1. Zwi­schen den Be­tei­lig­ten des selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­rens wirkt die in die­sem Rah­men vor­ge­zo­ge­ne Be­weis­auf­nah­me wie ei­ne un­mit­tel­bar im an­schlie­ßen­den Haupt­sa­che­ver­fah­ren selbst durch­ge­führ­te Be­weis­er­he­bung; die Be­weis­er­he­bung des selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­rens wird des­halb im Haupt­sa­che­pro­zess ver­wer­tet, als sei sie vor dem Pro­zess­ge­richt selbst er­folgt. Dem­entspre­chend hat ei­ne Be­weis­auf­nah­me im selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren mit dem Zu­stän­dig­keits­über­gang an das Pro­zess­ge­richt ei­ner­seits zur Fol­ge, dass ein neu­es Gut­ach­ten in ei­nem sich an­schlie­ßen­den Rechts­streit nur un­ter den en­gen Vor­aus­set­zun­gen des § 412 ZPO ein­ge­holt wer­den kann. An­de­rer­seits fal­len aber auch die un­er­le­digt ge­blie­be­nen Be­weis­an­trä­ge un­mit­tel­bar im Ver­fah­ren vor dem Pro­zess­ge­richt an und sind von die­sem im vor­ge­fun­de­nen Stand zu er­le­di­gen.
  2. Zu den Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Ver­zichts auf die Wei­ter­ver­fol­gung zu­vor ge­stell­ter pro­zes­sua­ler An­trä­ge.
  3. Die Ver­wer­tung ei­nes in ei­nem an­de­ren Ver­fah­ren ein­ge­hol­ten Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens ge­mäß § 411a I ZPO setzt ei­ne Ver­wer­tungs­an­ord­nung des Ge­richts vor­aus, zu de­ren Er­lass oder Aus­füh­rung den Par­tei­en Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me ge­ge­ben wer­den muss.

BGH, Be­schluss vom 14.11.2017 – VI­II ZR 101/17

Sach­ver­halt: Der Be­klag­te zu 1 ist Mie­ter ei­ner in S. ge­le­ge­nen Woh­nung der Klä­ge­rin. Er be­wohnt die Woh­nung, für die er ei­ne mo­nat­li­che Kalt­mie­te von 489 € zahlt, zu­sam­men mit sei­nem Sohn, dem Be­klag­ten zu 2. We­gen an­geb­li­cher Miet­rück­stän­de in Hö­he von sei­ner­zeit 2.587,20 €, die auf Miet­min­de­run­gen des Be­klag­ten zu 1 we­gen ei­nes ver­meint­lich de­fek­ten Schlaf­zim­mer­fens­ters so­wie we­gen Schim­mel­pilz­bil­dung und Feuch­tig­keit in der Woh­nung be­ru­hen, kün­dig­te die Klä­ge­rin das Miet­ver­hält­nis im De­zem­ber 2014 frist­los, hilfs­wei­se or­dent­lich.

In ei­nem we­gen die­ser Män­gel vom Be­klag­ten zu 1 zu­vor ein­ge­lei­te­ten selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren kam der mit der Be­gut­ach­tung be­auf­trag­te Sach­ver­stän­di­ge zu dem Er­geb­nis, dass kei­ne (bau­sei­ti­gen) Män­gel vor­lä­gen. Die in die­sem Ver­fah­ren vom Be­klag­ten zu 1 be­an­trag­te An­hö­rung des Sach­ver­stän­di­gen wur­de vom Ge­richt da­hin be­schie­den, dass auf­grund der zwi­schen­zeit­li­chen An­hän­gig­keit des den vor­lie­gen­den Rechts­streit bil­den­den Haupt­sa­che­ver­fah­rens das selbst­stän­di­ge Be­weis­ver­fah­ren be­en­det sei und die (wei­te­re) Be­fra­gung des Sach­ver­stän­di­gen in die­sem Rechts­streit, zu dem gleich­zei­tig die Ak­ten ab­ge­ge­ben wur­den, er­fol­gen wer­de.

Die Be­klag­ten, die sich ge­gen die im Haupt­sa­che­ver­fah­ren in ers­ter Li­nie auf Räu­mung und Her­aus­ga­be der Woh­nung durch bei­de so­wie auf Zah­lung rück­stän­di­ger Mie­te ge­rich­te­te Kla­ge durch den Be­klag­ten zu 1 vor al­lem mit den von ih­nen gel­tend ge­mach­ten Män­geln der Woh­nung ver­tei­digt und die Bei­zie­hung der Ak­ten des selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­rens be­an­tragt ha­ben, ha­ben die Er­geb­nis­se des Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens un­ter an­de­rem mit Blick auf ein von ih­nen ein­ge­hol­tes Pri­vat­gut­ach­ten als un­zu­tref­fend an­ge­grif­fen. In die­sem Zu­sam­men­hang hat der Be­klag­te zu 1 be­reits in sei­ner Kla­ge­er­wi­de­rung, auf die sich der spä­ter im We­ge der Kla­ge­er­wei­te­rung mit­ver­klag­te Be­klag­te zu 2 be­zo­gen hat, aus­ge­führt:

„Dies­be­züg­lich wur­de der SV durch den Di­rek­tor des AG ge­be­ten sich zu er­klä­ren, ob ei­ne schrift­li­che Be­ant­wor­tung oder münd­li­che Er­läu­te­rung aus sei­ner Sicht zweck­dien­lich sei, wo­zu al­ler­dings bis­her kei­ne Ant­wort ein­ge­gan­gen sei. Fer­ner wur­de durch den Di­rek­tor an­ge­regt, die­se Fra­gen im Rah­men des hier lau­fen­den Ver­fah­rens zu klä­ren.

Vor­sorg­lich be­an­tra­gen wir an die­ser Stel­le auch im Hin­blick auf die Ein­wen­dun­gen ge­gen das Gut­ach­ten, ein Ober­gut­ach­ten ein­zu­ho­len …“

In der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Amts­ge­richt, die un­ter Be­zug­nah­me auf die bei­ge­zo­ge­nen Ak­ten des selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­rens ge­führt wor­den ist, ha­ben die Be­klag­ten un­ter an­de­rem mit aus­drück­li­chem Hin­weis auf den be­reits in je­nem Ver­fah­ren ge­stell­ten An­trag des Be­klag­ten zu 1 auf An­hö­rung des dort be­stell­ten Sach­ver­stän­di­gen ver­han­delt.

Das Amts­ge­richt hat den Kla­ge­an­trä­gen im We­sent­li­chen ent­spro­chen, wo­bei es dem Er­geb­nis des ein­ge­hol­ten Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens, das ei­nen (bau­sei­ti­gen) Man­gel ver­neint hat, ge­folgt ist. Zu ei­ner An­hö­rung des Sach­ver­stän­di­gen hat es kei­nen An­lass ge­se­hen, weil der da­hin ge­hen­de, erst­mals wie­der in der münd­li­chen Ver­hand­lung ge­stell­te An­trag der Be­klag­ten nicht mehr un­ver­züg­lich i. S. von § 411 ZPO er­folgt und des­halb ge­mäß § 296 ZPO we­gen Ver­spä­tung zu­rück­zu­wei­sen ge­we­sen sei.

Die hier­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung der Be­klag­ten, mit der die­se un­ter an­de­rem die un­ter­blie­be­ne An­hö­rung des ge­richt­lich be­stell­ten Sach­ver­stän­di­gen ge­rügt ha­ben, hat das Land­ge­richt im Ver­fah­ren nach § 522 II ZPO zu­rück­ge­wie­sen. Da­bei hat es die auf § 296 ZPO ge­stütz­te Zu­rück­wei­sung der nach sei­ner Sicht von den Be­klag­ten erst in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Amts­ge­richt be­an­trag­ten An­hö­rung des Sach­ver­stän­di­gen ge­bil­ligt und die Be­weis­auf­nah­me zu den gel­tend ge­mach­ten Män­geln mit dem Amts­ge­richt für ab­ge­schlos­sen er­ach­tet. Denn in ers­ter In­stanz hät­ten die Be­klag­ten bis da­hin we­gen ih­rer be­reits im selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren ge­gen das dort er­stat­te­te Gut­ach­ten er­ho­be­nen Ein­wen­dun­gen kei­ne An­hö­rung des Sach­ver­stän­di­gen mehr, son­dern nur ein Ober­gut­ach­ten be­an­tragt. Da der zu­nächst im selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren ge­stell­te An­hö­rungs­an­trag von den Be­klag­ten nicht wei­ter­ver­folgt wor­den sei, ha­be das erst in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Amts­ge­richt ge­stell­te An­hö­rungs­be­geh­ren ei­nen neu­en An­trag dar­ge­stellt, der we­gen Ver­spä­tung hät­te zu­rück­ge­wie­sen wer­den müs­sen.

Auf die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de der Be­klag­ten wur­de der Be­schluss des Land­ge­richts teil­wei­se auf­ge­ho­ben und die Sa­che im Um­fang der Auf­he­bung an ei­ne an­de­re Kam­mer des Be­ru­fungs­ge­richts zu­rück­ver­wie­sen.

Aus den Grün­den: [8]    II. … Die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung ver­letzt in ent­schei­dungs­er­heb­li­cher Wei­se den An­spruch der Be­klag­ten auf Ge­wäh­rung recht­li­chen Ge­hörs (Art. 103 I GG).

[9]    1. Mit Er­folg macht die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gel­tend, dass das Be­ru­fungs­ge­richt den An­spruch der Be­klag­ten auf Ge­wäh­rung recht­li­chen Ge­hörs ver­letzt hat, weil es ent­ge­gen ih­ren An­trä­gen den im selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren tä­tig ge­wor­de­nen Sach­ver­stän­di­gen, des­sen Gut­ach­ten­s­er­geb­nis­se es sei­ner Ent­schei­dung zu­grun­de ge­legt hat, ge­nau­so wie zu­vor schon das Amts­ge­richt in ei­ner mit dem Ver­fah­rens­recht un­ver­ein­ba­ren Wei­se nicht zur Er­läu­te­rung sei­nes schrift­li­chen Gut­ach­tens münd­lich an­ge­hört hat.

[10]   a) Die von ei­ner Par­tei be­an­trag­te La­dung ei­nes Sach­ver­stän­di­gen ist grund­sätz­lich auch dann er­for­der­lich, wenn das Ge­richt – wie hier – das schrift­li­che Gut­ach­ten für über­zeu­gend hält und kei­nen wei­te­ren Er­läu­te­rungs­be­darf sieht. Zur Ge­währ­leis­tung des recht­li­chen Ge­hörs hat die Par­tei nach §§ 397, 402 ZPO ei­nen An­spruch dar­auf, dass sie dem Sach­ver­stän­di­gen die Fra­gen, die sie zur Auf­klä­rung der Sa­che für er­for­der­lich hält, zur münd­li­chen Be­ant­wor­tung vor­le­gen kann. Die­ses An­trags­recht be­steht un­ab­hän­gig von der nach § 411 III ZPO im pflicht­ge­mä­ßen Er­mes­sen des Ge­richts ste­hen­den Mög­lich­keit, von Amts we­gen das Er­schei­nen ei­nes Sach­ver­stän­di­gen zum Ter­min an­zu­ord­nen. Be­schrän­kun­gen des An­trags­rechts kön­nen sich al­len­falls aus dem – hier nicht vor­lie­gen­den – Ge­sichts­punkt des Rechts­miss­brauchs oder der – hier von den Vor­in­stan­zen an­ge­nom­me­nen – Pro­zess­ver­schlep­pung er­ge­ben (BVerfG [2. Kam­mer des Ers­ten Se­nats], Beschl. v. 17.01.2012 – 1 BvR 2728/10, NJW 2012, 1346 Rn. 14; BGH, Beschl. v. 23.11.2011 – IV ZR 49/11, Fam­RZ 2012, 297 Rn. 12; Beschl. v. 07.12.2010 – VI­II ZR 96/10, NJW-RR 2011, 704 Rn. 9; je­weils m. w. Nachw.). Die dar­ge­stell­ten Maß­stä­be gel­ten in glei­cher Wei­se, wenn der Sach­ver­stän­di­ge das Gut­ach­ten in ei­nem vor­aus­ge­gan­ge­nen selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren er­stat­tet hat (BGH, Beschl. v. 22.05.2007 – VI ZR 233/06, NJW-RR 2007, 1294 Rn. 3).

[11]   b) Ei­ne we­gen ver­spä­te­ter Gel­tend­ma­chung des An­hö­rungs­ver­lan­gens zur An­wen­dung der Präk­lu­si­ons­vor­schrif­ten – hier §§ 531 I, 296 ZPO – füh­ren­de Pro­zess­ver­schlep­pung hat das Be­ru­fungs­ge­richt da­nach in ge­hörs­ver­let­zen­der Wei­se be­jaht.

[12]   aa) Das Be­ru­fungs­ge­richt ist schon im An­satz rechts­ir­rig da­von aus­ge­gan­gen, dass die Be­klag­ten ih­ren An­trag auf münd­li­che Er­läu­te­rung des Gut­ach­tens erst im Ter­min zur Ver­hand­lung vor dem Amts­ge­richt vor­ge­bracht hät­ten.

[13]   (1) Hin­sicht­lich des Be­klag­ten zu 1 hat das Be­ru­fungs­ge­richt § 493 I ZPO au­ßer Be­tracht ge­las­sen, wo­nach in Fäl­len, in de­nen sich ei­ne Par­tei im Pro­zess auf Tat­sa­chen be­ruft, über die selbst­stän­dig Be­weis er­ho­ben wor­den ist, die selbst­stän­di­ge Be­weis­er­he­bung ei­ner Be­weis­auf­nah­me vor dem Pro­zess­ge­richt gleich­steht, so­weit die je­wei­li­gen Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten iden­tisch sind (BGH, Beschl. v. 22.05.2007 – VI ZR 233/06, NJW-RR 2007, 1294 Rn. 2). Die vor­ge­zo­ge­ne Be­weis­auf­nah­me wirkt al­so zwi­schen den Be­tei­lig­ten des selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­rens wie ei­ne un­mit­tel­bar im Haupt­sa­che­ver­fah­ren selbst durch­ge­führ­te Be­weis­er­he­bung; die Be­weis­er­he­bung des selb­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­rens wird des­halb im Haupt­sa­che­pro­zess ver­wer­tet, als sei sie vor dem Pro­zess­ge­richt selbst er­folgt (Ah­rens, in: Wiec­zo­rek/Schüt­ze, ZPO, 4. Aufl., § 493 Rn. 3, 14; Zöl­ler/Her­get, ZPO, 32. Aufl., § 493 Rn. 1; vgl. auch BGH, Urt. v. 29.05.1970 – V ZR 24/68, NJW 1970, 1919 [un­ter 1]; Urt. v. 18.09.2007 – XI ZR 211/06, BGHZ 173, 366 Rn. 27).

[14]   Dem­entspre­chend hat ei­ne Be­weis­auf­nah­me im selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren mit dem – im Streit­fall durch Ab­ga­be der Ak­ten er­folg­ten – Zu­stän­dig­keits­über­gang an das Pro­zess­ge­richt (da­zu BGH, Urt. v. 28.10.2010 – VII ZR 172/09, WM 2011, 419 Rn. 11 ff.; Beschl. v. 22.07.2004 – VII ZB 3/03, NZ­Bau 2004, 550 un­ter [II 2 d]) ei­ner­seits zur Fol­ge, dass ein neu­es Gut­ach­ten in ei­nem sich an­schlie­ßen­den Rechts­streit nur un­ter den en­gen Vor­aus­set­zun­gen des § 412 ZPO ein­ge­holt wer­den kann (BGH, Beschl. v. 13.09.2005 – VI ZB 84/04, BGHZ 164, 94 [97] m. w. Nachw.). An­de­rer­seits fal­len aber auch die un­er­le­digt ge­blie­be­nen Be­weis­an­trä­ge un­mit­tel­bar im Ver­fah­ren vor dem Pro­zess­ge­richt an und sind von die­sem zu er­le­di­gen. Das Pro­zess­ge­richt muss al­so, wenn es die Ak­ten des in der Sa­che noch nicht ab­ge­schlos­se­nen selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­rens bei­zieht, die Be­weis­auf­nah­me im vor­ge­fun­de­nen Stand selbst fort­set­zen (vgl. Hu­ber, in: Mu­sielak/Voit, ZPO, 14. Aufl., § 492 Rn. 3 a. E.; § 493 Rn. 2a).

[15]   Der An­trag des Be­klag­ten zu 1 auf La­dung des Sach­ver­stän­di­gen zur münd­li­chen An­hö­rung war des­halb auch im Ver­fah­ren vor dem Amts­ge­richt ge­stellt, oh­ne dass es sei­ner aus­drück­li­chen Wie­der­ho­lung be­durft hät­te. Das gilt im Streit­fall um­so mehr, als der Be­klag­te zu 1 in sei­ner Kla­ge­er­wi­de­rung so­gar aus­drück­lich auf sei­nen im selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren ge­stell­ten Er­läu­te­rungs­an­trag so­wie dar­auf hin­ge­wie­sen hat­te, dass der zu­stän­di­ge Ab­tei­lungs­rich­ter bei Ab­ga­be die­ses Ver­fah­rens an das Pro­zess­ge­richt an­ge­regt hat­te, die mit dem Er­läu­te­rungs­an­trag ver­bun­de­nen Fra­gen dort zu klä­ren.

[16]   (2) Zu Un­recht will das Be­ru­fungs­ge­richt das Pro­zess­ver­hal­ten des Be­klag­ten zu 1 da­hin ver­stan­den wis­sen, dass der von ihm im selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren ge­stell­te An­hö­rungs­an­trag an­ge­sichts des be­an­trag­ten Ober­gut­ach­tens nicht mehr wei­ter­ver­folgt, im Er­geb­nis al­so fal­len ge­las­sen wor­den sei.

[17]   Ein aus­drück­li­cher Ver­zicht ist nicht er­klärt. Aber auch ein kon­klu­den­ter Ver­zicht kann nicht ernst­lich in Be­tracht ge­zo­gen wer­den. In­so­weit hat das Be­ru­fungs­ge­richt näm­lich ver­kannt, dass ein Ver­zicht auf Rech­te im All­ge­mei­nen nicht zu ver­mu­ten ist, so­dass de­ren Auf­ga­be nur un­ter stren­gen Vor­aus­set­zun­gen, näm­lich bei ei­nem da­hin ge­hen­den un­zwei­deu­ti­gen Ver­hal­ten oder sonst ein­deu­ti­gen An­halts­punk­ten, an­ge­nom­men wer­den kann (BGH, Urt. v. 07.03.2002 – IX ZR 293/00, WM 2002, 999 [un­ter III 2 a]; Urt. v. 18.11.2015 – VI­II ZR 266/14, BGHZ 208, 18 Rn. 19; je­weils m. w. Nachw.). Das gilt in glei­cher Wei­se für pro­zes­sua­les Vor­brin­gen, bei dem hin­zu­kommt, dass et­wai­ge Zwei­fel über sei­nen Fort­be­stand ei­ne Auf­klä­rung nach § 139 I ZPO ge­bie­ten (BGH, Urt. v. 28.05.1998 – VII ZR 160/97, NJW 1998, 2977 [un­ter II 1] m. w. Nachw.; vgl. fer­ner BGH, Urt. v. 03.06.1997 – VI ZR 133/96, WM 1997, 2064 [un­ter II 2 c]).

[18]   Sol­che ein­deu­ti­gen An­halts­punk­te für ei­nen Ver­zicht hat das Be­ru­fungs­ge­richt nicht fest­ge­stellt. Sie sind auch nicht er­kenn­bar. Ins­be­son­de­re er­ge­ben sich sol­che An­halts­punk­te bei der auf der Hand lie­gen­den Wür­di­gung der In­ter­es­sen­la­ge des Be­klag­ten zu 1 nicht dar­aus, dass er „vor­sorg­lich … auch im Hin­blick auf die Ein­wen­dun­gen ge­gen das Gut­ach­ten [be­an­tragt hat], ein Ober­gut­ach­ten ein­zu­ho­len“. Denn dass er bei Ab­leh­nung ei­ner neu­en Be­gut­ach­tung nach § 412 I ZPO sei­ne im selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren un­ter Be­zug­nah­me auf ein ein­ge­hol­tes Pri­vat­gut­ach­ten sub­stan­zi­iert vor­ge­tra­ge­nen Ein­wen­dun­gen ge­gen das ein­ge­hol­te schrift­li­che Gut­ach­ten auf­ge­ben und da­mit sei­ne Rechts­ver­tei­di­gung prak­tisch ein­stel­len woll­te, kann nicht ernst­lich an­ge­nom­men wer­den. Zu­min­dest wä­re das Amts­ge­richt bei die­ser Sach­la­ge schlecht­hin nicht um­hin ge­kom­men, die sich sonst ge­ra­de­zu auf­drän­gen­de Klä­rungs­be­dürf­tig­keit des ge­nann­ten Punk­tes ge­mäß § 139 I ZPO durch Nach­fra­ge zu klä­ren, so­dass in der greif­bar un­zu­läng­li­chen Ver­fah­rens­lei­tung durch das erst­in­stanz­li­che Ge­richt, die das Be­ru­fungs­ge­richt un­ge­ach­tet der da­ge­gen er­ho­be­nen Be­ru­fungs­rüge der Be­klag­ten auf­recht­er­hal­ten hat, zu­gleich ei­ne ei­gen­stän­di­ge Ge­hörs­ver­let­zung des Be­ru­fungs­ge­richts i. S. von Art. 103 I GG lä­ge (vgl. BGH, Beschl. v. 17.11.2005 – V ZR 68/05, ju­ris Rn. 15 f.).

[19]   (3) Nichts an­de­res kann hin­sicht­lich des erst im We­ge der Kla­ge­er­wei­tung in den Rechts­streit ein­be­zo­ge­nen Be­klag­ten zu 2 gel­ten, für den vor­be­halt­lich ei­ner vom Ge­richt noch zu tref­fen­den und auch erst in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Amts­ge­richt durch die dort vor­ge­nom­me­ne The­ma­ti­sie­rung kon­klu­dent ge­trof­fe­nen Ver­wer­tungs­an­ord­nung (vgl. da­zu BGH, Beschl. v. 27.04.2016 – XII ZB 611/15, NJW-RR 2016, 833 Rn. 15 m. w. Nachw.) ei­ne Ver­wer­tung des im selbst­stän­di­gen Be­weis­ver­fah­ren ein­ge­hol­ten schrift­li­chen Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens ge­mäß § 411a I ZPO im Raum ge­stan­den hat. Denn ab­ge­se­hen da­von, dass er zu­min­dest kei­ne zwin­gen­de Ver­an­las­sung ha­ben muss­te, vor Er­lass oder An­kün­di­gung ei­ner sol­chen An­ord­nung zu dem ein­ge­hol­ten Gut­ach­ten Stel­lung zu neh­men und An­trä­ge zu stel­len, und da­mit sei­nen Er­läu­te­rungs­an­trag erst­mals in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Amts­ge­richt zu stel­len brauch­te, be­steht auch kein An­halt, dass der Be­klag­te zu 2 sich in­so­weit den An­trä­gen des Be­klag­ten zu 1 zu sei­ner Rechts­ver­tei­di­gung nicht an­schlie­ßen woll­te. Die Über­ein­stim­mung liegt an­ge­sichts des mit sei­nem Ein­tritt un­über­seh­bar auf den Pro­zess­vor­trag des Be­klag­ten zu 1 be­zo­ge­nen Ver­tei­di­gungs­vor­brin­gens viel­mehr auf der Hand, so­dass das Amts­ge­richt zu­gleich da­von aus­ge­hen muss­te, dass der Be­klag­te zu 2 sich dem Er­läu­te­rungs­an­trag des Be­klag­ten zu 1 von vorn­her­ein an­ge­schlos­sen hat, zu­min­dest aber im Fal­le ei­ner An­ord­nung nach § 411a I ZPO so­fort an­schlie­ßen wür­de.

[20]   So­weit die Be­schwer­de­er­wi­de­rung meint, der Be­klag­te zu 2 ha­be die Ge­hörs­ver­let­zung nicht ge­rügt, miss­deu­tet sie den Sinn sei­ner Aus­füh­run­gen auf Sei­te 7 der Be­schwer­de­be­grün­dung.

[21]   bb) Wei­ter­hin hat das Be­ru­fungs­ge­richt ver­kannt, dass auch sonst die für ei­ne Nicht­be­rück­sich­ti­gung des Er­läu­te­rungs­an­trags nach § 531 I ZPO er­for­der­li­chen Vor­aus­set­zun­gen des § 296 I, II ZPO, auf die das Amts­ge­richt sei­ne Zu­rück­wei­sung stüt­zen woll­te, we­der fest­ge­stellt noch sonst er­sicht­lich sind, so­dass das Be­ru­fungs­ge­richt auch in­so­weit durch die feh­ler­haf­te An-wen­dung die­ser Präk­lu­si­ons­vor­schrif­ten den An­spruch der Be­klag­ten auf Ge­wäh­rung recht­li­chen Ge­hörs ei­gen­stän­dig ver­letzt hat (vgl. nur Se­nat, Beschl. v. 20.09.2016 – VI­II ZR 247/15, NJW 2017, 491 Rn. 14 m. w. Nachw.).

[22]   (1) Da das Amts­ge­richt den Be­klag­ten kei­ne Er­klä­rungs­frist nach § 411 IV 2 ZPO ge­setzt hat, kam ei­ne Zu­rück­wei­sung des Er­läu­te­rungs­an­trags ge­mäß § 296 I ZPO von vorn­her­ein nicht in Be­tracht.

[23]   (2) Ab­ge­se­hen da­von, dass die Be­klag­ten ihr Er­läu­te­rungs­ver­lan­gen recht­zei­tig ge­stellt ha­ben (da­zu vor­ste­hend un­ter II 1 b aa (1), (3)), hät­te ei­ne et­wai­ge Ver­spä­tung auch nicht durch Zu­rück­wei­sung nach § 296 II ZPO sank­tio­niert wer­den kön­nen. Denn ei­ne An­trag­stel­lung erst in der münd­li­chen Ver­hand­lung könn­te al­lein schon we­gen ei­ner in die­sem Fall als zu­min­dest mit­ur­säch­lich an­zu­se­hen­den Ver­let­zung von Hin­weis­pflich­ten des Amts­ge­richts nach § 139 I ZPO (da­zu vor­ste­hend un­ter II 1 b aa (2)) nicht als auf gro­ber Nach­läs­sig­keit be­ru­hend an­ge­se­hen wer­den (vgl. BGH, Urt. v. 05.07.1990 – I ZR 164/88, NJW 1991, 493 [un­ter III 2]; Beschl. v. 08.12.2005 – VII ZR 67/05, NJW-RR 2006, 524 Rn. 8).

[24]   cc) Oh­ne Er­folg macht die Be­schwer­de­er­wi­de­rung schließ­lich un­ter Be­zug­nah­me auf ei­nen Be­schluss des BGH vom 17.03.2016 (IX ZR 211/14, WM 2016, 2146) gel­tend, die Be­klag­ten sei­en ge­hin­dert, die ge­nann­te Ge­hörs­ver­let­zung noch im Ver­fah­ren der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de zu rü­gen, weil sie es un­ter­las­sen hät­ten, zu der vom Be­ru­fungs­ge­richt be­reits in sei­nem Hin­weis­be­schluss ver­tre­te­nen Rechts­auf­fas­sung noch ein­mal vor Er­lass der Zu­rück­wei­sungs­ent­schei­dung Stel­lung zu neh­men. Denn im Streit­fall geht es – an­ders als in dem von der Be­schwer­de­er­wi­de­rung her­an­ge­zo­ge­nen Be­schluss – nicht dar­um, dass das Be­ru­fungs­ge­richt in sei­nem Hin­weis­be­schluss ein be­stimm­tes Vor­brin­gen des Be­ru­fungs­füh­rers über­gan­gen hat. Es geht viel­mehr dar­um, dass das Be­ru­fungs­ge­richt dar­in den in der Be­ru­fungs­schrift vor­ge­tra­ge­nen Rü­gen hin­sicht­lich der be­an­trag­ten Gut­ach­ten­ser­läu­te­rung nicht ge­folgt ist und die un­zu­tref­fen­de An­wen­dung der ge­nann­ten Präk­lu­si­ons­be­stim­mun­gen durch das Amts­ge­richt als rechts­feh­ler­frei ge­bil­ligt hat. In­so­weit brauch­te die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ih­re vom Be­ru­fungs­ge­richt be­han­del­te Rü­ge nicht noch ein­mal ei­gens zu wie­der­ho­len, um dem Sub­si­dia­ri­täts­grund­satz ge­recht zu wer­den.

[25]   2. Der in der Zu­rück­wei­sung der An­trä­ge auf Gut­ach­ten­ser­läu­te­rung lie­gen­de Ge­hörs­ver­stoß ist so­wohl hin­sicht­lich des Räu­mungs- und Her­aus­ga­be­be­geh­rens als auch hin­sicht­lich der Miet­for­de­rung ent­schei­dungs­er­heb­lich. Denn es kann nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass das Be­ru­fungs­ge­richt auf­grund der Ein­wen­dun­gen der Be­klag­ten ge­gen das ein­ge­hol­te Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten zu dem Er­geb­nis ge­langt wä­re, dass ins Ge­wicht fal­len­de Män­gel der Miet­woh­nung vor­ge­le­gen ha­ben und die dar­auf ge­stütz­te Miet­min­de­rung ei­ne Grö­ßen­ord­nung er­reicht, wel­che ei­ne rest­li­che Miet­zah­lungs­pflicht des Be­klag­ten zu 1 ganz oder je­den­falls in ei­nem Um­fang ent­fal­len lässt, der ab­ge­se­hen von ei­nem Fort­fall oder ei­ner Re­du­zie­rung der be­zif­fer­ten Kla­ge­for­de­rung ei­ne Kün­di­gung we­gen Zah­lungs­ver­zugs nicht mehr recht­fer­ti­gen wür­de.

[26]   III. Der die Be­ru­fung zu­rück­wei­sen­de Be­schluss des Land­ge­richts kann da­her kei­nen Be­stand ha­ben; er ist auf­zu­he­ben. Zu­gleich ist der Rechts­streit ge­mäß § 544 VII ZPO zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Be­ru­fungs­ge­richt zu­rück­zu­ver­wei­sen, wo­bei der Se­nat von der Mög­lich­keit des § 563 I 2 ZPO Ge­brauch macht. …

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