1. Wird zugunsten eines Käufers gemäß § 476 BGB vermutet, dass ein Sachmangel, der sich innerhalb von sechs Monaten nach Übergabe der Kaufsache (hier: eines Turboladers) gezeigt hat, zumindest im Ansatz schon bei der Übergabe vorhanden war, dann muss der Verkäufer zur Widerlegung dieser Vermutung den vollen Beweis des Gegenteils (§ 292 ZPO) führen. Eine bloße Erschütterung der Vermutung reicht nicht aus. Der Verkäufer muss vielmehr darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass der Mangel bei der Übergabe noch nicht vorhanden war, weil er seinen Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt hat und damit ihm – dem Verkäufer – nicht zuzurechnen ist.
  2. Ein Vertrag, in dem sich ein Unternehmer zur Lieferung und zum Einbau eines Turboladers verpflichtet, ist ein Kaufvertrag, wenn in seinem Mittelpunkt die Übertragung von Eigentum und Besitz an dem Turbolader steht und die geschuldete Montageleistung als Routinearbeit im Vergleich dazu kein solches Gewicht hat, dass sie den Vertrag prägen würde. Daran ändert nichts, dass ein Turbolader mit besonderer Sorgfalt montiert werden muss; denn gleichwohl gehört das Austauschen eines Turboladers zu den Routinearbeiten in einer Kfz-Fachwerkstatt.

LG Bonn, Urteil vom 11.04.2017 – 8 S 224/16

Sachverhalt: Die Klägerin verlangt von der Beklagten wegen eines behaupteten Mangels Schadensersatz.

Sie erwarb von der Beklagten einen Turbolader, den sie an die Firma F weiterveräußerte und der dort in das Fahrzeug des Endkunden K eingebaut wurde. Unmittelbar danach trat ein Defekt an dem Turbolader auf. Die Parteien streiten darüber, welche Ursache dieser Defekt hat und wer dafür verantwortlich ist. Unstreitig ist, dass der Klägerin für eine Ersatzlieferung Kosten in Höhe von 1.246,42 € sind.

Das Amtsgericht hat der auf Zahlung dieses Betrages gerichteten Klage stattgegeben, nachdem es unter anderem ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (AG Siegburg, Urt. v. 21.09.2016 – 114 C 85/15). Es hat das Vertragsverhältnis zwischen der Firma F und K als Kaufvertrag qualifiziert und vor diesem Hintergrund gemeint, dass die Beklagte gemäß § 476 BGB den vollen Beweis dafür habe führen müssen, dass der Turbolader bei Gefahrübergang noch nicht mangelhaft gewesen sei. Dies könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch nicht festgestellt werden.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie ist der Auffassung, dass der Vertrag zwischen der Firma F und dem Endkunden ein Werkvertrag sei und deshalb § 476 BGB nicht zur Anwendung komme. Dessen ungeachtet, so meint die Beklagte, habe sie bewiesen, dass der Mangel bei Gefahrübergang noch nicht vorhanden gewesen sei.

Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: II. … 1. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin in Höhe von 1.246,42 € findet seine Grundlage in §§ 437 Nr. 3, 440, 280 I, III, 281 I 1 BGB.

Das Amtsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Rechtsverhältnis der Parteien von einem Kaufvertrag auszugehen ist, auf den die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften Anwendung finden. Dies gilt insbesondere für die Regelung des § 476 BGB, aus der eine Beweislastumkehr zulasten des Verkäufers folgt, wenn sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein Sachmangel zeigt. Diese für den Verbrauchsgüterkauf maßgebliche Regelung ist auch im Rechtsverhältnis der Parteien maßgeblich, weil der von der Beklagten an die Klägerin gelieferte Turbolader schließlich nach Weiterveräußerung an die Firma F in das Fahrzeug des Endkunden K eingebaut wurde. Der Endkunde ist als Verbraucher anzusehen. Die Regelungen des Verbrauchsgüterkaufs finden auch dann Anwendung, wenn die Parteien Teil einer „Lieferkette“ sind, an deren Ende ein Kunde als Verbraucher steht. Dies folgt unmittelbar aus § 478 V BGB (vgl. dazu Palandt/Weidenkaff, BGB, 76. Aufl. [2017], § 476 Rn. 8).

Die kaufvertraglichen Gewährleistungsvorschriften finden ungeachtet des Umstands Anwendung, dass die Firma F gegenüber dem Endkunden nicht nur den Turbolader veräußerte, sondern diesen auch einbaute. Auch im Verhältnis der Firma F zum Endkunden ist von einem Kaufvertrag auszugehen. Entgegen der Auffassung der Berufung liegt in diesem Rechtsverhältnis kein Werkvertrag vor, welcher die Anwendung der kaufrechtlichen Gewährleistungsregelungen ausschließen könnte.

Für die Abgrenzung zwischen Kaufvertrag und Werkvertrag kommt es maßgeblich darauf an, ob der Vertrag nach seinem Schwerpunkt auf die Pflicht zur Übertragung des Eigentums an montierten Einzelteilen oder auf die Herstellung einer Sache gerichtet ist (BGH, Urt. v. 22.12.2005 – VII ZR 183/04, juris Rn. 12). Es ist zu berücksichtigen, welches Interesse die Parteien vorrangig mit dem Vertrag verfolgen. Im Zusammenhang mit Reparaturen und Veränderungen an Kraftfahrzeugen wird bei umfangreicheren Arbeiten am Fahrzeug eine Einordnung als Werkvertrag vorgenommen (OLG Oldenburg, Urt. v. 23.08.2011 – 13 U 59/11, juris Rn. 7: Einbau einer Autogasanlage in einen Pkw – Werkvertrag wegen des damit verbundenen grundlegenden Eingriffs in die Technik des Fahrzeugs, Prägung des Vertragsverhältnisses durch die Montageleistung; OLG Karlsruhe, Urt. v. 08.05.1992 – 10 U 341/91: Einbau eines Austauschmotors als Werkvertrag). Der Umstand, dass neben den Eigentumserwerb an einem Gegenstand eine Montageleistung tritt, steht der Annahme eines Kaufvertrags aber nicht grundsätzlich entgegen. Je mehr die mit dem Wareneinsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz im Vordergrund steht und je weniger die individuellen Anforderungen des Kunden und die geschuldete Montageleistung das Gesamtbild des Vertragsverhältnisses prägen, desto eher ist die Annahme eines Kaufvertrags geboten (OLG Köln, Urt. v. 13.04.2015 – 11 U 183/14, juris Rn. 4). In diesem Zusammenhang ist auch auf die gesetzliche Wertung in § 434 III 1 BGB hinzuweisen. Danach findet die kaufrechtliche Gewährleistung dann Anwendung, wenn eine neben dem Kauf vereinbarte Montage durch den Verkäufer unsachgemäß durchgeführt worden ist.

Vor diesem Hintergrund hat das Amtsgericht zutreffende Kriterien zur Bewertung des Vertragsverhältnisses herausgestellt. Die Argumentation, dass anhand der für Lieferung des Ersatzteils und Montage berechneten Preise der Wert der eingebauten Sache deutlich im Vordergrund steht, ist sachgerecht. Hierin kommt zum Ausdruck, dass der Aufwand für die Montage eher gering war. Es verhielt sich auch nicht so, dass umfangreichere Feststellungen zur Schadensursache geboten waren bzw. größere, über das eigentliche Ersatzteil hinausgreifende Reparaturmaßnahmen vorgenommen werden mussten. Die Arbeit der Firma F konzentrierte sich im Wesentlichen auf Beschaffung und Austausch eines bestimmten Teils. Der Erwerb dieses Teils stand damit im Vordergrund, die Montage wurde eher als Nebenleistung erbracht.

Nichts anderes folgt auch daraus, dass es sich bei der Montageleistung um eine Arbeit handelte, die nach der Einlassung des Geschäftsführers der Beklagten im Termin unter Beachtung der Einbauhinweise mit besonderer Sorgfalt insbesondere hinsichtlich des Anzugsmoments bei Befestigung des Turboladers ausgeführt werden musste. Dies wirkt sich nicht auf die rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses aus. Auch wenn besondere Sorgfalt aufzuwenden war, handelte es sich bei dem Ersatz eines Abgasturboladers an einem Kraftfahrzeug für eine Fachwerkstatt um eine Routinearbeit. Der Umstand, dass diese besonders fehleranfällig war, ist im Zusammenhang mit der Beweisführung über die Verantwortlichkeit für einen Mangel bedeutsam, verschiebt aber den für die Einordnung der Vertragsverhältnisse maßgeblichen Schwerpunkt nicht.

2.Vor diesem Hintergrund ist das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte für den Fehler, der sich am Turbolader gezeigt hat, einzustehen hat.

Es ist unstreitig, dass sich nach Einbau des Turboladers innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein Mangel gezeigt hat. Insoweit steht fest, dass ein Defekt am Flansch des Auspuffkrümmers vorlag. Außerdem war die Läuferwelle blau angelaufen.

Wie bereits ausgeführt, findet zugunsten der Klägerin die Vermutung des § 476 BGB Anwendung. Das Amtsgericht hat die nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 04.06.2015 – C-497/13 – Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV), der sich der BGH angeschlossen hat (Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15), maßgeblichen Grundsätze für die Beweislastverteilung zutreffend herausgearbeitet. Hiernach muss der Käufer nachweisen, dass das verkaufte Gut nicht vertragsgerecht ist. Er muss darlegen und beweisen, dass die Sache nicht dem Qualitäts-, Leistungs- oder Eignungsstandard entsprach, der bei einem gewöhnlichen Kauf dieser Ware erwartet werden kann. Er muss außerdem darlegen und beweisen, dass sich die in Rede stehende Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes herausgestellt hat. Zugunsten des Käufers greift sodann die Vermutung, dass der binnen sechs Monaten aufgetretene mangelhafte Zustand schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat, dass er also im Zeitpunkt der Lieferung „bereits im Ansatz“ vorhanden war, auch wenn er erst nach Lieferung des Gutes offenbar geworden ist. Demgegenüber ist es Aufgabe des Verkäufers, den Beweis zu erbringen, dass die Vermutung, ein Sachmangel habe im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bereits vorgelegen, nicht zutrifft. Er hat also darzulegen und zu beweisen, dass ein Sachmangel im Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war, weil er seinen Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt hat und dem Verkäufer damit nicht zuzurechnen ist. Zur Widerlegung der Vermutung des § 476 BGB hat der Verkäufer den Beweis des Gegenteils zu erbringen. Hierfür ist eine Erschütterung der Vermutung nicht ausreichend.

Es ist damit die volle richterliche Überzeugung nach § 286 I ZPO gefordert, wobei es eines für das praktische Leben brauchbaren Grades an Gewissheit bedarf, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese völlig auszuschließen.

Die Kammer verkennt nicht, dass die Entlastung des Verkäufers schwierig ist, insbesondere wenn am Ende einer Lieferkette eine Veräußerung steht, die mit einer Montage verbunden ist. In diesen Situationen stellt sich die Frage nach der Abgrenzung zwischen einem möglichen Fehler des gelieferten Produkts und einem möglichen Montagefehler. Dieselbe Problematik tritt auch dort auf, wo der Erwerber als Verbraucher selbst Hand anlegen muss, um ein Produkt zu montieren oder auf andere Art in Gang zu bringen. In all diesen Fällen obliegt die Beweislast für die Mangelfreiheit des Produkts, soweit von einem Kaufvertrag auszugehen ist, dem Verkäufer. Soweit der Geschäftsführer der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Besorgnis zum Ausdruck gebracht hat, dies wälze im Ergebnis in weitgehendem Umfang auch Montagefehler auf den Verkäufer eines Produkts ab, ist diese Bewertung durchaus nachvollziehbar, Sie ist indes die Folge der durch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vorgegebenen und in § 476 BGB vom Gesetzgeber umgesetzten Vorgaben des europäischen Rechts. Die zulasten des Verkäufers bestehende Beweislast wird durch die eingangs zitierte Rechtsprechung des EuGH, der sich die nationalen Gerichte angeschlossen haben, noch verschärft. Die Kammer vermag hiervon nicht abzuweichen.

Die Vermutung des § 476 BGB greift zugunsten der Klägerin ein. Der Beklagten ist es nach der zutreffenden Auffassung des Amtsgerichts nicht gelungen nachzuweisen, dass der Mangel am Abgasturbolader im Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht vorlag bzw. erst hinterher aufgetreten ist. Das Ergebnis der Beweisaufnahme durch das Amtsgericht ist für die Kammer verbindlich. Die Kammer ist an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebunden, soweit keine konkreten Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit derselben bestehen (§ 529 I Nr. 1 ZPO). Das Amtsgericht hat die angebotenen Beweise zur Ursächlichkeit des Mangels vollständig erhoben. Es hat auch den zutreffenden Beweismaßstab des Beweises des Gegenteils bzw. der Notwendigkeit einer sicheren Gewissheit zur Anwendung gebracht. Die Berufungsbegründung beinhaltet insoweit lediglich eine andere Bewertung, zeigt aber keine konkreten Fehler des Amtsgerichts auf.

lm Einzelnen:

Zutreffend ist, dass der Sachverständige S wiederholt ausgeführt hat, er halte einen Mangel an dem neu gelieferten Turbolader für unwahrscheinlich. Der Sachverständige hat auch berichtet, dass so etwas in seiner 30-jährigen Berufserfahrung noch nicht vorgekommen ist. Darüber hinaus ist in den Blick zu nehmen, dass neben einem Fehler des Ersatzteils bei Auslieferung als Mangelursache ein Montagefehler ernsthaft in Betracht kommt. Der Sachverständige hat einen solchen Montagefehler als wahrscheinlicher im Vergleich zu einem Fehler des Ersatzteils bezeichnet. Die Berufungsbegründung weist schließlich zutreffend darauf hin, dass die Aussage des Zeugen Z zur Einhaltung der Montageanweisungen in einem maßgeblichen Punkt unklar geblieben ist. Der Zeuge hat zunächst von einem „normalen“ Anzugsmoment von 20 Nm gesprochen. Erst auf den Hinweis des Sachverständigen auf die Montageanleitung und den Umstand, dass ein Anzug nur leicht mit 8 Nm vorgenommen werden darf, hat der Zeuge eingelenkt und ausgesagt, er habe es so wie in der Anleitung vorgeschrieben ausgeführt. Eine konkrete Erinnerung an diesen maßgeblichen Vorgang hatte der Zeuge nicht. Hinzu tritt, ohne dass die Berufungsbegründung näher auf diesen Umstand eingeht, dass man das Ersatzteil unstreitig über eine Strecke von 1.700 km im Fahrzeug belassen hat, obwohl sich von Anfang an ein Defekt zeigte. Dies hat zumindest die Feststellung der Ursachen des Fehlers erschwert.

Es spricht somit einiges dafür, dass kein Fehler im Ersatzteil vorlag, sondern tatsächlich andere Umstände für den Mangel ursächlich waren. Zutreffend ist das Amtsgericht aber zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht mit der hinreichenden Sicherheit feststeht. Zulasten der Beklagten gehen zwei Umstände: Zum einen bestehen keine sicheren Erkenntnisse über den Zustand des konkreten Ersatzteils bei Auslieferung an die Klägerin. Zum anderen ist es der Beklagten gerade nicht gelungen nachzuweisen, dass gegebenenfalls welcher später eintretende Umstand zu dem Defekt geführt hat. Hier geht es zulasten der Beklagten, dass der Zeuge Z hinsichtlich der Einzelheiten des Montagevorgangs unsicher geblieben ist. Aus der Aussage folgt gerade nicht, dass das Bauteil mit einem unzulässigen Drehmoment befestigt worden ist. Dies konnte auch der Sachverständige nicht mehr feststellen. Ebenso konnten andere Ursachen für den eingetretenen Defekt nicht bewiesen werden.

Es ist von daher nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht das Beweisergebnis als nicht ausreichend angesehen hat, um aus Sicht der Beklagten den Beweis des Gegenteils zu erbringen. …

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