- Im Verkehrsunfallprozess besitzt eine an der Unfallstelle abgegebene spontane Äußerung im Regelfall nicht die Rechtswirkungen eines konstitutiven oder deklaratorischen Schuldanerkenntnisses. Allerdings ist die Unfallschilderung eines Unfallbeteiligten im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO als gewichtiges Indiz zu würdigen.
- Eine volle Umkehr der Beweislast kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn sich der Unfallgegner noch an Ort und Stelle weigert, seine mündliche Unfallschilderung schriftlich zu bestätigen.
OLG Saarbrücken, Urteil vom 01.03.2011 – 4 U 370/10-110
Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte als Halterin eines Peugeot 308 aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 12.06.2009 in in einer verkehrsberuhigten Straße ereignete.
Die Zeugin Z parkte das Fahrzeug des Klägers, einen BMW 318d, auf der rechten Straßenseite auf dem Seitenstreifen. Dieser ist durch eine gepflasterte Wasserrinne von der Fahrbahn getrennt. Kurz danach näherte sich die Beklagte dem klägerischen Fahrzeug aus der gleichen Fahrtrichtung. Als sie das Fahrzeug des Klägers passierte, kam es zu einem Kontakt der beiden Fahrzeuge, wobei das klägerische Fahrzeug im vorderen linken Bereich und das Fahrzeug der Beklagten zu im vorderen rechten Bereich beschädigt wurde. Im Unfallzeitpunkt ragte das Fahrzeug des Klägers teilweise in die Fahrbahn hinein.
Der Kläger hat behauptet, die Zeugin Z habe das Fahrzeug leicht schräg eingeparkt, damit die Beifahrerin, die Zeugin Y, ihre Mutter, wegen der auf der rechten Seite des Seitenstreifens befindlichen Mauer besser aus dem Auto habe aussteigen können. Hierbei habe die vordere linke Ecke einige Zentimeter in den Fahrbahnbereich hinein geragt, wobei die Durchfahrt anderer Fahrzeuge jedoch nicht behindert worden sei. Die Beklagte sei mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren und mit dem im Kollisionszeitpunkt stehenden Fahrzeug des Klägers zusammengestoßen, weil sie zu früh nach rechts ausgeschert sei, um einem auf der Fahrbahn befindlichen Baum auszuweichen.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug auf der Grundlage einer hundertprozentigen Haftung der Beklagten die Erstattung des ihm entstandenen Fahrzeugschadens und die Freistellung von den Kosten, die ihm aus der Beauftragung eines Sachverständigenbüros sowie aus der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs entstanden sind, begehrt. Außerdem hat er die Beklagte auf Erstattung vor- und außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, dass eine deliktische Haftung der Beklagten schon deshalb nicht in Betracht komme, weil ein Verschulden nicht nachgewiesen sei. Auch eine Haftung der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung (§ 7 StVG) komme nicht in Betracht. Da die Zeugin Z an der Unfallstelle ein Schuldanerkenntnis abgegeben habe, müsse der Kläger den Nachweis führen, dass die Zeugin an dem Zustandekommen des Unfalls nicht schuld gewesen sei. Diesen Beweis habe er nicht erbracht.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren auf der Grundlage einer fünfzigprozentigen Haftungsquote weiter. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. A. Deliktsrechtliche Ansprüche scheiden mangels nachgewiesenen Verschuldens der Beklagten aus den zutreffenden Erwägungen des Landgerichts aus. Auch eine Haftung aus § 7 StVG hat das Landgericht im Ergebnis mit Recht verneint: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Zeugin Z ein schwerwiegender Verstoß gegen die in § 10 StVO normierten Sorgfaltsanforderungen unterlaufen, weshalb bei der Haftungsabwägung die alleine zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs vollständig zurücktritt.
1. Die Beklagte haftet dem Grunde nach unter dem rechtlichen Aspekt der straßenverkehrsrechtlichen Gefährdungshaftung (§ 7 I StVG; § 115 I 1 Nr. 4 und § 115 I 4 VVG), da unstreitig ist, dass der Schaden bei dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs entstanden ist. Die Voraussetzungen der höheren Gewalt (§ 7 II StVG) liegen ersichtlich nicht vor. Da sich auch das klägerische Fahrzeug selbst dann unter Verwirklichung des straßenverkehrsrechtlichen Gefährdungstatbestands im Betrieb befand, wenn es zum Zeitpunkt des Unfalls gestanden hätte (auch ein geparktes Fahrzeug befindet sich jedenfalls dann noch im Betrieb, solange der Fahrer noch nicht ausgestiegen ist; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 7 Rn. 8), wurde der Schaden i. S. des § 17 I StVG durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht. Mithin hängt der Ausgang des Rechtsstreits von der richtigen Anwendung der zu § 17 I StVG entwickelten Rechtsgrundsätze ab:
2. Gemäß § 17 I StVG hängt im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Hierbei kommen auch Schuldgesichtspunkte zum Tragen (BGH, Urt. v. 11.01.2005 – VI ZR 352/03, NJW 2005, 1351). Jedoch sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, das heißt unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung auf Grund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (BGH, Urt. v. 21.11.2006 – VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; Urt. v. 27.6.2000 – VI ZR 126/99, NJW 2000, 3069; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 17 StVG Rn. 5).
3. Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nur der Zeugin Z ein unfallursächliches Verschulden vorzuwerfen. Demgegenüber tritt die zulasten der Beklagten allein zu gewichtende Betriebsgefahr vollständig zurück:
a) Gemäß § 10 Satz 1 und 2 StVO hat sich derjenige, der vom Fahrbahnrand anfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Er hat seine Absichten unter Benutzung der Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig und deutlich anzukündigen. Diese Sorgfaltsanforderungen hat die Zeugin Z missachtet: Nach der Überzeugung des Senats ist die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs ohne Setzen des Blinkers nach links in die Fahrbahn ausgeschert und deshalb unter Missachtung des Vorrechts des fließenden Verkehrs mit dem Fahrzeug der Beklagten zusammenstoßen.
aa) Allerdings ist ein solcher Unfallverlauf entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts nicht deshalb zu unterstellen, weil die Zeugin Z an der Unfallstelle ein Schuldanerkenntnis abgegeben hat, welches hinsichtlich des anerkannten Sachverhalts zu einer Umkehr der Beweislast führte:
aaa) Schuldanerkennende Erklärungen können vielfältige Rechtswirkungen besitzen: So liegt ein konstitutives Schuldanerkenntnis i. S. des § 781 BGB vor, wenn der Anerkennende unabhängig vom Schuldgrund eine neue selbständige Verpflichtung schaffen will, die auch dann ihre Rechtswirksamkeit bewahren soll, wenn der ursprüngliche Anspruch nicht besteht (Palandt/Sprau, BGB, 70. Aufl., § 781 Rn. 2; vgl. BGH, Urt. v. 04.04.2000 – XI ZR 152/99, NJW 2000, 2984). Auch das deklaratorische Schuldanerkenntnis verkörpert eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, mit der der Anerkennende eine bereits bestehende Schuld lediglich bestätigen will oder in einem bestehenden Schuldverhältnis einzelne Einwendungen dem Streit oder der Ungewissheit entziehen will (BGH, Urt. v. 01.12.1994 – VII ZR 215/93, NJW 1995, 960; Urt. v. 10.06.2008 – XI ZR 348/07, NJW 2008, 3425). Die Abgabe eines bestätigenden Schuldanerkenntnisses kommt nur dann in Betracht, wenn die Beteiligten besonderen Anlass für ein Anerkenntnis besaßen. In der Rechtsprechung wird ein solcher Anlass insbesondere darin erblickt, wenn zunächst Streit oder Ungewissheit über das Bestehen der Schuld geherrscht hat (BGHZ 66, 250 [255]; BGH, Urt. v. 11.11.2008 – VIII ZR 265/07, NJW 2009, 580; Urt. v. 10.01.1984 – VI ZR 64/82, NJW 1984, 799).
Im zur Entscheidung stehenden Sachverhalt scheidet sowohl die Abgabe eines konstitutiven als auch eines deklaratorischen Anerkenntnisses aus: Es ist nicht ersichtlich, dass die Zeugin Z mit ihrer Schilderung des Unfallverlaufs eine auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtete Willenserklärung abgeben wollte. Auch ein Anlass für die Abgabe eines deklaratorisches Schuldanerkenntnisses war nicht vorhanden, nachdem beide Unfallbeteiligten den Unfallhergang übereinstimmend schilderten. Überdies könnte eine solche materiellrechtliche Erklärung nur die Zeugin Z selbst und ihre eigene – nicht streitgegenständliche – Haftung am Unfallgeschehen betreffen. Eine Zurechnung der materiellen Anerkenntniswirkungen zum Nachteil des Klägers scheidet aus.
bbb) Demnach ist allenfalls in Betracht zu ziehen, ob die Erklärung der Zeugin Z auf der prozessualen Ebene hinsichtlich des zugestandenen Sachverhalts zu einer Umkehr der Beweislast führte. Im Grundsatz sind gerade im Verkehrsunfallprozess alle spontanen Äußerungen an der Unfallstelle über die Schuldfrage nach dem Unfallgeschehen zurückhaltend zu beurteilen (Heckelmann/Wilhelmi, in: Erman, BGB, 12. Aufl., § 781 Rn. 13; OLG Düsseldorf, NJW 2008, 3366). Die gravierende beweisrechtliche Rechtsfolge einer vollen Beweislastumkehr besitzt eine an der Unfallstelle abgegebene Erklärung nur dann, wenn den Parteien die Tragweite ihrer Erklärung auch aus der Sicht eines in Rechtsdingen unerfahrenen Laien zumindest erkennbar war. Ein solches Bewusstsein wird im Regelfall vorhanden sein, wenn die Aussage in schriftlicher Verkörperung erfolgt. Derjenige, der – wie im Sachverhalt der Entscheidung BGH, NJW 1984, 799 – an der Unfallstelle seinem Unfallgegner eine die Schuld bestätigende Erklärung übergibt, weiß, dass die Erklärung im Falle eines eventuellen Rechtsstreits zu Beweiszwecken dient. Ihm ist auch bewusst, dass sich der Gegner, der das Anerkenntnis in Händen hält, hinsichtlich des Beweisrisikos in Sicherheit wiegt und geneigt sein wird, mit Blick auf das Anerkenntnis von weitergehenden Aufklärungsmöglichkeiten an Ort und Stelle abzusehen. Nach diesen Erwägungen ist die volle Beweislastumkehr gleichermaßen Ausfluss des aus § 242 BGB herzuleitenden Verbotes widersprüchlichen Verhaltens als auch Konsequenz der prozessualen Grundsätze, die im Falle der Beweisvereitelung oder Beweiserschwerung der benachteiligten Partei Beweiserleichterungen zubilligen (vgl. MünchKomm-BGB/Habersack, 5. Aufl., § 781 Rn. 33; zur prozessualen Beweiserleichterung vgl. Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 2. Aufl., § 286 Rn. 67).
Hiervon unterscheidet sich der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt: Die Zeugin Z hat nach den Aussagen der Zeuginnen … keine ihre Schuld eingestehende Erklärung abgegeben, sondern lediglich das Unfallgeschehen geschildert. Erst recht hat die Zeugin Z keine schriftliche Erklärung übergeben, sondern sich stattdessen geweigert, das von der Beklagten an der Unfallstelle geschriebene Anerkenntnis zu unterzeichnen. Angesichts dessen konnte die Beklagte nicht mehr darauf vertrauen, auf Grund der an Ort und Stelle abgegebenen mündlichen Erklärungen gegen eventuelle beweisrechtliche Risiken nachhaltig abgesichert zu sein. In jedem Fall wäre ein solches Vertrauen nicht in einem solchen Maße schutzwürdig, dass der Enttäuschung des Vertrauens nur mit der Umkehr der Beweislast begegnet werden könnte. Vielmehr erscheint es vorzugswürdig, im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO die an Ort und Stelle erfolgte Unfallschilderung der Zeugin Z lediglich als – gewichtiges – Beweisanzeichen für die Richtigkeit des Beklagtenvortrags zu würdigen (für flexible Beweiswirkungen einer an der Unfallstelle abgegebenen Erklärung: OLG Düsseldorf, NJW 2008, 3366; MünchKomm-BGB/Habersack, a. a. O., Rn. 33; Palandt/Sprau, a. a. O., § 781 Rn. 6; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 781 Rn. 18; Buck-Heeb, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 4. Aufl., § 781 Rn. 16; i. E. wie hier auch Staudinger/Marburger, BGB, Neubearb. 2009, § 781 Rn. 40, der die volle Beweislastumkehr nur dann anerkennen will, wenn der Erklärungsempfänger im Vertrauen auf die Richtigkeit und den Bestand der Erklärung mögliche Beweissicherungsmaßnahmen unterlassen hat).
bb) Dies berücksichtigend steht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) fest, dass sich der Unfall so zugetragen hat, wie es die Beklagten vorgetragen haben: …
b) Aufseiten der Beklagten ist ein allein in Betracht kommender Geschwindigkeitsverstoß nicht nachgewiesen, da die Beklagte nach dem Ergebnis des Sachverständigenbeweises nicht nachweisbar schneller als 5 km/h fuhr. Mithin war zulasten der Beklagten allenfalls die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zu würdigen. Diese tritt jedoch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung vollständig hinter den nachgewiesenen schwerwiegenden Verkehrsverstoß der Zeugin Z zurück: Die Vorschrift des § 10 StVO verlangt die Beachtung der strengsten Sorgfalt, da sie dem Anfahrenden auferlegt, sein Fahrmanöver nur dann einzuleiten, wenn die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Mithin entspricht es der Kasuistik, dass die Betriebsgefahr des sich im fließenden Verkehr bewegenden Fahrzeugs regelmäßig vollständig zurücktritt (KG, NJW 2010, 3790; OLG München, Urt. v. 27.05.2010 – 10 U 4431/09; OLG Bremen, Urt. v. 25.02.2010 – 5 U 45/09; OLG Celle, NJW-RR 2003, 1536; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 17 StVG Rn. 18; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 10 StVO Rn. 8) …