1. Der Käufer eines Gebrauchtwagens wird über dessen Unfallfreiheit arglistig getäuscht, wenn der für die Verkäuferin im Rahmen der Vertragsverhandlungen auftretende Mitarbeiter die Unfallfreiheit behauptet, obwohl in einer anderen Niederlassung der Verkäuferin das Wissen über einen Unfallvorschaden vorhanden ist (Wissenszurechnung).
  2. Durch eine Nachbesserung lässt sich die Tatsache, dass ein Gebrauchtwagen ein Unfallwagen ist, nicht korrigieren. Die Lieferung eines anderen, funktionell und vertragsmäßig gleichwertigen Gebrauchtwagens scheidet zwar nicht schon deshalb aus, weil der Gebrauchtwagenkauf ein Stückkauf ist. Zu fordern ist aber jedenfalls, dass das Fahrzeug nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Beteiligten austauschbar ist. Davon kann man nicht ausgehen, wenn die Kaufentscheidung nicht nur aufgrund objektiver Anforderungen, sondern auch aufgrund des persönlichen Eindrucks des Käufers getroffen wurde.

OLG Schleswig, Urteil vom 18.08.2005 – 5 U 11/05

Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückgewähr des Kaufpreises aus einem mit ihr geschlossenen und über die D-Bank GmbH finanzierten Pkw-Kaufvertrag.

Das Fahrzeug war von der Niederlassung L. der Beklagten im Internet angeboten worden. Nach telefonischer Kontaktaufnahme besichtigte der Kläger es und bestellte es anschließend am 14.03.2002. Das Bestellformular enthielt den Hinweis, das Fahrzeug sei nach den Angaben des Vorbesitzers unfallfrei.

Anlässlich eines Werkstattbesuchs erfuhr der Kläger, dass das Fahrzeug doch einen schweren Unfall gehabt habe. Auf seine Reklamation hin ließ die Niederlassung L. der Beklagten es mit Auftrag vom 29.01.2003 durch einen neutralen Sachverständigen begutachten. Dieser bestätigte in seinem Gutachten vom 21.02.2003 nicht nur den Unfall, sondern auch eine nicht fachgerechte Reparatur. Die voraussichtlich noch anfallenden Reparaturkosten bezifferte er auf 1.774,28 €, die technische Wertminderung im Fall eines Verzichts auf die Reparatur auf 800 €. Es stellte sich heraus, dass die nicht fachgerechte Reparatur im Herbst 1998 in der Niederlassung M. der Beklagten stattgefunden hatte. Die Beklagte erklärte sich gleichwohl für nicht verantwortlich.

Der Kläger erklärte daher durch Anwaltsschreiben vom 24.04.2003 die Anfechtung seiner Kaufvertragserklärung wegen arglistiger Täuschung.

Er behauptet, der Verkäufer der Beklagten habe auf seine ausdrückliche Nachfrage hin die Unfallfreiheit des Fahrzeugs bestätigt. Dies sei in Kenntnis des Unfalls geschehen, weil in der Datenbank der Beklagten sämtliche bei ihr vorgenommenen Reparaturen unter der jeweiligen Fahrzeugidentitätsnummer gespeichert seien. Zumindest habe der Verkäufer der Beklagten die Unfallfreiheit „ins Blaue hinein“, das heißt in Kenntnis ihrer möglichen Unrichtigkeit behauptet. Außerdem habe der Verkäufer erklärt, die Fahrzeuge würden vor der Weitergabe an die Niederlassungen in der Zentrale konkret auf Vorschäden „gecheckt“.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil sich nicht feststellen lasse, dass die Beklagte den Kläger arglistig getäuscht habe. Zwar habe der Verkäufer der Beklagten, der Zeuge B, die Unfallfreiheit des Autos angegeben, doch habe er es selbst nicht besser gewusst. Da ihm ein Gutachten der DEKRA vorgelegen habe und weitergehende Informationen, insbesondere eine zentrale Datenbank mit Registrierung der Reparaturen, nicht vorhanden gewesen seien, habe er die Unfallfreiheit auch nicht „ins Blaue hinein“ behauptet. Die Kenntnis der Zentrale bzw. anderer Niederlassungen der Beklagten sei der Niederlassung L. nicht zuzurechnen.

Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Aus den Gründen: Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch zu.

1. Dieser Anspruch folgt aus § 812 I 1 Fall 1 BGB.

a) Die Beklagte hat den eingeklagten Betrag erlangt, und zwar durch Leistung des Klägers. 6.000 € sind vom Kläger unmittelbar an die Beklagte gezahlt worden, 23.000 € von der D-Bank GmbH auf Anweisung des Klägers. Da der Kläger den Pkw in erster Linie für seine selbstständige Berufsausübung erworben hat, kommt eine abweichende Bestimmung von Leistung und Leistungsgegenstand aufgrund der Besonderheiten der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Verbundgeschäften i. S. des § 358 BGB (vgl. dazu Staudinger/Kessal-Wulf, BGB, Neubearb. 2004, § 359 Rn. 24 ff.) nicht in Betracht.

b) Die Leistung des Klägers ist ohne Rechtsgrund erfolgt, weil er seine Kaufvertragserklärung nach § 123 I BGB wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten hat.

aa) Zwar hat der Kläger seine Behauptung, der Zeuge B habe wahrheitswidrig versichert, die Gebrauchtfahrzeuge würden vor der Freigabe zum Verkauf durch die Niederlassungen in der Zentrale der Beklagten „gecheckt“, nicht zu beweisen vermocht. Der Zeuge B hat dies in Abrede gestellt … Wohl aber haben die Zeugen P und O klar bestätigt, dass der Zeuge B auf Nachfrage des Klägers ohne Einschränkung die Unfallfreiheit versichert hat. Der Zeuge B hat sich zwar nicht konkret erinnert, jedoch eingeräumt, es könne sein, dass der Kläger ihn nach der Unfallfreiheit gefragt habe, weil dies eine Standardfrage sei, und er werde die Frage dann auch bejaht haben, weil das Fahrzeug für ihn nach der Aktenlage unfallfrei gewesen sei.

Entgegen der Ansicht der Beklagten musste der Kläger die Angabe im Bestellformular „Zahl, Art und Umfang von Unfallschäden lt. Vorbesitzer: KEINE“ nicht als (Teil-)Widerruf der zuvor erhaltenen Auskunft auffassen. Standardformeln solcher Art weisen den Willen zu Vorsicht bei der Übernahme von Haftungsrisiken aus. Sie besagen nicht, dass weitergehende Erklärungen im Vorfeld des Vertrags unrichtig sind. Entsprechend lässt sich daraus nicht ableiten, die weitergehende, objektiv wahrheitswidrige Behauptung der Unfallfreiheit durch den Zeugen B sei nicht ursächlich dafür geworden, dass der Kläger den Vertrag abgeschlossen hat.

bb) Die Täuschung durch die objektiv wahrheitswidrige Behauptung der Unfallfreiheit ist der Beklagten nach § 166 I BGB auch als arglistig i. S. des § 123 I BGB zuzurechnen.

Entgegen dem Urteil des Landgerichts hat der Zeuge B die Unfallfreiheit nicht im Vertrauen auf das DEKRA-Gutachten behauptet. Der Zeuge hat in seiner Vernehmung vor dem Landgericht erklärt, das DEKRA-Gutachten habe ihm gar nicht vollständig vorgelegen. Vielmehr habe er lediglich eine Auflistung der Schäden bekommen, die ihm als Verkäufer habe zeigen sollen, wie viel er vor dem Verkauf noch investieren müsse. Die Unfallfreiheit will er behauptet haben, weil er auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Akte vertraut habe. Eine Überprüfung „durch einen Meister bei uns im Hause“ will er deshalb nicht veranlasst haben, weil das bei einem Fahrzeug, das „von der Bank kommt“ (will wohl heißen: aus dem eigenen Bereich der Beklagten oder ihrer Tochtergesellschaft stammt), nicht üblich sei.

Diese Aussage mag es nicht schon rechtfertigen anzunehmen, der Zeuge habe selbst arglistig gehandelt, weil er die Unfallfreiheit „ins Blaue hinein“ behauptet habe (vgl. dazu BGH, NJW 1998, 2360  [2361]). Wohl aber muss die Beklagte sich, wenn sie als Verkäuferin im Fall von Gebrauchtfahrzeugen aus ihrem Bereich den Verzicht auf eigene Untersuchung im Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der mitgelieferten Informationen gestattet, das nicht mitgeteilte Wissen anderer Personen aus ihrem Bereich zurechnen lassen. Dem steht nicht entgegen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung eine Obliegenheit des Gebrauchtwagenhändlers zur Untersuchung der zum Verkauf angebotenen Gebrauchtwagen auf Unfallfreiheit verneint. Denn das gilt nur unter dem Vorbehalt, dass der Verkäufer die Begrenztheit seines Kenntnisstandes deutlich macht, nicht, wenn er – wie dies hier nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme anzunehmen ist – die Unfallfreiheit in einer Weise behauptet, die dem Käufer den Eindruck vermitteln kann, dies geschehe auf der Grundlage verlässlicher Kenntnis (BGH, Urt. v. 21.01.1981 – VIII ZR 10/80, NJW 1981, 928 [929]).

Diese Sichtweise des Senats liegt im Rahmen der bisherigen höchstrichterlichen Judikatur zur Zurechnung des Wissens nicht unmittelbar am Vertragsschluss beteiligter Arbeitnehmer von Unternehmen. Die Leitentscheidung BGH, NJW 1996, 1339 sieht den entscheidenden Gesichtspunkt im Gleichstellungsargument. Die Wissenszurechnung hat danach dafür zu sorgen, dass der Vertragspartner des Unternehmens nicht schlechter, aber auch nicht besser dasteht als der Vertragspartner einer natürlichen Person. Gewiss kann auch eine natürliche Person einmal erworbene Kenntnisse im Hinblick auf die Kaufsache vergessen. BGH, NJW 1996, 1339 (1341) fordert daher für die Wissenszurechnung, dass das Wissen sich auf einen Umstand bezieht, der „speicherungswürdig“ ist, weil er sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit später als rechtserheblich erweisen kann. Außerdem soll es darauf ankommen, ob der Anlass für die mögliche Wissenszurechnung so ist, dass ein Abfragen des Speichers erwartet und zugemutet werden kann. Beides trifft hier zu: Die Speicherung der umfänglichen Unfallreparatur (Kosten fast 11.000 DM) war mit Rücksicht auf die Umstände – Bestellung der Reparatur durch einen Leasingnehmer der Tochter-Leasing-GmbH der Beklagten, Wahrscheinlichkeit des Verkaufs der bei den Tochtergesellschaften (Leasing-GmbH, Bank-GmbH) angefallenen Gebrauchtfahrzeuge über eine der Niederlassungen der Beklagten, Üblichkeit des Verzichts der Niederlassungen auf eigene Untersuchungen im Falle von aus dem eigenen Bereich stammenden Fahrzeugen – sogar in sehr hohem Maße geboten. Auch war unter diesen Umständen zu erwarten, dass die Information an die konkret mit dem Verkauf befasste Niederlassung weitergeleitet oder ihr doch wenigstens zugänglich gemacht wurde. Wenn das – wie hier – nicht geschehen ist, liegt ein Fehler in der Organisation der unternehmensinternen Kommunikation vor, der die Zurechnung der in der Niederlassung M. erworbenen Kenntnis rechtfertigt, als wäre sie ordnungsgemäß bei dem Verkäufer in der Niederlassung L. angekommen (BGH, NJW 1996, 1339 [1340 f.] im Anschluss an Taupitz, Karlsruher Forum 1994, S. 16 ff., 28 ff.).

c) Der Kläger kann auch verlangen, dass die Beklagte den Kaufpreis statt an ihn selbst an die D-Bank GmbH zurückgewährt. Der in dem Verlangen liegenden konkludenten Behauptung, der Anspruch sei an die D-Bank GmbH abgetreten und werde von dem Kläger aufgrund Einziehungsermächtigung geltend gemacht, hat die Beklagte nicht widersprochen. Da die Beklagte die Einrede des Zurückbehaltungsrechts (§ 273 I BGB) nicht einmal hilfsweise erhoben hat, kann der Senat auch nicht zu ihren Gunsten berücksichtigen, dass sie Gegenansprüche auf Rückgewähr des Pkw und Nutzungsentschädigung wegen der Benutzung des Pkw durch den Kläger hat. Die Saldotheorie, die eine solche Berücksichtigung von Amts wegen ermöglichen könnte, ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHZ 57, 137 [149]) nicht zugunsten desjenigen anzuwenden, der das Fehlen des Rechtsgrunds durch arglistige Täuschung verursacht hat.

2. Hilfsweise stützt der Senat die Verurteilung der Beklagten auf einen Anspruch des Klägers aus den § 346 I BGB, §§ 434, 437 Nr. 2, 440 BGB, § 326 V, § 323 BGB.

a) Geht man entgegen der unter 1. begründeten Auffassung des Senats davon aus, dass die Anfechtung des Klägers wegen arglistiger Täuschung mangels eines Anfechtungsgrunds unwirksam ist, so ist seine Anfechtungserklärung in eine Rücktrittserklärung umzudeuten. Die Voraussetzungen des § 140 BGB sind erfüllt:

Der Kläger hat einen Rücktrittsgrund: Die fehlende Unfallfreiheit ist ein Sachmangel i. S. des § 434 BGB (BGH, NJW 1982, 1386). Die Einschränkung im Vertrag „lt. Vorbesitzer: KEINE“ enthält diesbezüglich keinen Gewährleistungsausschluss, sondern besagt lediglich, dass die Beklagte keine Garantie i. S. der §§ 442–444 BGB … übernommen hat. Da mangels Verbrauchereigenschaft des Klägers kein Verbrauchsgüterkauf i. S. der §§ 474 ff. BGB vorliegt, hätte die Beklagte zwar in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen einen Gewährleistungsausschluss wirksam vorsehen können. Wie die … von der Beklagten vorgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen zeigen, hat sie dies aber nicht getan … Dem Rücktritt steht auch nicht entgegen, dass der Kläger der Beklagten nicht gemäß § 323 BGB erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Denn die Fristsetzung ist hier nach § 326 V BGB wegen Unmöglichkeit der Nacherfüllung entbehrlich. Durch Nachbesserung lässt sich der Charakter des Pkw als Unfallwagen nicht korrigieren. Die Lieferung eines anderen funktionell und vertragsmäßig gleichwertigen Gebrauchtwagens scheidet zwar nach dem neuen Kaufrecht nicht schon deshalb aus, weil der Kauf ein Stückkauf ist. Aber es ist doch jedenfalls zu fordern, dass der Pkw nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Beteiligten austauschbar ist (Palandt/Putzo, BGB, 64. Aufl. [2005], § 439 Rn. 15). Davon kann man nicht ausgehen, wenn die Kaufwahl wie hier nicht nur aufgrund objektiver Anforderungen, sondern auch aufgrund des persönlichen Eindrucks des Käufers getroffen worden ist.

Die Anfechtungs-(Rücktritts-)erklärung ist gemäß § 218 BGB rechtzeitig abgegeben worden. Zwar ist die Verjährung des Gewährleistungsanspruchs nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten auf ein Jahr verkürzt. Doch haben die bereits vor Eintritt der Verjährung begonnenen Verhandlungen den Lauf der Verjährungsfrist nach § 203 BGB gehemmt.

Schließlich ist anzunehmen, dass der Kläger – wie § 140 BGB voraussetzt – den Rücktritt gewollt haben würde, wenn er die Unwirksamkeit der Anfechtung gekannt hätte. Die Wirkungen des Rücktritts bleiben zwar theoretisch (ex nunc statt ex tunc) hinter denen der Anfechtung zurück. Praktisch sind sie jedoch im Wesentlichen gleich.

b) Für den Inhalt des Anspruchs gilt das Gleiche wie unter 1c. Auch im Rücktrittsrecht erfordert die Berücksichtigung der Gegenansprüche der Beklagten, dass diese die ihr zustehende Einrede (§ 348 BGB) erhebt …

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