Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung (EU) Nr. 1215/2012 des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Ra­tes vom 12.12.2012 über die ge­richt­li­che Zu­stän­dig­keit und die An­er­ken­nung und Voll­stre­ckung von Ent­schei­dun­gen in Zi­vil- und Han­dels­sa­chen ist da­hin aus­zu­le­gen, dass sich der Ort der Ver­wirk­li­chung des Scha­dens­er­folgs in ei­nem Fall, in dem Fahr­zeu­ge von ih­rem Her­stel­ler in ei­nem Mit­glied­staat rechts­wid­rig mit ei­ner Soft­ware aus­ge­rüs­tet wor­den sind, die die Da­ten über den Ab­gas­aus­stoß ma­ni­pu­liert, und da­nach bei ei­nem Drit­ten in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat er­wor­ben wer­den, in die­sem letzt­ge­nann­ten Mit­glied­staat be­fin­det.

EuGH (Ers­te Kam­mer), Ur­teil vom 09.07.2020 – C-343/19 (Ver­ein für Kon­su­men­ten­in­for­ma­ti­on/Volks­wa­gen AG)

Das vor­lie­gen­de Ur­teil be­trifft die Aus­le­gung von Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung (EU) Nr. 1215/2012 des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Ra­tes vom 12.12.2012 über die ge­richt­li­che Zu­stän­dig­keit und die An­er­ken­nung und Voll­stre­ckung von Ent­schei­dun­gen in Zi­vil- und Han­dels­sa­chen (ABl. 2012 L 351, 1). Es er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen dem Ver­ein für Kon­su­men­ten­in­for­ma­ti­on (VKI), ei­ner ge­mein­nüt­zi­gen Ver­brau­cher­or­ga­ni­sa­ti­on mit Sitz in Wien, Ös­ter­reich, und der Volks­wa­gen AG, ei­nem Kraft­fahr­zeug­her­stel­ler in der Rechts­form ei­ner Ak­ti­en­ge­sell­schaft des deut­schen Rechts mit Sitz in Wolfs­burg, Deutsch­land, über die Haf­tung von Volks­wa­gen für Schä­den, die sich aus dem Ein­bau ei­ner die Da­ten über den Ab­gas­aus­stoß ma­ni­pu­lie­ren­den Soft­ware in die von ös­ter­rei­chi­schen Ver­brau­chern ge­kauf­ten Fahr­zeu­ge er­ge­ben ha­ben.

Sach­ver­halt: Der VKI, des­sen sat­zungs­mä­ßi­ger Zweck die Auf­ga­be um­fasst, die ihm von Ver­brau­chern zum Zweck der ge­richt­li­chen Kla­ge ab­ge­tre­te­nen An­sprü­che ge­richt­lich gel­tend zu ma­chen, er­hob am 06.09.2018 Kla­ge beim Lan­des­ge­richt Kla­gen­furt (Ös­ter­reich) mit dem An­trag, Volks­wa­gen zur Zah­lung von 3.611.806 € samt An­hang zu ver­ur­tei­len und für al­le noch nicht be­zif­fer­ba­ren und/oder künf­tig ein­tre­ten­den Schä­den haft­bar zu ma­chen.

Der VKI stütz­te sei­ne Kla­ge auf die de­lik­ti­sche und qua­si­de­lik­ti­sche Haf­tung von Volks­wa­gen und mach­te gel­tend, dass die 574 Ver­brau­cher, die ih­re Rech­te im Hin­blick auf die Kla­ge des Aus­gangs­ver­fah­rens an ihn ab­ge­tre­ten hät­ten, in Ös­ter­reich neue oder ge­brauch­te Fahr­zeu­ge mit ei­nem Mo­tor EA189 er­wor­ben hät­ten, be­vor die von Volks­wa­gen vor­ge­nom­me­ne Ma­ni­pu­la­ti­on der Ab­gas­da­ten die­ser Fahr­zeu­ge am 18.09.2015 öf­fent­lich be­kannt ge­wor­den sei. Die­se Mo­to­ren sei­en mit ei­ner „Ab­schalt­ein­rich­tung“ ver­se­hen ge­we­sen, was ge­mäß der Ver­ord­nung (EG) Nr. 715/2007 des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Ra­tes vom 20.06.2007 über die Typ­ge­neh­mi­gung von Kraft­fahr­zeu­gen hin­sicht­lich der Emis­sio­nen von leich­ten Per­so­nen­kraft­wa­gen und Nutz­fahr­zeu­gen (Eu­ro 5 und Eu­ro 6) und über den Zu­gang zu Re­pa­ra­tur- und War­tungs­in­for­ma­tio­nen für Fahr­zeu­ge (ABl. 2007 L 171, 1) rechts­wid­rig sei. Es han­de­le sich um ei­ne Soft­ware, die am Prüf­stand ei­nen Ab­gas­aus­stoß an­zei­gen las­sen kön­ne, der die vor­ge­schrie­be­nen Höchst­wer­te ein­hal­te, wäh­rend un­ter rea­lis­ti­schen Be­din­gun­gen, das heißt bei Be­nut­zung der be­tref­fen­den Fahr­zeu­ge auf der Stra­ße, die tat­säch­lich emit­tier­ten Schad­stof­fe An­tei­le er­reich­ten, die die vor­ge­schrie­be­nen Ober­gren­zen um ein Viel­fa­ches über­schrit­ten. Nur durch die­se Ma­ni­pu­la­ti­ons­soft­ware sei es Volks­wa­gen mög­lich ge­we­sen, für Fahr­zeu­ge mit dem Mo­tor EA189 die Typ­ge­neh­mi­gung ge­mäß den Rechts­vor­schrif­ten der Uni­on zu er­hal­ten.

Nach Auf­fas­sung des VKI be­steht der Scha­den für die Ei­gen­tü­mer die­ser Fahr­zeu­ge dar­in, dass sie die Fahr­zeu­ge bei Kennt­nis der in Re­de ste­hen­den Ma­ni­pu­la­ti­on ent­we­der gar nicht oder zu ei­nem min­des­tens um 30 % ge­min­der­ten Kauf­preis er­wor­ben hät­ten. Da die frag­li­chen Fahr­zeu­ge von An­fang an ei­nen Man­gel auf­ge­wie­sen hät­ten, sei­en ihr Markt­wert und da­mit ihr Kauf­preis deut­lich nied­ri­ger als der tat­säch­lich ge­zahl­te Preis. Der Un­ter­schieds­be­trag stel­le ei­nen er­satz­fä­hi­gen Scha­den dar.

Zur Be­grün­dung der in­ter­na­tio­na­len Zu­stän­dig­keit des vor­le­gen­den Ge­richts be­ruft sich der Klä­ger auf Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012. Der Ab­schluss des Kauf­ver­trags, die Zah­lung des Kauf­prei­ses und die Über­ga­be oder Aus­lie­fe­rung der Fahr­zeu­ge sei­en je­weils im Spren­gel die­ses Ge­richts er­folgt. Es hand­le sich hier nicht um ei­nen blo­ßen Fol­ge­scha­den des Er­werbs der Fahr­zeu­ge, son­dern ei­nen die Zu­stän­dig­keit die­ses Ge­richts be­grün­den­den Pri­mär­scha­den. Die­ser be­ste­he in ei­ner Min­de­rung des Ver­mö­gens je­des be­trof­fe­nen Ver­brau­chers, die frü­hes­tens zum Zeit­punkt des Kaufs und der Über­ga­be der frag­li­chen Fahr­zeu­ge am Über­ga­be­ort und da­mit im Spren­gel des vor­le­gen­den Ge­richts ein­ge­tre­ten sei. An die­sem Ort hät­ten sich die Hand­lun­gen von Volks­wa­gen, die ih­re Haf­tung aus un­er­laub­ter Hand­lung be­grün­den könn­ten, erst­mals aus­ge­wirkt und die be­trof­fe­nen Ver­brau­cher di­rekt ge­schä­digt.

Volks­wa­gen be­an­tragt die Ab­wei­sung der Kla­ge des VKI und hält die in­ter­na­tio­na­le Zu­stän­dig­keit des vor­le­gen­den Ge­richts ge­mäß Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 für nicht ge­ge­ben.

Das vor­le­gen­de Ge­richt hat Zwei­fel, ob im vor­lie­gen­den Fall der blo­ße Kauf der in Re­de ste­hen­den Fahr­zeu­ge bei in Ös­ter­reich nie­der­ge­las­se­nen Kraft­fahr­zeug­händ­lern und die Aus­lie­fe­rung die­ser Fahr­zeu­ge in Ös­ter­reich für sich ge­nom­men aus­rei­chen, um die Zu­stän­dig­keit der ös­ter­rei­chi­schen Ge­rich­te im Hin­blick auf die­se Be­stim­mung zu be­grün­den. Aus der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs, ins­be­son­de­re aus dem Ur­teil vom 19.09.1995 (C-364/93, EU:C:1995:289 Rn. 14 und 15 – Ma­ri­na­ri), zieht es den Schluss, dass der Ge­richts­stand für Kla­gen aus un­er­laub­ter Hand­lung oder ei­ner Hand­lung, die ei­ner un­er­laub­ten Hand­lung gleich­ge­stellt ist, den un­mit­tel­bar Ge­schä­dig­ten nur in­so­weit zu­steht, als sie ei­nen Pri­mär­scha­den gel­tend ma­chen und nicht blo­ße Fol­ge­schä­den.

Das vor­le­gen­de Ge­richt ist näm­lich der An­sicht, dass die Soft­ware, mit der die Da­ten über den Ab­gas­aus­stoß der be­tref­fen­den Fahr­zeu­ge ma­ni­pu­liert wer­den könn­ten, ei­nen Pri­mär­scha­den ver­ur­sacht ha­be, wäh­rend der vom VKI gel­tend ge­mach­te Scha­den, der in ei­ner Wert­min­de­rung die­ser Fahr­zeu­ge be­ste­he, ei­nen Fol­ge­scha­den dar­stel­le, der sich dar­aus er­ge­be, dass die Fahr­zeu­ge mit ei­nem Sach­man­gel be­haf­tet sei­en.

Au­ßer­dem stellt sich das vor­le­gen­de Ge­richt die Fra­ge, ob für rei­ne Ver­mö­gens­schä­den aus ei­ner de­lik­ti­schen Hand­lung ei­ne Zu­stän­dig­keit nach Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 be­grün­det wer­den kön­ne.

Im Licht des Ur­teils vom 16.06.2016 (C-12/15, EU:C:2016:449 – Uni­ver­sal Mu­sic In­ter­na­tio­nal Hol­ding), sprä­che im Aus­gangs­ver­fah­ren ei­ni­ges für ei­ne Ver­or­tung des in Re­de ste­hen­den Scha­dens­er­folgs in Deutsch­land. Auch wenn sich die­ser Scha­den nach der Auf­fas­sung des VKI da­durch kon­kre­ti­siert ha­be, dass die mit ei­ner Soft­ware zur Ma­ni­pu­la­ti­on der Da­ten über den Ab­gas­aus­stoß aus­ge­rüs­te­ten Fahr­zeu­ge in Ös­ter­reich ge­kauft und aus­ge­lie­fert wor­den sei­en, be­trä­fen al­le Scha­dens­er­satz­kla­gen auf der Tat­sa­chen­ebe­ne im­mer das Glei­che, näm­lich die Volks­wa­gen vor­ge­wor­fe­nen de­lik­ti­schen Hand­lun­gen am Sitz die­ses Un­ter­neh­mens, al­so in Deutsch­land. Aus Ge­sichts­punk­ten ei­ner sach­ge­rech­ten Pro­zess­ge­stal­tung, ins­be­son­de­re we­gen der Nä­he zum Streit­ge­gen­stand und der leich­te­ren Be­weis­auf­nah­me, wä­ren da­her die deut­schen Ge­rich­te ob­jek­tiv bes­ser ge­eig­net, die Ver­ant­wor­tung für die be­haup­te­ten Schä­den zu klä­ren. Dar­über hin­aus ent­spre­che die Zu­stän­dig­keit der Ge­rich­te am Ort des Kaufs und der Aus­lie­fe­rung der in Re­de ste­hen­den Fahr­zeu­ge an die Letzt­ab­neh­mer, dar­un­ter auch Ge­braucht­wa­gen­käu­fer, nicht oh­ne Wei­te­res dem Er­for­der­nis der Vor­her­seh­bar­keit des Ge­richts­stands.

Das vor­le­gen­de Ge­richt fragt sich schließ­lich, ob die Be­ja­hung der in­ter­na­tio­na­len Zu­stän­dig­keit der ös­ter­rei­chi­schen Ge­rich­te mit der nach der Recht­spre­chung des EuGH ge­bo­te­nen en­gen Aus­le­gung der be­son­de­ren Zu­stän­dig­keits­re­geln der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 ver­ein­bar wä­re.

Un­ter die­sen Um­stän­den hat das hat das Lan­des­ge­richt Kla­gen­furt (Ös­ter­reich) be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

Ist Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 da­hin aus­zu­le­gen, dass un­ter Um­stän­den wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens als „Ort, an dem das schä­di­gen­de Er­eig­nis ein­ge­tre­ten ist“, der Ort in ei­nem Mit­glied­staat an­ge­se­hen wer­den kann, an dem der Scha­den ein­ge­tre­ten ist, wenn die­ser Scha­den aus­schließ­lich in ei­nem fi­nan­zi­el­len Ver­lust be­steht, der die un­mit­tel­ba­re Fol­ge ei­ner un­er­laub­ten Hand­lung ist, die sich in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat er­eig­net hat?

Der EuGH hat die­se Fra­ge wie aus dem Leit­satz er­sicht­lich be­ant­wor­tet.

Aus den Grün­den: Zur Zu­läs­sig­keit

[18]   In sei­nen schrift­li­chen Er­klä­run­gen macht der VKI gel­tend, dass das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen un­zu­läs­sig sei, da die Vor­la­ge­fra­ge so­wohl un­er­heb­lich als auch hy­po­the­tisch sei.

[19]   Nach stän­di­ger Recht­spre­chung spricht je­doch ei­ne Ver­mu­tung für die Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit der Vor­la­ge­fra­gen des na­tio­na­len Ge­richts, die es zur Aus­le­gung des Uni­ons­rechts in dem recht­li­chen und sach­li­chen Rah­men stellt, den es in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung fest­ge­legt und des­sen Rich­tig­keit der Ge­richts­hof nicht zu prü­fen hat. Die Zu­rück­wei­sung des Er­su­chens ei­nes na­tio­na­len Ge­richts ist dem Ge­richts­hof nur mög­lich, wenn die er­be­te­ne Aus­le­gung des Uni­ons­rechts of­fen­sicht­lich in kei­nem Zu­sam­men­hang mit den Ge­ge­ben­hei­ten oder dem Ge­gen­stand des Aus­gangs­rechts­streits steht, wenn das Pro­blem hy­po­the­ti­scher Na­tur ist oder wenn der Ge­richts­hof nicht über die tat­säch­li­chen und recht­li­chen An­ga­ben ver­fügt, die für ei­ne zweck­dien­li­che Be­ant­wor­tung der ihm vor­ge­leg­ten Fra­gen er­for­der­lich sind (vgl. u. a. Urt. v. 07.05.2020 – C-641/18, EU:C:2020:349 Rn. 22 m. w. Nachw. – Ri­na).

[20]   Im vor­lie­gen­den Fall ist das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen für zu­läs­sig zu er­klä­ren, da aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung her­vor­geht, dass die er­be­te­ne Aus­le­gung von Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 er­for­der­lich ist, um fest­zu­stel­len, ob das vor­le­gen­de Ge­richt nach die­ser Be­stim­mung für die Ent­schei­dung des Aus­gangs­rechts­streits zu­stän­dig ist.

Zur Vor­la­ge­fra­ge

[21]   Mit sei­ner Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass sich der Ort der Ver­wirk­li­chung des Scha­dens­er­folgs in ei­nem Fall, in dem Fahr­zeu­ge von ih­rem Her­stel­ler in ei­nem Mit­glied­staat rechts­wid­rig mit ei­ner Soft­ware aus­ge­rüs­tet wor­den sind, die die Da­ten über den Ab­gas­aus­stoß ma­ni­pu­liert, und da­nach bei ei­nem Drit­ten in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat er­wor­ben wer­den, in die­sem letzt­ge­nann­ten Mit­glied­staat be­fin­det.

[22]    Ein­lei­tend ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass, da die Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 ge­mäß ih­rem 34. Er­wä­gungs­grund die Ver­ord­nung (EG) Nr. 44/2001 des Ra­tes vom 22.12.2000 über die ge­richt­li­che Zu­stän­dig­keit und die An­er­ken­nung und Voll­stre­ckung von Ent­schei­dun­gen in Zi­vil- und Han­dels­sa­chen (ABl. 2001 L 12, 1) auf­hebt und er­setzt, die ih­rer­seits das Über­ein­kom­men vom 27.09.1968 über die ge­richt­li­che Zu­stän­dig­keit und die Voll­stre­ckung ge­richt­li­cher Ent­schei­dun­gen in Zi­vil- und Han­dels­sa­chen (ABl. 1972 L 299, 32) in der Fas­sung der auf­ein­an­der­fol­gen­den Über­ein­kom­men über den Bei­tritt der neu­en Mit­glied­staa­ten zu die­sem Über­ein­kom­men (im Fol­gen­den: Brüs­se­ler Über­ein­kom­men) er­setzt hat, die vom Ge­richts­hof vor­ge­nom­me­ne Aus­le­gung der Be­stim­mun­gen der letzt­ge­nann­ten Rechts­in­stru­men­te nach stän­di­ger Recht­spre­chung auch für die Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 gilt, so­weit die be­tref­fen­den Be­stim­mun­gen als „gleich­wer­tig“ an­ge­se­hen wer­den kön­nen (Urt. v. 29.07.2019 – C?451/18, EU:C:2019:635 Rn. 23 m. w. Nachw. – Ti­bor-Trans). Dies ist bei Art. 5 III des Brüs­se­ler Über­ein­kom­mens und der Ver­ord­nung Nr. 44/2001 ei­ner­seits und Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 an­de­rer­seits der Fall (vgl. in die­sem Sin­ne Urt. v. 31.05.2018 – C-306/17, EU:C:2018:360, Rn. 18 m. w. Nachw. – Not­har­tová).

[23]   Wie der Ge­richts­hof in sei­ner Recht­spre­chung zu die­sen Be­stim­mun­gen wie­der­holt ent­schie­den hat, ist mit dem Aus­druck „Ort, an dem das schä­di­gen­de Er­eig­nis ein­ge­tre­ten ist“ so­wohl der Ort der Ver­wirk­li­chung des Scha­dens­er­folgs als auch der Ort des für den Scha­den ur­säch­li­chen Ge­sche­hens ge­meint, so­dass der Be­klag­te nach Wahl des Klä­gers vor dem Ge­richt ei­nes die­ser bei­den Or­te ver­klagt wer­den kann (Urt. v. 16.07.2009 – C-189/08, EU:C:2009:475 Rn. 23 – Zu­id-Che­mie; Urt. v. 29.07.2019 – C-451/18, EU:C:2019:635 Rn. 25 m. w. Nachw. – Ti­bor-Trans).

[24]   Im vor­lie­gen­den Fall er­gibt sich zum ei­nen aus den dem Ge­richts­hof vor­lie­gen­den Ak­ten, dass sich der Ort des ur­säch­li­chen Ge­sche­hens in dem Mit­glied­staat be­fin­det, in des­sen Ho­heits­ge­biet die frag­li­chen Kraft­fahr­zeu­ge mit ei­ner Soft­ware aus­ge­rüs­tet wur­den, die die Da­ten über den Ab­gas­aus­stoß ma­ni­pu­liert, das heißt in Deutsch­land.

[25]   Was zum an­de­ren den Ort der Ver­wirk­li­chung des Scha­dens­er­folgs be­trifft, ist zu be­stim­men, wo sich die­ser Ort un­ter Um­stän­den wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens be­fin­det, das heißt, wenn die Scha­dens­fol­gen erst nach dem Er­werb der frag­li­chen Fahr­zeu­ge und in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat, im vor­lie­gen­den Fall in Ös­ter­reich, ein­ge­tre­ten sind.

[26]   In­so­weit weist das vor­le­gen­de Ge­richt zu­tref­fend dar­auf hin, dass nach stän­di­ger Recht­spre­chung der Be­griff „Ort, an dem das schä­di­gen­de Er­eig­nis ein­ge­tre­ten ist“ nicht so weit aus­ge­legt wer­den darf, dass er je­den Ort er­fasst, an dem die schäd­li­chen Fol­gen ei­nes Er­eig­nis­ses spür­bar wer­den kön­nen, das be­reits ei­nen Scha­den ver­ur­sacht hat, der tat­säch­lich an ei­nem an­de­ren Ort ent­stan­den ist. Folg­lich kann die­ser Be­griff nicht so aus­ge­legt wer­den, dass er den Ort ein­schließt, an dem der Ge­schä­dig­te ei­nen Ver­mö­gens­scha­den in der Fol­ge ei­nes in ei­nem an­de­ren Ver­trags­staat ent­stan­de­nen und dort von ihm er­lit­te­nen Erst­scha­dens er­lit­ten zu ha­ben be­haup­tet (Urt. v. 19.09.1995 – C-364/93, EU:C:1995:289 Rn. 14 und 15 – Ma­ri­na­ri; Urt. v. 29.07.2019 – C-451/18, EU:C:2019:635 Rn. 28 m. w. Nachw. – Ti­bor-Trans).

[27]   Der Ge­richts­hof hat au­ßer­dem zu Art. 5 Nr. 3 des Brüs­se­ler Über­ein­kom­mens fest­ge­stellt, dass ein Scha­den, der nur die mit­tel­ba­re Fol­ge des ur­sprüng­lich von an­de­ren Rechts­sub­jek­ten un­mit­tel­bar er­lit­te­nen Scha­dens ist, des­sen Er­folg sich an ei­nem an­de­ren als dem Ort ver­wirk­licht hat, an dem an­schlie­ßend der mit­tel­bar Be­trof­fe­ne ei­nen Scha­den er­lit­ten hat, kei­ne ge­richt­li­che Zu­stän­dig­keit nach die­ser Vor­schrift be­grün­den kann (vgl. in die­sem Sin­ne Urt. v. 11.01.1990 – C-220/88, EU:C:1990:8 Rn. 14 und 22 – Dum­ez Fran­ce und Tra­co­ba).

[28]   Fer­ner hat der Ge­richts­hof ent­schie­den, dass spä­te­re nach­tei­li­ge Fol­gen kei­ne Zu­stän­dig­keits­zu­wei­sung auf der Grund­la­ge von Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 be­grün­den kön­nen (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 29.07.2019 – C-451/18, EU:C:2019:635 Rn. 27 m. w. Nachw. – Ti­bor-Trans).

[29]   Im Aus­gangs­ver­fah­ren er­gibt sich je­doch – vor­be­halt­lich der vom vor­le­gen­den Ge­richt vor­zu­neh­men­den Wür­di­gung des Sach­ver­halts – aus den dem Ge­richts­hof vor­lie­gen­den Ak­ten, dass der vom VKI gel­tend ge­mach­te Scha­den in ei­ner Wert­min­de­rung der frag­li­chen Fahr­zeu­ge be­steht, die sich aus der Dif­fe­renz zwi­schen dem Preis, den der Er­wer­ber für ein sol­ches Fahr­zeug ge­zahlt hat, und des­sen tat­säch­li­chem Wert auf­grund des Ein­baus ei­ner Soft­ware, in der die Da­ten über den Ab­gas­aus­stoß ma­ni­pu­liert wer­den, er­gibt.

[30]   Folg­lich ist, ob­wohl die­se Fahr­zeu­ge be­reits beim Ein­bau die­ser Soft­ware mit ei­nem Man­gel be­haf­tet wa­ren, da­von aus­zu­ge­hen, dass sich der gel­tend ge­mach­te Scha­den erst zum Zeit­punkt des Er­werbs die­ser Fahr­zeu­ge durch ih­ren Er­werb zu ei­nem Preis, der über ih­rem tat­säch­li­chen Wert lag, ver­wirk­licht hat.

[31]   Ein sol­cher Scha­den, der vor dem Kauf des Fahr­zeugs durch den sich als ge­schä­digt an­se­hen­den End­ab­neh­mer nicht be­stand, stellt ei­nen Pri­mär­scha­den im Sin­ne der in Rn. 26 des vor­lie­gen­den Ur­teils an­ge­führ­ten Recht­spre­chung dar und kei­ne mit­tel­ba­re Fol­ge des ur­sprüng­lich von an­de­ren Per­so­nen er­lit­te­nen Scha­dens im Sin­ne der in Rn. 27 des vor­lie­gen­den Ur­teils an­ge­führ­ten Recht­spre­chung.

[32]   Im Üb­ri­gen stellt die­ser Scha­den ent­ge­gen der Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts auch kei­nen rei­nen Ver­mö­gens­scha­den dar.

[33]   Die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de Scha­dens­er­satz­kla­ge zielt zwar ab auf ei­nen Aus­gleich für die auf 30 % ih­res Kauf­prei­ses ge­schätz­te Wert­min­de­rung der frag­li­chen Fahr­zeu­ge, das heißt auf ei­nen be­zif­fer­ba­ren fi­nan­zi­el­len Aus­gleich. Wie die Eu­ro­päi­sche Kom­mis­si­on in ih­ren schrift­li­chen Er­klä­run­gen aus­ge­führt hat, be­deu­tet je­doch der Um­stand, dass der Scha­dens­er­satz­an­trag in Eu­ro aus­ge­drückt wird, nicht, dass es sich um ei­nen rei­nen Ver­mö­gens­scha­den han­delt. An­ders als in den Rechts­sa­chen, in de­nen die Ur­tei­le vom 10.06.2004 (C-168/02, EU:C:2004:364 – Kron­ho­fer), vom 28.01.2015 (C-375/13, EU:C:2015:37 – Ko­las­sa) und vom 12.09.2018 (C?304/17, EU:C:2018:701 – Löb­er), er­gan­gen sind, in de­nen fi­nan­zi­el­le In­ves­ti­tio­nen zu ei­ner Ver­rin­ge­rung der fi­nan­zi­el­len Ver­mö­gens­wer­te der be­tref­fen­den Per­so­nen oh­ne je­den Be­zug zu Sach­gü­tern ge­führt hat­ten, geht es im Aus­gangs­ver­fah­ren um ei­nen Man­gel, der Fahr­zeu­ge, al­so Sach­gü­ter, be­trifft.

[34]   So­mit han­delt es sich im vor­lie­gen­den Fall nicht um ei­nen rei­nen Ver­mö­gens­scha­den, son­dern um ei­nen ma­te­ri­el­len Scha­den, der zu ei­nem Wert­ver­lust je­des be­trof­fe­nen Fahr­zeugs führt und sich dar­aus er­gibt, dass mit der Auf­de­ckung des Ein­baus der Soft­ware zur Ma­ni­pu­la­ti­on der Ab­gas­da­ten die Ge­gen­leis­tung der für den Er­werb ei­nes sol­chen Fahr­zeugs ge­leis­te­ten Zah­lung ein Fahr­zeug ist, das mit ei­nem Man­gel be­haf­tet ist und da­her ei­nen ge­rin­ge­ren Wert hat.

[35]   So­mit ist fest­zu­stel­len, dass im Fall des Ver­triebs von Fahr­zeu­gen, die von ih­rem Her­stel­ler mit ei­ner Soft­ware aus­ge­rüs­tet sind, die die Da­ten über den Ab­gas­aus­stoß ma­ni­pu­liert, der Scha­den des Letzter­wer­bers we­der ein mit­tel­ba­rer Scha­den noch ein rei­ner Ver­mö­gens­scha­den ist und beim Er­werb ei­nes sol­chen Fahr­zeugs von ei­nem Drit­ten ein­tritt.

[36]   Un­ter Um­stän­den wie den in den Rn. 34 und 35 des vor­lie­gen­den Ur­teils ge­nann­ten wahrt ei­ne sol­che Aus­le­gung von Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 das im 15. Er­wä­gungs­grund die­ser Ver­ord­nung er­wähn­te Ziel der Vor­her­seh­bar­keit der Zu­stän­dig­keits­vor­schrif­ten, da ein in ei­nem Mit­glied­staat nie­der­ge­las­se­ner Au­to­mo­bil­her­stel­ler, der un­zu­läs­si­ge Ma­ni­pu­la­tio­nen an in an­de­ren Mit­glied­staa­ten in den Ver­kehr ge­brach­ten Fahr­zeu­gen vor­nimmt, ver­nünf­ti­ger­wei­se er­war­ten kann, dass er vor den Ge­rich­ten die­ser Staa­ten ver­klagt wird (vgl. ent­spre­chend Urt. v. 28.01.2015 – C-375/13, EU:C:2015:37 Rn. 56 – Ko­las­sa; Urt. v. 12.09.2018 – C-304/17, EU:C:2018:701 Rn. 35 – Löb­er).

[37]   Denn wenn ein sol­cher Her­stel­ler wis­sent­lich ge­gen die für ihn gel­ten­den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten ver­stößt, muss er da­mit rech­nen, dass der Scha­den an dem Ort ein­tritt, an dem das frag­li­che Fahr­zeug von ei­ner Per­son er­wor­ben wur­de, die be­rech­tig­ter­wei­se an­neh­men durf­te, dass das Fahr­zeug die­sen Vor­schrif­ten ent­spricht, und die an­schlie­ßend fest­stellt, dass sie über ei­ne man­gel­haf­te Sa­che mit ge­rin­ge­rem Wert ver­fügt.

[38]   Die­se Aus­le­gung steht auch im Ein­klang mit den im 16. Er­wä­gungs­grund der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 ge­nann­ten Zie­len der räum­li­chen Nä­he und ei­ner ge­ord­ne­ten Rechts­pfle­ge, da sich das na­tio­na­le Ge­richt bei der Be­stim­mung der Hö­he des ent­stan­de­nen Scha­dens ver­an­lasst se­hen kann, die Markt­be­din­gun­gen in dem Mit­glied­staat, in des­sen Ho­heits­ge­biet das Fahr­zeug er­wor­ben wur­de, zu be­wer­ten. Die Ge­rich­te die­ses Mit­glied­staats dürf­ten den leich­tes­ten Zu­gang zu den zur Durch­füh­rung die­ser Be­wer­tun­gen er­for­der­li­chen Be­weis­mit­teln ha­ben (vgl. in die­sem Sin­ne Urt. v. 29.07.2019 – C-451/18, EU:C:2019:635 Rn. 34 – Ti­bor-Trans).

[39]   Schließ­lich steht die­se Aus­le­gung im Ein­klang mit den im sieb­ten Er­wä­gungs­grund der Rom?II-Ver­ord­nung vor­ge­se­he­nen Ko­hä­renz­er­for­der­nis­sen, da nach Art. 6 I der Rom?II-Ver­ord­nung der Ort des Scha­den­s­ein­tritts im Be­reich des un­lau­te­ren Wett­be­werbs der Ort ist, an dem „die Wett­be­werbs­be­zie­hun­gen oder die kol­lek­ti­ven In­ter­es­sen der Ver­brau­cher be­ein­träch­tigt wor­den sind oder be­ein­träch­tigt zu wer­den dro­hen“. Ei­ne Hand­lungs­wei­se wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de, die ein un­lau­te­res Wett­be­werbs­ver­hal­ten dar­stellt, da sie die kol­lek­ti­ven In­ter­es­sen der Ver­brau­cher als Grup­pe be­ein­träch­ti­gen kann (Urt. v. 28.07.2016 – C-191/15, EU:C:2016:612, Rn. 42 – Ver­ein für Kon­su­men­ten­in­for­ma­ti­on), kann die­se In­ter­es­sen in je­dem Mit­glied­staat be­ein­träch­ti­gen, in des­sen Ho­heits­ge­biet das man­gel­haf­te Pro­dukt von den Ver­brau­chern ge­kauft wird. Der Ort der Ver­wirk­li­chung des Scha­dens­er­folgs ist so­mit ge­mäß der Rom?II-Ver­ord­nung der Ort, an dem ein sol­ches Pro­dukt ge­kauft wird (vgl. ent­spre­chend Urt. v. 29.07.2019 – C-451/18, EU:C:2019:635 Rn. 35 – Ti­bor-Trans).

[40]   Nach al­le­dem ist auf die vor­ge­leg­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass Art. 7 Nr. 2 der Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass sich der Ort der Ver­wirk­li­chung des Scha­dens­er­folgs in ei­nem Fall, in dem Fahr­zeu­ge von ih­rem Her­stel­ler in ei­nem Mit­glied­staat rechts­wid­rig mit ei­ner Soft­ware aus­ge­rüs­tet wor­den sind, die die Da­ten über den Ab­gas­aus­stoß ma­ni­pu­liert, und da­nach bei ei­nem Drit­ten in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat er­wor­ben wer­den, in die­sem letzt­ge­nann­ten Mit­glied­staat be­fin­det.

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