Die Beschlagnahme eines Fahrzeugs durch staatliche Behörden begründet nur dann einen Rechtsmangel i. S. des § 435 BGB, wenn sie – etwa wie eine Beschlagnahme nach §§ 111b und c StPO – den Verfall oder die Einziehung des Fahrzeuges zur Folge haben kann. Eine nach § 94 StPO oder einer vergleichbaren Vorschrift des ausländischen Rechtes angeordnete Sicherstellung führt dagegen nicht zum Entstehen eines Rechtsmangels.
LG Bonn, Urteil vom 30.10.2009 – 2 O 252/09
(nachfolgend: OLG Köln, Beschluss vom 16.03.2010 und vom 01.06.2010 – 22 U 176/09)
Sachverhalt: Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Kaufvertrags.
Der Beklagte kaufte 2006 einen 2005 erstzugelassenen Gebrauchtwagen vom Erstbesitzer, der Autohaus B-GmbH in X. (fortan: Autohaus). Der Fahrzeugkauf wurde durch die C-Bank finanziert, die auch den Fahrzeugbrief in Besitz nahm.
2007 stellten ungarische Behörden eine Meldung in das Schengener Informationssystem (im Folgenden: SIS) ein, wonach ein Fahrzeug mit der Identifizierungsnummer … und dem Kennzeichen … in Ungarn als gestohlen gemeldet sei. Das SIS ist ein nicht öffentliches europäisches Computernetzwerk, mit dem Informationen über gesuchte Personen und gestohlene Gegenstände und Fahrzeuge im Schengen-Raum gesammelt werden. Jeder Schengen-Staat kann gesuchte Personen oder Sachen in das SIS eingeben. Die Verfügungsgewalt über die von ihm eingespeisten Daten steht allein dem eingebenden Staat zu; Behörden eines anderen EU-Mitgliedstaats können hieran keine Veränderungen vornehmen.
Aufgrund der SIS-Meldung richtete das Bundeskriminalamt als innerstaatlich zuständige Behörde eine Anfrage an die örtliche Polizeibehörde in Ungarn. Der mit der Bearbeitung der Anfrage betraute örtliche Polizeibeamte teilte dem Bundeskriminalamt nach entsprechenden Ermittlungen mit, dass es sich bei dem Pkw des Beklagten nicht um das als gestohlen gemeldete Fahrzeug handeln könne. Das Fahrzeug sei auf den Halter zugelassen und werde von diesem gefahren. Vonseiten deutscher Behörden wurden in Bezug auf das Fahrzeug des Beklagten daraufhin keine weiteren Maßnahmen ergriffen. Der Beklagte wusste weder von den durchgeführten Ermittlungen noch von ihrem Ergebnis.
Während der Besitzzeit des Beklagten wurde das streitgegenständliche Fahrzeug in einen Unfall verwickelt und beschädigt. 2008 verkaufte es der Beklagte für 21.500 € an den Kläger. Im Kaufvertrag wurde vermerkt, dass das Fahrzeug ein Unfallwagen sei, der als Bastlerobjekt verkauft werde. Die Außenstände des Beklagten bei der C-Bank wurden beglichen; dem Kläger wurde das Fahrzeug mitsamt Fahrzeugpapieren übergeben.
Der Kläger reparierte das Fahrzeug und verkaufte es zum Preis von 27.000 € über einen Herrn E an eine Frau W.
Als diese Fahrzeug in Tschechien anmelden wollte, wurde es wegen der Übereinstimmung der Fahrzeug-Identifizierungsnummer mit der Eintragung im SIS beschlagnahmt. Frau W erklärte daraufhin dem Kläger gegenüber den Rücktritt vom Kaufvertrag. Der Kläger war mit einer Rückabwicklung des Kaufvertrags einverstanden und erstattete den gezahlten Kaufpreis.
Anschließend forderte der Kläger den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben zur Rückzahlung des Kaufpreises sowie zur Erstattung der ihm durch die Reparatur entstandenen Aufwendungen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, auf. Der Beklagte lehnte – ebenfalls durch anwaltliches Schreiben – eine Rückabwicklung des Kaufvertrags ab.
Der Kläger meint, die in Tschechien erfolgte Beschlagnahme stelle einen Rechtsmangel dar. Er hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn – Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs – 21.500 € nebst Zinsen zu zahlen und ihm vorgerichtlich aufgewandte Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.196,43 € nebst Zinsen zu ersetzen.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Dem Kläger steht der mit dem Antrag zu 1. geltend gemachte Anspruch nicht zu. Er folgt weder aus §§ 346 I, 323 I BGB noch aus §§ 346 I, 437 Nr. 2, 435 BGB.
Ein Anspruch aus §§ 346 I, 323 I BGB scheidet aus, da nicht ersichtlich ist, dass der Beklagte dem Kläger das Eigentum am streitgegenständlichen Fahrzeug nicht verschafft hat. Der Kläger hat nicht behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei gestohlen.
Der Anspruch folgt aber auch nicht aus §§ 346 I, 437 Nr. 2, 435 BGB.
Dabei ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger … eine hinreichende Nachfrist i. S. von § 323 I BGB gesetzt hat. Denn … der Kläger [hat] dem Beklagten eine Frist zur Rückzahlung des Kaufpreises, aber nicht zur Behebung des Mangels gesetzt.
Die Nachfristsetzung war auch nicht nach §§ 326 V, 323 I BGB entbehrlich. Allein durch eine Beschlagnahme des Kaufgegenstands aufgrund Diebstahlsverdachts wird die Erfüllung des Nacherfüllungsanspruchs nicht unmöglich i. S. von §§ 326 V, 323 I BGB (Wertenbruch, ZGS 2004, 367 [369]). Unmöglichkeit tritt vielmehr nur dann ein, wenn sich der Diebstahlsverdacht bestätigt und der wahre Eigentümer nicht zum Verkauf bereit ist (Löwisch/Caspers, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, § 275 Rn. 69; zum alten Schuldrecht: BGH, NJW 1988, 699 [700]). Zuvor muss aber der Käufer dem Verkäufer die Möglichkeit geben, durch wahrheitsgemäße Angaben bei der Polizei zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen und gegebenenfalls – bei Vorliegen eines Diebstahls – den wahren Eigentümer gegen Entgelt zur Freigabe der gestohlenen Sache an den Käufer zu bewegen.
Letztlich kann aber dahinstehen, ob dem Beklagten eine ausreichende Nachfrist gesetzt worden ist. Die erfolgte Beschlagnahme durch die tschechischen Behörden stellt keinen Rechtsmangel i. S. von § 435 BGB dar.
Eine Beschlagnahme durch innerstaatliche Behörden stellt einen Rechtsmangel dar, wenn sie gemäß § 111b StPO vorgenommen wird und der Sachverhalt, aufgrund dessen die Beschlagnahme erfolgt, bereits bei Gefahrübergang bestand (BGH, Urt. v. 18.02.2004 – VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 f.). Eine Beschlagnahme allein nach § 94 II StPO begründet hingegen keinen Rechtsmangel (LG Bonn, NJW 1977, 1822 f.; OLG Köln, OLGR 2002, 169; OLG Hamm, OLGR 2000, 67 (68); offengelassen in BGH, Urt. v. 18.02.2004 – VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 [1803]). Denn nur die der Ausführung von Verfallerklärungen oder Einziehungen oder deren Sicherung dienende Beschlagnahme nach § 111b StPO birgt die Gefahr des dauerhaften Rechtsverlusts für den Käufer, wohingegen die Beschlagnahme zu Beweissicherungszwecken nach § 94 II StPO nur für eine vorübergehende (wenn auch unter Umständen recht lange) Dauer erfolgt. Die Eigentümerposition des Käufers wird durch eine Beschlagnahme nach § 94 II StPO nicht beeinträchtigt. Vielmehr ist die Entziehung ein allgemeines Risiko, das der Käufer ab Gefahrtragung zu tragen hat (LG Bonn, NJW 1977, 1822 [1823]; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl.; § 434 Rn. 69 [zum alten Schuldrecht]). Hieran hat sich durch die Schuldrechtsreform nichts geändert.
Entsprechendes muss für eine Beschlagnahme durch Behörden eines EU-Mitgliedsstaats gelten. Ob die Beschlagnahme durch in- oder ausländische Behörden erfolgt, ist für die Frage, ob ein Rechtsmangel vorliegt, grundsätzlich ohne Belang. Dies ergibt sich schon daraus, dass das deutsche Privatrecht auch sonst die Möglichkeit kennt, dass Tatbestandsmerkmale einer inländischen Sachnorm durch Rechtsvorgänge erfüllt werden, die sich nach ausländischem Recht vollzogen haben, aber funktionsäquivalent sind (sog. Substitution; vgl. hierzu BGHZ 109, 1 [6]; Palandt/Thorn, BGB, 68. Aufl. [2009], Einl. v. Art. 3 EGBGB Rn. 31).
Die durch die tschechischen Behörden durchgeführte Beschlagnahme ist aber nicht mit einer Beschlagnahme mit § 111b StPO vergleichbar, sondern mit einer Beschlagnahme allein zu Beweissicherungszwecken. Die erfolgte Beschlagnahme dient ersichtlich nicht der Ausführung einer Verfallerklärung oder Ähnlichem. Sie hat für den Kläger auch nicht zu einem endgültigen Rechtsverlust geführt. Vielmehr steht das Fahrzeug seit ca. einem Jahr bei der Prager Polizei, ohne dass eine Verbringung nach Ungarn auch nur angekündigt worden wäre. Auch bemühen sich die tschechischen Behörden darum, eine Freigabeerklärung durch die entsprechenden ungarischen Stellen zu erreichen …
Hinweis: Das OLG Köln hat den Kläger mit Beschluss vom 16.03.2010 – 22 U 176/09 – darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, seine Berufung gemäß § 522 II ZPO zurückzuweisen. In dem Hinweisbeschluss heißt es unter anderem:
… Das angefochtene Urteil entspricht im Ergebnis der Sach- und Rechtslage. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Rückzahlung des … Kaufpreises aus den §§ 346 I, 323, 437 Nr. 2, 435 BGB.
1. Der Kläger rügt mit der Berufung zum einen, das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine – nach seinen Ausführungen im angefochtenen Urteil erforderliche – Nachbesserungsaufforderung hier unterblieben sei. Diese Frage kann aber, wie auch das Landgericht ausgeführt hat, letztlich unentschieden bleiben. Denn jedenfalls fehlt es an dem für einen Rücktritt vom Kaufvertrag erforderlichen Vorliegen eines Rechtsmangels des verkauften Fahrzeuges (§ 435 BGB).
2. Ohne Erfolg macht der Kläger insoweit geltend, ein Rechtsmangel liege hier vor, weil durch die in der tschechischen Republik erfolgte Beschlagnahme des Fahrzeuges sowie der dazugehörigen Schlüssel und Papiere der Gebrauch des Kaufgegenstandes beeinträchtigt sei, was letztlich einer Beschlagnahme nach § 111b StPO gleichstehe.
Wie danach auch der Kläger richtigerweise erkennt, begründet eine Beschlagnahme durch staatliche Behörden nur dann einen Rechtsmangel i. S. des § 435 BGB, wenn diese – etwa wie eine Beschlagnahme nach §§ 111b und c StPO – den Verfall oder die Einziehung der Sache (hier des verkauften Fahrzeuges) zur Folge haben kann (vgl. BGH, Urt. v. 18.02.2004 – VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 [1803] m. w. Nachw.). Dagegen führt eine nach § 94 StPO oder einer vergleichbaren Vorschrift des ausländischen Rechtes angeordnete Sicherstellung nicht zum Entstehen eines Rechtsmangels (vgl. OLG Köln, OLGR 2002, 169 m. w. Nachw.).
Mit Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass eine Beschlagnahme nach § 111b StPO im Streitfall nicht in Betracht kommt. Das Vorbringen des Klägers in der Berufungsbegründung vom 29.12.2009 rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Nach § 111b StPO erfolgt die Sicherstellung von Gegenständen (durch Beschlagnahme, § 111c StPO), wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen für ihren Verfall oder ihre Einziehung vorhanden sind. Die Sicherstellung nach § 94 StPO dient dagegen nur der Sicherung von Beweisen. Der Verfall hat nach § 73 StGB zur Voraussetzung, dass der Täter oder Teilnehmer aus einer rechtswidrigen Tat etwas erlangt hat. Der Einziehung unterliegen nach § 74 StGB Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Straftat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht oder bestimmt gewesen sind.
Keine dieser Voraussetzungen liegt im Streitfall vor. Der Kläger selbst trägt ausdrücklich vor, das hier in Rede stehende Fahrzeug sei in Wahrheit nicht gestohlen worden. Es gebe vielmehr offensichtlich eine „Doublette“, also ein Fahrzeug, das mit den gleichen Daten, wie sie das verkaufte Fahrzeug habe, in der EU „herumfährt“.
Danach liegen die Voraussetzungen für eine rechtmäßig ergehende (vgl. BGH, Urt. v. 18.02.2004 – VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 [re. Sp. unten]) Maßnahme des Verfalls oder der Einziehung hier nicht vor, da das an den Beklagten veräußerte Fahrzeug unstreitig mit einer Straftat nicht in Verbindung zu bringen ist. Seine Beschlagnahme durch die tschechischen Behörden kann danach allenfalls der Beweissicherung dienen; auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens beruht sie letztlich auf einem Irrtum. Dass auch die Papiere und die Schlüssel des Fahrzeuges sichergestellt worden sind, ist in diesem Zusammenhang rechtlich unerheblich.
Das Vorliegen eines Rechtsmangels kann danach nicht angenommen werden.
3. Ohne Erfolg macht der Kläger schließlich geltend, das Landgericht hätte darauf hinweisen müssen, dass nach seiner Auffassung der Umstand von Bedeutung sei, dass das Fahrzeug bis heute nicht nach Ungarn verbracht worden sei, womit offenbar gemeint sei, dass die Gefahr einer (endgültigen) Sicherstellung nicht bestehe.
Ob ein derartiger Hinweis angezeigt gewesen wäre, braucht nicht entschieden zu werden. Denn entscheidend für das Nichtvorliegen eines Rechtsmangels ist nicht der Umstand, dass das Fahrzeug seit einiger Zeit und weiterhin in Prag verwahrt wird, sondern – wie angeführt – die Tatsache, dass für eine den Verfall oder die Einziehung vorbereitende staatliche Maßnahme hier kein Anhaltspunkt besteht …“
Mit Beschluss vom 01.06.2010 hat das OLG Köln die Berufung des Klägers dann zurückgewiesen und unter anderem ausgeführt:
„ … Dass das in Rede stehende Fahrzeug in Ungarn als gestohlen geführt wird und die Tschechische Republik deshalb derzeit keine Möglichkeit der Freigabe sieht, ändert nichts daran, dass es sich nach dem eigenen Vorbringen des Klägers bei dem in Tschechien beschlagnahmten Fahrzeug in Wahrheit nicht um ein gestohlenes Fahrzeug handelt und deshalb bei dessen Beschlagnahme um einen Irrtum der dortigen Behörden … Unter diesen Umständen liegen die Voraussetzungen für eine rechtmäßig ergehende Maßnahme des Verfalls oder der Einziehung nicht vor. Damit haftet dem streitgegenständlichen Fahrzeug kein Rechtsmangel an …“