ist glaubhaft; Anhaltspunkte dafür, dass der Aussage des Zeugen U, der in keinerlei Beziehung zu den Parteien steht und auch kein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, kein Glauben zu schenken ist, bestehen nicht. … Wenn der Kilometerstand im Jahr 2001 einen Wert von 170.036 – unabhängig davon, ob es sich dabei um die tatsächliche Laufleistung oder nur um die Tachoangabe handelte – aufwies, dann kann die tatsächliche Laufleistung im Jahr 2002 jedenfalls nicht unter diesem Wert liegen.
Vereinbart war zwischen den Parteien jedoch eine tatsächliche Laufleistung von nicht mehr als 145.000 km. Dies ergibt sich bei Berücksichtigung der im Inserat genannten Daten, die Vertragsbestandteil geworden sind. Der Inhalt des Inserats ist – abgesehen von dem Kaufpreis, der einvernehmlich geändert wurde – in den am 25.04.2002 abgeschlossenen Kaufvertrag übernommen worden, da beide Parteien sich bei den Vertragsverhandlungen auf das Inserat bezogen haben. Die Angabe „ca. 145 tkm“ bezog sich dabei nicht lediglich auf den Tachostand, sondern auf die tatsächliche Laufleistung. Die Erklärung des Verkäufers ist wie jede Willenserklärung gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen. Der Vortrag des Beklagten, er habe lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass der Tachostand 145.000 km nicht überschritten habe, führt nicht dazu, dass nur dies Vertragsgegenstand geworden wäre, sondern berechtigt höchstens zur Anfechtung wegen eines Irrtums. Die Angabe eines Kilometerstands in einem Kaufvertrag ist – solange sich aus den Umständen und der Formulierung nicht anderes ergibt – so zu verstehen, dass die tatsächliche Laufleistung dem angegebenen Wert entspricht, unabhängig davon, ob es sich bei dem Verkäufer um einen Händler oder eine Privatperson handelt. Der Verkäufer hat es in der Hand, durch eindeutige Formulierungen wie etwa „Angabe laut Tacho“ oder „nach Auskunft des Voreigentümers“ entsprechende Unklarheiten zu beseitigen. Gibt der Verkäufer ohne weitere Erklärungen eine Kilometerzahl an, muss ein durchschnittlicher Käufer unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizontes davon ausgehen, es handele sich bei dem Wert um die tatsächliche Laufleistung (OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.06.1999 – 22 U 256/98, NJW-RR 2000, 505, 506).
Anhaltspunkte dafür, dass im konkreten Fall lediglich der Tachostand gemeint gewesen sein sollte, bestanden für den Käufer nicht. Der bloße Hinweis des Verkäufers, er habe den Wagen selbst erst kurz zuvor erworben, reicht dazu nicht aus. Auf die Rechtsprechung, die zur Zusicherung von bestimmten Laufleistungen gemäß § 459 BGB a.F. durch Angabe eines Kilometerstands ergangen ist, kann nur eingeschränkt zurückgegriffen werden, da keine Abgrenzung mehr zwischen Fehlern und zugesicherten Eigenschaften vorgesehen ist und an eine Beschaffenheitsvereinbarung nach neuem Recht geringere Anforderungen zu stellen sind als für eine Zusicherung nach altem Recht (für eine Zusicherung bereits nach altem Recht: OLG Nürnberg, Urt. v. 03.03.1997 – 5 U 3329/96, NJW-RR 1997, 1212, 1213; OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.06.1999 – 22 U 256/98, NJW-RR 2000, 505, 506).
Der Rücktritt wegen der falschen Angabe der tatsächlichen Laufleistung ist auch nicht ausgeschlossen. Insbesondere liegt kein genereller Gewährleistungsausschluss vor. Ein (vollständiger) Gewährleistungsausschluss ist zwar zwischen Privatpersonen gemäß § 444 BGB grundsätzlich möglich, der insoweit beweisbelastete Beklagte kann jedoch nicht beweisen, dass beide Parteien sich über einen Ausschluss sämtlicher Gewährleistungsansprüche geeinigt haben. Der Zeuge B hat bekundet, der Beklagte habe, als der Kläger vom Hof fahren wollte, gesagt, wenn er jetzt mit dem Fahrzeug den Hof verlasse, gebe er keine Garantie. Auf diesen Hinweis habe der Kläger nicht reagiert. Diese durchaus glaubhafte Schilderung des Zeugen lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass beide Parteien einvernehmlich einen Gewährleistungsausschluss vereinbart haben. Auch der Hinweis des Beklagten, er gebe keine Garantie, ist auslegungsbedürftig. Es ist nicht unüblich, dass Privatpersonen, die nicht über juristische Fachkenntnisse verfügen, von Garantie sprechen, aber Gewährleistungsansprüche meinen, da der Unterschied zwischen Gewährleistung gemäß § 437 BGB und Garantie i. S. von § 443 I BGB nicht allgemein bekannt ist. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass im vorliegenden Fall ein objektiver Empfänger die Erklärung des Beklagten nicht so verstehen konnte, dass sämtliche Gewährleistungsansprüche ausgeschlossen sein sollten. Wegen der Tragweite und Bedeutung eines umfänglichen Gewährleistungsanspruchs ist für die Annahme einer solchen Regelung von hohen Voraussetzungen auszugehen, die im vorliegenden Fall nicht erreicht werden. Gerade der Hinweis, wenn der Käufer jetzt von Hof fahre, sei die Garantie ausgeschlossen, kann im Umkehrschluss bedeuten, dass die Gewährleistung nicht vollständig und unter allen Umständen ausgeschlossen werden sollte. Es ist auch möglich, die Aussage dahin gehend zu verstehen, der Verkäufer übernehme keinerlei Verantwortung für die Folgen, wenn der Käufer mit einem nicht angemeldeten und zugelassenen Fahrzeug vom Hof fahre. Hätte der Verkäufer die Gewährleistung eindeutig ausschließen wollen, wäre dies ohne Weiteres durch Benutzung der Formulierung „gekauft wie gesehen“ oder ähnlicher Klauseln, die auch ohne juristische Vorbildung bekannt sind, möglich gewesen.
Weiter spricht die Tatsache, dass erst in dem Moment über die Garantie gesprochen wurde, als der Kläger bereits vom Hof fahren wollte, gegen die wirksame Vereinbarung eines Gewährleistungsausschlusses. Damit der Gewährleistungsausschluss Vertragsbestandteil wird, muss er vor oder zumindest bei dem endgültigen Vertragsschluss vereinbart werden. Es genügt nicht, wenn der Verkäufer anschließend erklärt, er übernehme für den Wagen nach dem Verlassen des Grundstücks keine Garantie mehr. Zwar ist insoweit die nachträgliche Vereinbarung eines Gewährleistungsausschlusses durch Parteivereinbarung möglich, allerdings fehlt es insoweit an einer zustimmenden Willenserklärung des Klägers, da dieser sich nicht – zumindest nicht vorbehaltslos zustimmend – zu dem ihm angetragenen Gewährleistungsausschluss geäußert hat.
Der Kläger muss sich nicht mit dem an sich vorrangigen Nacherfüllungsanspruch begnügen, sondern kann ohne vorheriges Nacherfüllungsverlangen von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch machen. Für den Fall, dass eine Nacherfüllung gemäß § 439 BGB nicht möglich ist, kann der Käufer unmittelbar die ihm nach § 437 Nr. 2 BGB zustehenden Ansprüche verfolgen. Beide Arten der Nacherfüllung, die Beseitigung des Mangels und die Lieferung einer mangelfreien Sache, sind nach § 275 I BGB ausgeschlossen. Aus einem Fahrzeug mit einer tatsächlichen Laufleistung von mehr als 170.000 km kann durch Nachbesserung kein Fahrzeug mit einer geringeren Laufleistung werden, und eine Ersatzlieferung kommt nicht in Betracht, weil es sich bei Gebrauchtwagen um eine nicht ersetzbare Stückschuld handelt.
Das Rücktrittsrecht ist auch nicht wegen der Geringfügigkeit des Mangels gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen. Der Ausschluss des Rücktrittsrechts bei unerheblichen Mängeln entspricht der Bagatellgrenze des § 459 I 2 BGB a.F. Um einen solchen Bagatellmangel handelt es sich im vorliegenden Fall aber nicht, da die Abweichung zwischen tatsächlicher und angegebener Laufleistung mehr als 20 % beträgt.
Eine Fristsetzung zur Erfüllung, wie sie § 323 I BGB grundsätzlich vor dem Rücktritt verlangt, ist entbehrlich, da ein Fall des § 326 V 1 BGB vorliegt. Die Vorschrift sieht vor, dass ein Rücktritt ohne vorherige Fristsetzung möglich ist, wenn der Schuldner, also im vorliegenden Fall der Beklagte, wegen Unmöglichkeit gemäß § 275 BGB nicht leisten muss. Diese Voraussetzung ist gegeben: Der Beklagte kann die Verpflichtung, den beabsichtigten Gebrauchtwagen mit einer tatsächlichen Laufleistung von 145.000 km zu übereignen, nicht erfüllen; insoweit liegt ein Fall der Unmöglichkeit nach § 275 I BGB vor.
Schließlich hat der Kläger in der Klageschrift vom 04.06.2002 auch den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt.
Der geltend gemachte Zinsanspruch ist begründet aus §§ 280 I und II, 286 I, 288 I BGB sowie aus § 291 BGB.
Der Antrag auf Feststellung, dass der Beklagte sich in Annahmeverzug befindet, ist ebenfalls begründet. Es liegen die Voraussetzungen für einen Annahmeverzug nach §§ 293, 295, 298 BGB vor. Der Annahmeverzug ergibt sich daraus, dass der Beklagte die Rückzahlung des Kaufpreises nach dem Rücktritt des Klägers verweigert hat, während dieser Rückgabe des Gebrauchtwagens Zug um Zug angeboten hat. Das wörtliche Angebot des Klägers reichte gemäß § 295 Satz 1 Fall 1 BGB aus, da sich aus den außergerichtlichen und gerichtlichen Erklärungen der Beklagten die Ablehnung der Rücknahme des Pkw jedenfalls Zug um Zug gegen Erstattung des Kaufpreises ergibt (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.1996 – V ZR 292/95, NJW 1997, 581).