Ein als „Premium Selection“-Fahrzeug veräußerter BMW-Gebrauchtwagen, der an der Dachkante von der unsachgemäßen Befestigung eines Dachgepäckträgers herrührende Beschädigungen (Verformungen) aufweist, ist wegen des Fehlens einer vereinbarten Beschaffenheit mangelhaft (§ 434 I 1 BGB). Denn das Zertikat „Premium Selection“ beinhaltet, dass Karosserie und Lack des Fahrzeugs keine Beschädigungen aufweisen, die über bloße alters- und laufzeitbedingte Gebrauchsspuren hinausgehen.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.08.2019 – 3 U 44/18
Sachverhalt: Die Klägerin erwarb von der Beklagten mit Kaufvertrag vom 30.11.2013 einen gebrauchten Pkw inklusive „EuroPlus“-Garantie zum Preis von 24.200 €. Das Fahrzeug wurde als „Premium Selection“-Gebrauchtwagen verkauft.
Mit Schreiben vom 13.03. und vom 01.04.2014 bemängelte die Klägerin gegenüber der Beklagten unter anderem Verformungen an den Dachkanten des Fahrzeugs im Bereich aller vier Türen, die von der Befestigung eines Dachgepäckträgers herrührten. Sie forderte die Beklagte auf, bis zum 15.04.2014 anzuerkennen, dass sie – die Beklagte – für die Verformungen dem Grunde nach hafte. Die Beklagte lehnte zunächst eine Kostenübernahme ab (E-Mail vom 13.04.2014) und bot schließlich mit Schreiben vom 02.07.2014 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht die Zahlung von 500€ an.
Mit Antragsschrift vom 06.11.2014 beantragte die Klägerin beim AG Dinslaken die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens. In diesem Verfahren wurde insbesondere ein unter dem 23.04.2015 erstattetes Gutachten des Sachverständigen S eingeholt.
Mit Schreiben vom 20.04. und vom 30.05.2016 erklärte die Klägerin den Rücktritt von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die – als Mangel anzusehenden – streitgegenständlichen Verformungen müssten bereits bei Übergabe des Fahrzeugs vorhanden gewesen sein, weil sie selbst zu keinem Zeitpunkt einen Dachgepäckträger montiert habe. Wegen dieser Verformungen entspreche der Pkw im Übrigen nicht den Anforderungen des Zertifikats „Premium Selection“. Bei der Ermittlung des Reparaturaufwands sei zu berücksichtigen, dass – wie die Klägerin behauptet hat – das Fahrzeug bislang ausschließlich in BMW-Vertragswerkstätten gewartet worden sei. Hilfsweise hat die Klägerin statt der Rückabwicklung des Kaufvertrags die Zahlung von 1.305,94 € (nebst Zinsen) verlangt; dieser Betrag entspricht den von dem Sachverstdändigen S ermittelten Nettoreparaturkosten.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und insoweit geltend gemacht, die gesetzliche Verjährungsfrist für Ansprüche der Klägerin wegen eines Mangels des verkauften Fahrzeugs sei wirksam auf ein Jahr abgekürzt worden. Im Übrigen hat die Beklagte die Auffassung vertreten, dass die streitgegenständlichen Verformungen – so sie denn bei Übergabe des Pkw an die Klägerin überhaupt schon vorgelegen hätten – so geringfügig seien, sodass sie keinen Mangel des Fahrzeugs begründeten. Jedenfalls berechtigten die geringfügigen Verformungen die Klägerin nicht zum Rücktritt vom Kaufvertrag (§ 323 V 2 BGB). Müsse dieser Vertrag gleichwohl rückabgewickelt werden, dann sei bei der Berechnung der ihr – der Beklagten – zustehenden Nutzungsentschädigung von einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 250.000 km auszugehen. Vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten müsse sie der Klägerin nicht ersetzen. Da der Rechtsanwalt der Klägerin bei Erklärung des Rücktritts bereits beauftragt gewesen sei, bestehe kein Ersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt des Verzugs.
Mit Urteil vom 07.05.2018 hat das LG Duisburg die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen G verurteilt, an die Klägerin Zug um Zug gegen Rückgewähr des streitgegenständlichen Pkw 19.201,35 € nebst Zinsen zu zahlen und die Klägerin von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten freizustellen. Außerdem hat das Landgericht den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Klägerin sei wirksam von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten. Der streitgegenständliche Pkw sei mangelhaft. Das Fahrzeug weise wegen der auf die Befestigung eines Dachgepäckträgers zurückzuführenden Verformungen im Bereich der Dachsäule der vorderen rechten Tür, aber auch wegen der Beschädigungen auf der linken Seite keine i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB übliche und von einem Käufer zu erwartende Beschaffenheit auf. Die Verformungen seien keine typischen Verschleißerscheinungen, sondern Schäden, die auf der unsachgemäßen Verwendung eines Dachgepäckträgers beruhten. Dass das Fahrzeug schon bei Gefahrübergang (§ 446 Satz 1 BGB) mangelhaft gewesen sei, werde gemäß § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) vermutet; die Beklagte habe diese Vermutung nicht widerlegt. Die in der Lieferung des mangelhaften Fahrzeugs liegende Pflichtverletzung der Beklagten sei auch nicht unerheblich i. S. von § 323 V 2 BGB; vielmehr überstiegen die für eine Mangelbeseitigung aufzuwendenden Kosten einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises. Die Ansprüche der Klägerin seien auch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist betrage zwei Jahre und nicht, wie die Beklagte unsubstanziiert und ohne Einreichung von Unterlagen geltend gemacht habe, ein Jahr. Die der Beklagten zustehende Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.998,65 € ergebe sich angesichts einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung von 300.000 km und der tatsächlich gefahrenen 36.978 km.
Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung hat die Beklagte insbesondere geltend gemacht, dass die Montage eines Dachgepäckträgers ohne Dachreling ein bestimmungsgemäßer Gebrauch des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei. Es sei fehlerhaft, dass das Landgericht in Bezug auf die Verformungen – falls diese bei der Uuml;bergabe des Pkw an die Klägerin schon vorhanden gewesen seien – zwischen einem Mangel und Verschleiß unterschieden habe. Zu unterscheiden seien vielmehr Schäden und Gebrauchsspuren, die als zwar unerwünschte, aber unvermeidbare Folge des Gebrauchs der Sache entstünden. Der Sachverständige S habe im selbstständigen Beweisverfahren nur an der Dachsäule im Bereich der vorderen rechten Tür Verformungen festgestellt, die über Gebrauchsspuren hinausgingen. Selbst wenn man insoweit von einer Beschädigung ausgehe, beliefen sich die Mängelbeseitigungskosten auf nur 663,17 € und betrügen damit weniger als fünf Prozent des Kaufpreises, sodass ein Rücktritt vom Kaufvertrag ausgeschlossen sei.
Die Klägerin hat Anschlussberufung eingelegt und geltend gemacht, dass Landgericht habe bei der Berechnung der der Beklagten zustehenden Nutzungsentschädigung versehentlich die zu erwartende Restlaufleistung des streitgegenständlichen Pkw mit 179.000 km statt mit 215.000 km angesetzt. Bei zutreffender Berechnung ergebe sich eine Restforderung von 20.131,66 €.
Nur die Anschlussberufung hatte Erfolg.
Aus den Gründen: B. Die Berufung und die Anschlussberufung (§ 524 ZPO) sind zulässig. Insbesondere setzt die Zulässigkeit der Anschlussberufung nicht das Erreichen der Berufungssumme voraus (vgl. BeckOK-ZPO/Wulf, Stand: 01.03.2019, § 524 Rn. 10).
In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Anschlussberufung ist erfolgreich.
Die Klägerin kann im Rahmen der ihr zustehenden Rückabwicklung des Kaufvertrags gemäß § 434 I 1, § 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323 I, 440, 346 I BGB zunächst Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 24.200 € verlangen.
Der Pkw wies bei Gefahrübergang Mängel i. S. des § 434 I BGB auf. Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass die Verformungen an den Dachkanten des Fahrzeugs im Bereich aller vier Einstiegstüren Mängel i. S. des § 434 I 1 BGB, also Abweichungen von der vereinbarten Beschaffenheit, darstellen. Zu berücksichtigten ist dabei insbesondere die unstreitige Vereinbarung des Siegels „Premium Selection“, dessen Anforderungen unter Punkt 6 beinhalten, dass Karosserie und Lack ohne Beschädigungen sind, die über den alters- bzw. laufzeitbedingten Verschleiß hinausgehen.
Dabei stellt der Umstand, dass das Fahrzeug keine Dachreling hat, weswegen der Dachgepäckträger direkt am Dach befestigt worden ist, für sich genommen keinen Mangel dar. Vielmehr werden auch Dachgepäckträger für Fahrzeuge ohne Dachreling oder Fixierungspunkte angeboten.
Hinsichtlich der vorhandenen Spuren an den Dachkanten, die von der Befestigung eines Dachgepäckträgers herrühren, ist abzugrenzen zwischen Beschädigungen, die auf einen unsachgemäßen Gebrauch des Gepäckträgers zurückgehen, und normalen Gebrauchsspuren, die grundsätzlich beim Erwerb eines Gebrauchtwagens hinzunehmen sind (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 25.08.2016 – 2 U 87/14, juris Rn. 59, 62 f.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.05.2006 – I-1 U 132/05, juris Rn. 40). Die Beweisaufnahme hat zu dem Ergebnis geführt, dass es sich bei den vorliegenden Verformungen nicht mehr um normale Gebrauchsspuren, sondern um Beschädigungen handelt. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Verformung im Bereich der Dachsäule der vorderen rechten Tür, bei der es sich nach Angaben des Sachverständigen S um eine „stärkere Delle“ bzw. eine „enorme Verformung“ handelt. Aber auch hinsichtlich der übrigen Verformungen hat der Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung erklärt, gewöhnlich entstünden bei der Benutzung eines Dachgepäckträgers keine Spuren, der Träger sei hier wohl gewaltsam bzw. nicht ganz sachgerecht angebracht worden, was für eine Beschädigung des Fahrzeugs durch unsachgemäßen Gebrauch des Gepäckträgers spricht. Dieses Beweisergebnis wird durch die Ausführungen des Sachverständigen G, der sich im Rahmen der Ermittlung der Reparaturkosten auch noch einmal mit Art und Ausmaß der Beschädigungen befasst hat, bestätigt. Nach dessen Darstellung befinden sich am linken und rechten Dachrahmen, jeweils mittig oberhalb der Türen, Verwellungen, durch die sich der Abstand zu den Türdichtungen teilweise um mehrere Millimeter erweitert habe. Folge seien Undichtigkeiten, wodurch Wasser hinter die Dichtungen laufen könne, möglicherweise auch Windgeräusche. Weiter hat der Sachverständige G an den inneren Falzen Einziehungen festgestellt, die nicht von einem normalen Gebrauch des Dachgepäckträgers, sondern von einem zu starken Anziehen der Befestigungsklammern stammen. Oberhalb der rechten Vordertür sei es sogar zu einer Rissbildung an der Falz gekommen. Auch danach handelt es sich bei den Spuren an der Dachkante zweifelfrei um Beschädigungen.
Gemäß § 476 BGB a.F. ist zugrunde zu legen, dass die Fahrzeugmängel schon bei Gefahrübergang vorlagen.
Eine Fristsetzung i. S. des § 323 I BGB, die wohl nicht in der Aufforderung der Klägerin an die Beklagte gesehen werden kann, ihre Haftung dem Grunde nach anzuerkennen (vgl. Staudinger/Schwarze, BGB, Neubearb. 2015, § 323 Rn. B 52), war gemäß § 323 II Nr. 1 BGB entbehrlich, weil die Beklagte die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat. Dies ergibt sich aus der E-Mail vom 13.03.2014 und dem Schreiben vom 02.07.2014, in denen die Beklagte eine Haftung abgelehnt und lediglich aus Kulanz eine Zahlung in Höhe von 500 € angeboten hat.
Der Rücktritt ist nicht gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen. In der Regel wird ein Mangel, dessen Behebung einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt, nicht mehr als unerheblich angesehen (vgl. BGHZ 201, 290; Staudinger/Schwarze, a. a. O., § 323 Rn. C 26). Die vom Sachverständigen G ermittelten Reparaturkosten liegen deutlich über dieser Grenze. Ein Grund, im vorliegenden Fall von der Fünf-Prozent-Schwelle abzuweichen, ist nicht ersichtlich und von den Parteien auch nicht vorgetragen.
Von dem zu erstattenden Kaufpreis abzuziehen ist eine Nutzungsvergütung, die sich wie folgt berechnet:
Ohne „EuroPlus“-Garantie beläuft sich der Kaufpreis auf 23.628 € brutto (= 19.855,46 € netto). Der Kilometerstand beträgt weiterhin 120.978. Abzüglich des Kilometerstands bei Übergabe (84.000) ergibt sich eine gefahrene Strecke von 36.978 km. Auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen G ist die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs mit 300.000 km zu bemessen, sodass sich eine Restlaufleistung von 216.000 km ergibt. Die Nutzungsvergütung ergibt sich auf dieser Grundlage nach folgender Berechnung:
$${\frac{\text{23.628 €}\times\text{36.978 km}}{\text{216.000 km}}} = \text{4044,98 €.}$$
Es verbleibt ein zu erstattender Kaufpreis in Höhe von (24.200 € − 4.044,98 € =) 20.155,02 €. Davon macht die Klägerin mit der Anschlussberufung einen Betrag in Höhe von 20.131.66 € geltend.
Der Anspruch der Klägerin ist nicht verjährt. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen werden.
Mit der Rücknahme des Fahrzeugs befindet sich die Beklagte in Annahmeverzug (§§ 293, 295 BGB).
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 I, 288 I BGB. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten stehen der Klägerin gemäß § 288 IV BGB zu. …