Auch rein optische Beeinträchtigungen können den Käufer eines Neuwagens (hier: eines Audi S1 2.0 TFSI quattro) berechtigen, vom Verkäufer gemäß §§ 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB die Lieferung eines neuen Fahrzeugs – Ersatzlieferung – zu verlangen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der mit einer Instandsetzung des Fahrzeugs verbundene Kostenaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt und trotz ordnungsgemäßer Instandsetzung ein merkantiler Minderwert verbleibt.

LG Düsseldorf, Urteil vom 24.01.2018 – 23 O 216/15

Sachverhalt: Der Kläger verlangt die Ersatzlieferung (§ 439 I Fall 2 BGB) eines Neuwagens.

Er kaufte von der Beklagten auf der Grundlage einer verbindlichen Bestellung vom 08.05.2015 einen Pkw Audi S1 2.0 TFSI quattro zum Preis von 33.400 €. Als der Kläger das Fahrzeug am 03.08.2015 im Herstellerwerk abholte, fiel ihm ein Kratzer in der Beifahrertür auf, der im Herstellerwerk beseitigt wurde. Da der Kläger am 15.08.2015 weitere Lackschäden und eine Wellung des Heckstoßfängers festgestellt haben will, dokumentierte die Beklagte am 17.08.2015 den Zustand des Pkw und gab an die AUDI AG weiter, dass der Kläger die Ersatzlieferung eines neuen Audi S1 2.0 TFSI quattro wünsche. Die AUDI AG reagierte auf diesen Wunsch, indem sie das dem Kläger gelieferte Fahrzeug zur Reparatur freigab.

Der Kläger forderte die Beklagte deshalb mit anwaltlichem Schreiben vom 06.09.2015 auf, ihm ersatzweise einen neuen Audi S1 2.0 TFSI quattro zu liefern, und bot ihr zugleich die Rückgewähr des erhaltenen Fahrzeugs an. Die Beklagte bot dem Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 21 .09.2015 eine Nachbesserung (§ 439 I Fall 1 BGB) des dem Kläger gelieferten Pkw an.

Nachdem der Kläger von der Beklagten erneut eine Ersatzlieferung verlangt hatte, kündigte die Beklagte an, das Fahrzeug des Klägers zusammen mit einem Techniker der AUDI AG besichtigen zu wollen. Diese Besichtigung fand am 09.10.2015 statt; in ihrer Folge bot die AUDI AG dem Kläger erneut an, den Heckstoßfänger seines Fahrzeugs auszutauschen und den Lack aufzuarbeiten.

Im Auftrag des Klägers wurde am 09.11.2015 ein TÜV-Gutachten erstellt, für das die T-GmbH dem Kläger Kosten in Höhe von 331,65 € in Rechnung stellte. Die Rechnung hat der Kläger noch nicht beglichen.

Der Kläger behauptet, die Lackschichtdicken, die der TÜV-Gutachter bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug gemessen habe, deuteten darauf hin, dass an dem Pkw – nicht fachgerecht ausgeführte – Lackierarbeiten vorgenommen worden seien. Ein Indiz dafür sei auch, dass Dichtgummi der Seitenscheibe abstehe. Darüber hinaus hafte dem Fahrzeug Lacknebel an; zudem seien Schleifspuren und Schleifrückstände sichtbar. Die Kosten einer Instandsetzung des Fahrzeugs nach Herstellervorgaben beliefen sich auf 1.127,37 € netto, wobei ein merkantiler Minderwert von 800 € verbleibe.

Die Beklagte behauptet demgegenüber, der Schleifstaub sowie die Polierreste seien darauf zurückzuführen, dass ein kleiner und oberflächlicher Kratzer anlässlich der Abholung des Fahrzeugs im Herstellerwerk durch Schleifen bzw. Polieren entfernt worden sei. Diese Rückstände könnten ebenso wie der monierte Lacknebel durch erneutes Reinigen und Polieren des Pkw beseitig werden, und das Fahrzeug des Klägers lasse sich durch die dem Kläger angebotenen Arbeiten in den Zustand zu versetzen, den ein Audi-Neuwagen bei der Auslieferung habe. Die am 09.10.2015 durchgeführte Messung – so behauptet die Beklagte weiter – habe lediglich Lackschichtdicken von 110–138 μm ergebe. Die Beklagte meint, das Fahrzeug des Klägers weise allenfalls nachbesserungsfähige Kleinstmängel auf, die kein Ersatzlieferungsverlangen rechtfertigten.

Die Klage hatte Erfolg.

Aus den Gründen: 1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neulieferung gemäß §§ 433 I, 434 I, 437 Nr. 1, 439I Fall 2 BGB gegen die Beklagte.

a) Das Fahrzeug weist in einen Sachmangel i. S. von § 434 I BGB auf.

Ein Sachmangel ist jede negative Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit, wobei eine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung i. S. von § 434 I 1 BGB nicht vorliegt. Gleichwohl weicht das Fahrzeug in seiner Beschaffenheit i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB negativ von dem ab, was bei Sachen der gleichen Art üblich ist und was der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.

aa) Eine solche Abweichung ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass bei dem als Neuwagen erworbenen Fahrzeug Nachlackierarbeiten durchgeführt worden sind.

Die Durchführung von Nach- bzw. Instandsetzungslackierarbeiten steht nach Durchführung der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest. Der Sachverständige hat Lackschichtendicken im Bereich des Tankeinfüllstutzens von 183 μm bzw. 186 μm feststellen können, welche die Werte einer Werkslackierung von 80–100 μm übersteigen. Insoweit führt er nachvollziehbar aus, dass sich daraus Instandsetzungslackierungen ergeben.

Gegen die Richtigkeit seiner Angaben sprechen auch nicht die wechselnden Angaben von 183 μm bzw. 186 μm und die Anmerkung „oben un[t]er dem Bild schreibst du bis 186???“ auf Seite 10 des Gutachtens. Offensichtlich handelt es sich hierbei um eine versehentlich nicht entfernte Korrekturanmerkung, die im Rahmen der Gutachtenfertigstellung eingefügt worden ist. Ob nun im Bereich des Tankeinfüllstutzens 183 μm oder 186 μm gemessen worden sind, kann dahinstehen, da sich beide Werte nur geringfügig unterscheiden und den Normwert von 80–100 μm so deutlich übersteigen, dass der Rückschluss des Sachverständigen auf durchgeführte Lackierarbeiten nicht zu beanstanden ist.

Auch an der Seitenwand und der C-Säule sind nach Ansicht des Sachverständigen Instandsetzungslackierungen vorgenommen worden, was sich wiederum aus den dort vorhandenen Schleifspuren ableiten lasse, die beim Schleifen zur Durchführung einer Instandsetzungslackierung entstünden. Zudem seien im Kantenbereich am Übergang zur Heckklappe Grundierungsspuren vorhanden, die auf eine nicht fachgerechte Überlackierung schließen ließen, da die Grundierung noch erkennbar sei. Entsprechendes gelte auch für die abstehende Dichtung der seitlichen Dreieckscheibe.

bb) Einen weiteren Mangel stellt die Wellung des Heckstoßfängers dar. Hinsichtlich der Wellung des Stoßfängers führt der Sachverständige auch, dass diese nicht dem serienmäßigen Zustand des Fahrzeugs und den insoweit geltenden Richtlinien des Herstellers entspreche.

Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige auf Seite 13 des Gutachtens offenbar irrtümlich davon ausgeht, dass der Mangel bereits von der Beklagten eingeräumt worden sei, obwohl die Beklagte im Schriftsatz vom 10.08.2016 ausdrücklich klargestellt hat, sie habe insoweit einen Mangel nicht anerkannt. Auf eine vermeintliche Einräumung des Mangels stützt der Sachverständige seine Beurteilung indes nicht. Vielmehr hat er eigene Feststellungen aufgrund seiner Feststellungen im Besichtigungstermin getroffen und hieraus nachvollziehbar die eigene Bewertung vorgenommen, dass ein derartiges hochwertiges Fahrzeug entsprechende Wellungen üblicherweise nicht aufweise.

b) Die Beklagte kann die Nacherfüllung in der vom Kläger gemäß § 439 I BGB gewünschten Form einer Neulieferung nicht verweigern.

Gemäß § 439 IV 1 BGB kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Dabei sind insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte.

Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei den Mängeln um optische Beeinträchtigungen handelt, die nicht mit Funktionsbeeinträchtigungen verbunden sind oder Sicherheitsaspekte betreffen. Gleichwohl erfordert die Beseitigung der vorgenannten Mängel einen Behebungsaufwand von insgesamt 2.052,47 €. Zudem verbliebe selbst nach Durchführung dieser Arbeiten noch eine Wertminderung von 500 €. Diese Beträge hat der Sachverständige in seinen Gutachten nachvollziehbar berechnet. Den Aufwand für die Behebung der Lackmängel hat er insoweit anhand einer Audatex-Kalkulation nach Arbeits- und Materialaufwand im Einzelnen berechnet und gelangt hierbei zu einem Betrag von 994,25 €. Entsprechendes gilt für den Aufwand für den Austausch des Heckstoßfängers, den er – ebenfalls anhand einer Audatex-Berechnung – nachvollziehbar mit 1.058,22 € beziffert.

Soweit der Sachverständige angibt, dass im Rahmen von Garantiearbeiten gegebenenfalls hausintern geringere als die von ihm berücksichtigten Verrechnungssätze gelten, steht dies der Richtigkeit der von ihm vorgenommenen Berechnung nicht entgegen. Sofern der tatsächliche Kostenaufwand der Beklagten geringer wäre als vom Sachverständigen kalkuliert, wäre dies von der Beklagten vorzutragen gewesen.

Gegen die Angaben des Sachverständigen spricht auch nicht das vom Kläger vorgelegte Gutachten des TÜV, welches den Beseitigungsaufwand mit 1.127,37 € beziffert. Dieser Betrag umfasst lediglich die Lackschäden; der Austausch des Heckstoßfängers war nicht Gegenstand des Gutachtenauftrags.

Schließlich beziffert der Sachverständige auch die Höhe der nach Durchführung der Lackarbeiten verbleibenden Wertminderung mit 500 €, wobei er nachvollziehbar ausführt, dass keine Instandsetzungsmaßnahmen an Primär- oder Sekundärträgern vorliegen, der Karosserieverbund des Fahrzeugs nicht betroffen ist und auch ein Austausch des Heckstoßfängers keine zusätzliche Wertminderung begründet.

Dem Kaufpreis bzw. dem Wert des Fahrzeugs in mangelfreiem Zustand von 33.400 € stehen damit ein Reparaturaufwand und eine Wertminderung in Höhe eines nicht bloß unerheblichen Anteils von 7,6 % entgegen.

Weitergehende Umstände, die über die vorstehende Vergleichsrechnung und die ihr zugrunde liegenden Beträge hinaus eine Unverhältnismäßigkeit der Neulieferung begründen, sind weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Entsprechendes gilt auch für Umstände, die eine Möglichkeit der Verweigerung nach § 275 II und III BGB begründen würden.

c) Der Beklagten steht hinsichtlich des Anspruchs des Klägers auf Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch kein Zurückbehaltungsrecht oder eine sonstige Einwendung in Bezug auf die zwischenzeitliche Nutzung des mangelhaften Fahrzeuges zu.

Ein Anspruch der Beklagten auf Entschädigung für die zwischenzeitliche Nutzung des im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs i. S. von § 474 I BGB erworbenen Fahrzeugs durch den Kläger besteht im Fall einer gewährleistungsrechtlichen Neulieferung gemäß § 475 III BGB nicht. Bei dem streitgegenständlichen Kaufvertrag handelt es sich um einen Verbrauchsgüterkauf i. S. von § 474 I BGB.

2. Der Antrag zu 2 ist begründet. Die Beklagte befindet sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug gemäß § 293 BGB.

Die Beklagte hat die ihr durch wörtliches Angebot i. S. von § 295 BGB angebotene Leistung nicht angenommen. Ein solches wörtliches Angebot ist im Schreiben vom 24.09.2015 zu sehen, in dem die Verbringung des Fahrzeugs zum Sitz der Beklagten angeboten wurde. Dieses Angebot ist im Fall einer Zug-um-Leistung ausreichend, wenn der seinerseits leistungsverpflichtete Gläubiger erklärt, er werde die Gegenleistung nicht erbringen (Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. [2018], § 295 Rn. 5). Auch wenn in dem anschließenden Schreiben der Beklagten vom 28.09.2015 keine ausdrückliche Ablehnung der Neulieferung enthalten ist, wird hinsichtlich einer Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs allein auf die Entscheidung des Fahrzeugherstellers verwiesen, der sich in der Folge gegen eine Neulieferung entschieden hat.

3. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Freistellung von einer Zahlungsverpflichtung in Höhe von 331,65 € gegenüber der T-GmbH.

Die Kosten für die Einholung des Gutachtens sind von der Beklagten als Kosten der Nacherfüllung gemäß § 439 II BGB zu tragen. Hiervon umfasst sind auch Kosten für die Feststellung der Mangelhaftigkeit, soweit die Mangelhaftigkeit vom Verkäufer in Abrede gestellt worden ist und der Käufer daraufhin – wie hier – auch tatsächlich einen Nacherfüllungsanspruch geltend macht (vgl. BeckOK-BGB/Faust, 43. Edition, § 439 Rn. 22a f.).

Unter diesen Voraussetzungen war Einholung des Gutachtens in dem beauftragten Umfang und zu den berechneten Kosten erforderlich.

4. Der Kläger hat schließlich auch einen Anspruch gegen die Beklagte auf Freistellung von einer Zahlungsverpflichtung in Höhe von 1.698, 13 € gegenüber den Rechtsanwälten R.

Der Anspruch ergibt sich aus §§ 280 I, II, 286 I BGB, nachdem sich die Beklagte spätestens mit Ablauf der im Schreiben vom 06.09.2015 bis zum 21 .09.2015 gesetzten Frist in Verzug befand.

Hinsichtlich der Höhe ergibt sich der Zahlungsbetrag aus einer 1,5-fachen Geschäftsgebühr, deren Ansatz im vorliegenden Fall angemessen erscheint, der Auslagenpauschale sowie der Umsatzsteuer jeweils nach einem Gegenstandswert von 33.400 €. …

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