1. Ein Gericht überspannt die Anforderungen an die Kenntnisse eines privaten Autoverkäufers, wenn es ihn für verpflichtet hält, aus einer auch dem Käufer bekannten Fehlermeldung (hier: dem Aufleuchten der MIL-Kontrollleuchte) den richtigen Schluss zu ziehen und den Käufer dementsprechend technisch korrekt aufzuklären.
  2. Derjenige, der gutgläubig falsche Angaben macht, handelt grundsätzlich nicht arglistig, mag der gute Glaube auch auf Fahrlässigkeit oder selbst auf Leichtfertigkeit beruhen. Anders ist es, wenn der Verkäufer auf Fragen des Käufers falsche Angaben ohne tatsächliche Grundlage („ins Blaue hinein“) macht, mit deren Unrichtigkeit er rechnet. Wer so antwortet, handelt grundsätzlich bedingt vorsätzlich.

BVerfG, Beschluss vom 03.03.2015 – 1 BvR 3271/14

Sachverhalt: Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Rechtsstreit aus dem Kaufrecht.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens begehrte vom Beschwerdeführer, dem Beklagten des Ausgangsverfahrens, die Rückabwicklung eines schriftlichen Kaufvertrages vom 13.05.2011 über einen im Jahr 2005 erstzugelassenen Pkw Peugeot 206 CC mit Dieselmotor zum Kaufpreis von 6.100 €. Bei der Besichtigung des Fahrzeugs vor Abschluss des Kaufvertrages stellte der Kläger fest, dass der Motor nicht einwandfrei lief. In den Kaufvertrag wurde aufgenommen, dass das Fahrzeug einen Defekt an der Lambdasonde aufweise, wobei zwischen den Parteien im Ausgangsverfahren streitig war, auf wessen Veranlassung dies erfolgte. Des Weiteren vereinbarten die Parteien den Ausschluss der Sachmängelhaftung.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens focht den Kaufvertrag mit Schreiben vom 23.05.2011 wegen arglistiger Täuschung mit der Begründung an, der Beschwerdeführer habe ihm einen Defekt an der Einspritzanlage und einen Bruch der Hinterachse verschwiegen. Mit seiner Klage begehrte er Zug um Zug gegen Herausgabe des Pkw die Rückzahlung des Kaufpreises sowie die Zahlung außergerichtlicher Auslagen. Das Landgericht wies die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages, da der Beklagte sich auf den vereinbarten Ausschluss der Sachmängelgewährleistung berufen könne. Auch fehle es an einer wirksamen Anfechtung des Kaufvertrages. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass der Beschwerdeführer positive Kenntnis von den behaupteten Mängeln des Fahrzeuges besessen und ihm diese verschwiegen habe.

Auf die Berufung des Klägers erließ das Oberlandesgericht – nach Einvernahme der bei der Besichtigung des Pkw und dem Abschluss des Kaufvertrages anwesenden Zeugen – einen Beweisbeschluss, wonach über die vom Kläger behaupteten Mängel des Pkw durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben sei.

Der Sachverständige kam in seinem Gutachten – soweit für die Verfassungsbeschwerde von Belang – zu dem Ergebnis, dass der Motor des Pkw über keine Lambdasonde verfüge, da es sich um einen Dieselmotor handele. Bei einem Ottomotor werde ein Defekt an der Lambdasonde eines Fahrzeugs allerdings durch das Aufleuchten der gelben Kontrollleuchte MIL angezeigt. Dies sei ein vergleichsweise häufig vorkommender Fehler bei älteren Fahrzeugen mit Ottomotor. Laienhaft könne deshalb das Aufleuchten der gelben Kontrollleuchte MIL mit einem Defekt der Lambdasonde in Verbindung gebracht werden, obwohl der Motor über eine solche nicht verfüge. Im vorliegenden Fall sei das Aufleuchten der MIL-Kontrollleuchte auf die unregelmäßige Verbrennung des Dieselmotors aufgrund der defekten Einspritzdüse des zweiten Motorzylinders zurückzuführen. Dieser Defekt habe mit Sicherheit schon bei Abschluss des Kaufvertrages vorgelegen. Dem Schriftwechsel der Parteien sei zu entnehmen, dass der Kläger und seine Begleiter beim Verkaufsgespräch das Aufleuchten der MIL-Kontrollleuchte mit einem Defekt der Lambdasonde in Verbindung gebracht hätten. Hierbei habe es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den vorliegenden Defekt an der Einspritzdüse gehandelt.

Das Oberlandesgericht (OLG Jena, Urt. v. 30.10.2014 – 1 U 862/12) änderte daraufhin das Urteil des Landgerichts ab und verurteilte den Beschwerdeführer, Zug um Zug gegen Herausgabe des Pkw, an den Kläger 6.100 € zuzüglich Zinsen und außergerichtlicher Auslagen zu zahlen. Dem Kläger stehe gemäß §§ 280 I und III, 281 I 1, 434 I 2, 437 Nr. 3440 BGB ein Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Pkw zu. Aufgrund des Sachverständigengutachtens stehe fest, dass der Pkw zum Zeitpunkt des Verkaufs einen Mangel an der Einspritzdüse aufgewiesen habe, der dem Beschwerdeführer bekannt gewesen sei oder ihm hätte bekannt sein müssen. Der Beschwerdeführer könne sich deshalb nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen, da er den Sachmangel arglistig verschwiegen habe. Arglist i. S. des § 444 BGB setze zumindest Eventualvorsatz voraus; leichtfertige oder grobe Unkenntnis genüge dafür hingegen nicht (Hinweis auf BGH, Urt. v. 16.03.2012 – V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn. 24). Ein arglistiges Verschweigen sei danach gegeben, wenn der Verkäufer den Mangel kenne oder ihn zumindest für möglich halte, und zugleich wisse oder doch damit rechne und billigend in Kauf nehme, dass der Käufer den Mangel nicht kenne und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (Hinweis auf BGH, Urt. v. 07.03.2003 – V ZR 437/01, NJW-RR 2003, 989 [990]). Es sei damit allein entscheidend, ob der Beschwerdeführer den Mangel gekannt habe. Dies sei der Fall. Der Sachverständige habe festgestellt, dass das Aufleuchten der MIL-Kontrollleuchte auf einen Defekt der Einspritzanlage zurückzuführen sei, da der Dieselmotor über keine Lambdasonde verfügt habe. Diesen Mangel habe der Beschwerdeführer dem Kläger offenbaren müssen. Der Umstand, dass auch dem Kläger das Aufleuchten der MIL-Kontrollleuchte bekannt gewesen sei, befreie den Beschwerdeführer nicht von seiner Offenbarungspflicht. Das gelte auch für seinen Einwand, der Kläger und er hätten sich gemeinsam über die Art des Mangels geirrt. Denn dem Kläger sei der wirkliche Mangel bei Abschluss des Kaufvertrages gerade nicht bekannt gewesen. Dabei könne dahingestellt bleiben, auf wessen Veranlassung der Defekt der Lambdasonde in den Kaufvertrag aufgenommen worden sei; denn der Beschwerdeführer müsse sich diese Erklärung aufgrund seiner Unterschrift zurechnen lassen. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger den Kaufvertrag bei ordnungsgemäßer Aufklärung so abgeschlossen hätte.

Mit der – erfolgreichen – Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Oberlandesgerichts und rügt einen Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 I GG.

Aus den Gründen: [9]    II. 1. Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 I GG angezeigt ist (§ 93a II lit. b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 [25]). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c I 1 BVerfGG liegen vor. Das BVerfG hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

[10]   2. a) Ein Richterspruch verstößt nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG dann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 3 I GG), wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht objektiv willkürlich. Schlechterdings unhaltbar ist eine fachgerichtliche Entscheidung vielmehr erst dann, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 89, 1 [13 f.]; 96, 189 [203]).

[11]   b) Nach diesen Maßstäben verletzt das angegriffene Urteil den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 I GG in der Ausprägung als Willkürverbot.

[12]   aa) Zwar sind die abstrakten Ausführungen des Oberlandesgerichts zutreffend, wonach das Tatbestandsmerkmal der Arglist in § 444 BGB nicht nur ein Handeln des Verkäufers, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen erfasst, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines „Fürmöglichhaltens und Inkaufnehmens“ reduziert sind. Damit muss kein moralisches Unwerturteil verbunden sein. Voraussetzung für ein vorsätzliches Verschweigen eines Mangels ist jedoch stets, dass der Verkäufer den konkreten Mangel kennt oder zumindest für möglich hält (vgl. BGH, Urt. v. 16.03.2012 – V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn. 24 m. w. Nachw.). Die für die Annahme eines solchen arglistigen Verschweigens erforderlichen Feststellungen zur Kenntnis des Beschwerdeführers von dem tatsächlichen Mangel an der Einspritzdüse oder zumindest seines Fürmöglichhaltens haben aber weder Landgericht noch Oberlandesgericht getroffen. Ebenso wenig ist festgestellt, dass der Beschwerdeführer aus dem Aufleuchten der MIL-Kontrollleuchte oder dem vom Kläger vor dem Abschluss des Kaufvertrages festgestellten nicht einwandfreien Motorlauf nach seiner Kenntnis oder Erfahrung den Schluss auf eine mangelhafte Einspritzdüse als Fehlerursache hätte ziehen müssen oder können. Das Oberlandesgericht legt seiner Würdigung nicht die persönlichen Kenntnisse des Beschwerdeführers, zu denen keine Feststellungen getroffen worden sind, sondern die Kenntnisse eines Fachmanns zugrunde. Es überspannt damit die Anforderungen an die Kenntnisse eines privaten Autoverkäufers, indem es den Beschwerdeführer für verpflichtet hält, den richtigen Schluss aus einer auch dem Käufer bekannten Fehlermeldung, dem Aufleuchten der MIL-Kontrollleuchte, zu ziehen und den Käufer dementsprechend technisch korrekt aufzuklären. Diese Anforderungen des Oberlandesgerichts an den Beschwerdeführer als Privatverkäufer stehen auch im Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen.

[13]   bb) Die angefochtene Entscheidung ist auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt im Ergebnis richtig, dass ein arglistiges Vorspiegeln bestimmter Eigenschaften oder der Abwesenheit von Mängeln dem arglistigen Verschweigen von Mängeln gleichsteht. Der Beschwerdeführer hat dem Kläger nach den getroffenen Feststellungen nicht vorgespiegelt, dass die tatsächlich defekte Einspritzdüse des zweiten Zylinders mangelfrei ist. Ein Verkäufer ist zwar verpflichtet, Fragen des Käufers richtig und vollständig zu beantworten. Allein der Umstand, dass eine Frage des Käufers – hier unterstellt die nach der Ursache des Aufleuchtens der MIL-Kontrollleuchte – durch den Beschwerdeführer als Verkäufer objektiv falsch beantwortet worden ist, begründet jedoch noch nicht den Vorwurf der Arglist. Derjenige, der gutgläubig falsche Angaben macht, handelt nämlich grundsätzlich nicht arglistig, mag der gute Glaube auch auf Fahrlässigkeit oder selbst auf Leichtfertigkeit beruhen. Anders ist es, wenn der Verkäufer auf Fragen des Käufers falsche Angaben ohne tatsächliche Grundlage – „ins Blaue hinein“ – macht, mit deren Unrichtigkeit er rechnet. Wer so antwortet, handelt grundsätzlich bedingt vorsätzlich (vgl. BGH, Urt. v. 16.03.2012 – V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn. 28 m. w. Nachw.). An den erforderlichen Feststellungen des Oberlandesgerichts für eine solche Angabe des Beschwerdeführers „ins Blaue hinein“ fehlt es jedoch. Zudem ist zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens gerade streitig, auf wessen Veranlassung hin die Formulierung „Defekt der Lambdasonde“ in den Kaufvertrag aufgenommen worden ist. Geht diese Formulierung ohne Einflussnahme des Beschwerdeführers ausschließlich auf den Kläger und dessen Begleiter zurück, so muss sich der Beschwerdeführer diese nicht als eigene wahrheitswidrige Angabe zurechnen lassen.

[14]   cc) Aus den vorstehenden Gründen erweist sich die Annahme des Oberlandesgerichts, wonach der Beschwerdeführer dem Kläger des Ausgangsverfahrens arglistig einen ihm bekannten Defekt an der Einspritzdüse verschwiegen habe, auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen als schlechterdings unvertretbar. Sie ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt tragfähig. Andere als die angeführten Gründe, die die Entscheidung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.

[15]   III. 1. Das Urteil beruht auf dieser objektiv unhaltbaren Begründung. Es ist gemäß § 93c II BVerfGG i. V. mit § 95 II BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Thüringer Oberlandesgericht zurückzuverweisen …

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