Zu den Verkehrssicherungspflichten, insbesondere Prüfpflichten einer Kraftfahrzeugvertragshändlerin bei der Bestellung und Weitergabe von Ersatzschlüsseln für Kraftfahrzeuge.

BGH, Urteil vom 28.03.2023 – VI ZR 19/22

Sachverhalt: Die Klägerin nimmt die beklagte Vertragshändlerin der Volkswagen AG aus übergegangenem Recht auf Ersatz von Versicherungsleistungen für gestohlene Kraftfahrzeuge in Anspruch.

Die Klägerin hat als Kaskoversicherer diverse Kraftfahrzeuge gegen Diebstahl versichert. In den Jahren 2015 und 2016 wurden vier bei ihr versicherte Fahrzeuge, drei der Marke VW und eines der Marke Audi, gestohlen. Dabei setzten die Diebe echte Ersatzschlüssel ein, die – streitig zuletzt nur noch bezüglich des Fahrzeugs der Marke Audi – von der Beklagten bei der Volkswagen AG bestellt und dann an ein Unternehmen in Litauen, die U-UAB, weitergegeben worden waren. Diese Gesellschaft ist ein sogenannter NORA-Kunde („Nicht organisationsgebundener rabattbegünstigter Abnehmer“ von Originalteilen) der Volkswagen AG. Um diesen Status zu erreichen, muss ein Unternehmen einen Werkstattbetrieb nachweisen, der nicht Servicepartner der Vertriebsorganisation des Volkswagenkonzerns sein darf, also entweder eine markenungebundene Werkstatt oder eine Markenwerkstatt eines anderen Fahrzeugherstellers ist.

Für die Schlüsselbestellung teilte die U-UAB den Mitarbeitern der Beklagten lediglich die Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) zu dem jeweiligen Fahrzeug mit. Eine weitere Prüfung der Berechtigung der Bestellung beziehungsweise der Frage, ob sich der Veranlasser der Bestellung im Besitz des jeweiligen Fahrzeugs befindet, erfolgte nicht. Insbesondere wurde keine Legitimation in Form von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen verlangt.

Die gestohlenen Fahrzeuge wurden teilweise in eine Zerlegehalle verbracht, wo im Zuge polizeilicher Durchsuchungen sowohl Fahrzeugteile als auch Belege über die Schlüsselbestellungen bei der Beklagten sowie nachbestellte Schlüssel selbst aufgefunden wurden.

Die Volkswagen AG empfiehlt zum Verfahren bei fehlenden und defekten Fahrzeugschlüsseln in Kundendienst und Handel für die Beschaffung eines Ersatzschlüssels im Auftrag eines Kunden eine besondere Verfahrensweise und Dokumentation („Nachweiskarte“), um Missbrauch zu verhindern. Sie fordert neben der Angabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) unter anderem einen Fahrzeug-Besitznachweis in Verbindung mit einer Legitimation (Pass/​Ausweis), wenn der Kunde nicht persönlich bekannt ist, und regt eine Bestätigung durch Unterschrift sowie bei Verlust/​Diebstahl des Altschlüssels die Information der Polizei und/​oder der Versicherung des Kunden an.

Die Klägerin behauptet, die Schlüssel seien von der U-UAB an Diebe gelangt, welche die Fahrzeuge hiermit problemlos geöffnet und entwendet hätten. Sie ist der Auffassung, die Beklagte hätte die Nachbestellung von Ersatzschlüsseln lediglich gegen eindeutige Berechtigungsnachweise – etwa in Form von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen – abwickeln dürfen. Allein die Übermittlung der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) reiche hierfür nicht aus, weil diese an jedem Fahrzeug frei erkennbar sei und daher jederzeit ausgespäht werden könne.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Ersatz der von ihr regulierten Versicherungsschäden in Höhe von 57.656,99 € nebst Zinsen.

Das Landgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte abgesehen von einer geringfügigen Korrektur des Zinsanspruchs keinen Erfolg. Die Revsion der Beklagten, mit der diese ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgte, blieb ebenfalls erfolglos.

Aus den Gründen: [9]    I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB i. V. mit § 86 VVG. Die Fahrzeugdiebstähle seien der Beklagten vorwerfbar zuzurechnen, wofür nicht die Beschaffung und Weiterleitung der Ersatzschlüssel, sondern die unterlassene Prüfung der Berechtigung des Bestellers maßgeblich sei. Da die Beklagte als Vertragspartner der Volkswagen AG die Möglichkeit habe, Fahrzeugersatzschlüssel zu besorgen und in den Verkehr zu bringen, folge hieraus eine gesteigerte Verantwortung und damit eine besondere Prüfpflicht. Die Empfehlung der Volkswagen AG zum Verfahren bei fehlenden beziehungsweise defekten Fahrzeugschlüsseln in Kundendienst und Handel zeige, dass auch diese – für die Beklagte offenkundig – eine gesteigerte Missbrauchsmöglichkeit bei Fahrzeugersatzschlüsseln sehe. Die Versicherungsnehmer der Klägerin seien von der Sorgfaltspflicht der Beklagten bei der Ersatzschlüsselbestellung umfasst, weil sie als Fahrzeugeigentümer von der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der Ersatzschlüssel unmittelbar betroffen seien. Der Beklagten als Fachwerkstatt müsse bekannt sein, dass die Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) von Nichtberechtigten in Erfahrung gebracht werden könne und von ihr als Berechtigungsnachweis nicht akzeptiert werden dürfe. Die Überprüfung der Bestellberechtigung sei der Beklagten sowohl möglich als auch zumutbar gewesen. Selbst wenn es Aufgabe der U-UAB gewesen wäre, die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Ersatzschlüsselbeschaffung zu prüfen, hätte dies die Beklagte nicht von ihrer eigenen Prüfpflicht entbunden. Für eine rechtsgeschäftliche Übertragung der Sicherungspflichten fänden sich im Vortrag der Beklagten keine Anhaltspunkte. Diese habe als Bestellerin der Ersatzschlüssel die primäre Möglichkeit der Gefahrenbeherrschung durch Ablehnung der Ersatzbeschaffung gehabt.

[10]   Die Weiterleitung der Schlüssel an die U-UAB sei im Sinne einer Mitverursachung adäquat kausal für die jeweiligen Fahrzeugdiebstähle, da an der Verwendung der Ersatzschlüssel zur Begehung der Fahrzeugdiebstähle keine vernünftigen Zweifel beständen und eine andere Begehungsform objektiv nicht in Betracht komme. Dabei reiche es aus, dass mit dem Ersatzschlüssel das Fahrzeug geöffnet und das Lenkradschloss entriegelt werden könne, um das Fahrzeug aufzuladen und abzutransportieren. Ferner könne sich die Beklagte nicht unter Hinweis auf die fehlende Überprüfbarkeit der Berechtigung mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens entlasten, zumal es auch in Litauen Ausweisdokumente gebe, die dem Bestellantrag hätten beigefügt werden können und eine Feststellung der Identität des Bestellers ermöglicht hätten. Durch das Erfordernis der Ausweisvorlage würden jedenfalls der Aufwand und das Risiko der Entdeckung größer, sodass die Tatausführung zwar nicht in jedem Fall verhindert, aber doch erheblich erschwert werde. Der Beklagten sei zumindest anzulasten, dass sie sich bezüglich der Möglichkeiten einer Identifizierung und Überprüfung bei Ersatzschlüsselbestellungen aus Litauen nicht erkundigt habe. Der Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden bestehe trotz des Diebstahls der Fahrzeuge durch Dritte, da die Beklagte durch die ungeprüfte Versendung der Ersatzschlüssel die erste Ursache gesetzt und die dadurch begründete Gefahrenlage sich gerade in dem nachfolgenden Diebstahl ausgewirkt habe. Das Verhalten ihrer Mitarbeiter sei der Beklagten zuzurechnen, da sie als Arbeitgeber die Verantwortung für die Organisation der Betriebsabläufe trage und es ihr oblegen habe, konkrete Vorgaben zur Überprüfung der Berechtigung des Bestellers auch in Bezug auf NORA-Händler zu machen sowie die Einhaltung dieser Vorgaben zu überwachen. Die Klägerin habe zudem einen Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß § 831 I 1 BGB, § 86 I 1 VVG, da deren Mitarbeiter Verrichtungsgehilfen seien und Vortrag der Beklagten zur Exkulpation nicht vorliege.

[11]   II. Das Urteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Zu Recht hat das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche der Klägerin aus übergegangenem Recht hinsichtlich der vier Autodiebstähle bejaht (§§ 823 I, 831 I 1 BGB i. V. mit § 86 VVG).

[12]   1. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte hinsichtlich der Ersatzschlüsselbestellungen und -lieferungen ihre Verkehrssicherungspflichten in Gestalt von Prüf- und Kontrollpflichten verletzt hat.

[13]   a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. Senat, Urt. v. 19.01.2021 – VI ZR 194/18, NJW 2021, 1090 Rn. 8 f.; Urt. v. 19.01.2021 – VI ZR 210/18, VersR 2021, 452 Rn. 24 f.; Urt. v. 11.02.2020 – VI ZR 286/19, NJW 2020, 2116 Rn. 14; Urt. v. 25.02.2014 – VI ZR 299/13, NJW 2014, 2104 Rn. 8 f.; Urt. v. 02.10.2012 – VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 Rn. 6 f.; BGH, Urt. v. 23.04.2020 – III ZR 251/17, NJW 2020, 3106 Rn. 24; Urt. v. 19.07.2018 – VII ZR 251/17, NJW 2018, 2956 Rn. 17 f.).

[14]   In Bezug auf ein und dieselbe Gefahrenquelle kann sich dabei auch die Verantwortlichkeit mehrerer Personen ergeben (vgl. BeckOK-BGB/​Förster, Stand: 01.02.2023, § 823 Rn. 307; Grüneberg/​Sprau, BGB, 82. Aufl., § 823 Rn. 48). In diesem Fall enden die Verkehrssicherungspflichten für denjenigen, der die Gefahr geschaffen hat, erst, wenn sichergestellt ist, dass der nachfolgende Beherrscher einer Gefahrenquelle die Gefahr erkannt hat und vernünftigerweise davon auszugehen ist, dass dieser Sicherungsmaßnahmen einleitet (vgl. Senat, Urt. v. 12.11.1996 – VI ZR 270/95, NJW 1997, 582 = juris Rn. 16; OLG Rostock, Urt. v. 18.12.2020 – 5 U 91/18, juris Rn. 88; BeckOGK/Spindler, Stand: 01.11.2022, § 823 BGB Rn. 433). Unklarheiten in der Abgrenzung der Sicherungszuständigkeiten dürfen dabei nicht im Sinne einer wechselseitigen Entlastung der Sicherungspflichtigen zulasten des Geschädigten gehen; gegebenenfalls haften die mehreren Sicherungspflichtigen gemäß § 840 I BGB als Gesamtschuldner (vgl. BGH, Urt. v. 14.03.1985 – III ZR 206/83, VersR 1985, 641 = juris Rn. 17; Staudinger/​Hager, BGB, Neubearb. 2021, § 823 Rn. E 56; MünchKomm-BGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 520).

[15]   Darüber hinaus können Verkehrssicherungspflichten mit der Folge eigener Entlastung delegiert werden, wodurch sich die Verkehrssicherungspflichten des ursprünglich Verantwortlichen auf Kontroll- und Überwachungspflichten verkürzen und der Übernehmende seinerseits deliktisch verantwortlich wird. Voraussetzung hierfür ist, dass die Übertragung klar und eindeutig vereinbart wird. Eines wirksamen Vertrags bedarf es insoweit nicht. Entscheidend ist, dass der in die Verkehrssicherungspflicht Eintretende faktisch die Verkehrssicherung für den Gefahrenbereich übernimmt und im Hinblick hierauf Schutzvorkehrungen durch den primär Verkehrssicherungspflichtigen unterbleiben, weil sich dieser auf das Tätigwerden des Beauftragten verlässt (vgl. Senat, Urt. v. 13.06.2017 – VI ZR 395/16, NJW 2017, 2905 Rn. 9; Urt. v. 22.01.2008 – VI ZR 126/07, NJW 2008, 1440 Rn. 9; Urt. v. 04.06.1996 – VI ZR 75/95, NJW 1996, 2646 = juris Rn. 13; BGH, Urt. v. 23.04.2020 – III ZR 251/17, NJW 2020, 3106 Rn. 28; BeckOK-BGB/​Förster, a. a. O., § 823 Rn. 352 ff.; BeckOGK/​Spindler, a. a. O., § 823 Rn. 435; Grüneberg/​Sprau, a. a. O., § 823 Rn. 50; MünchKomm-BGB/Wagner, a. a. O., § 823 Rn. 526 ff.).

[16]   b) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten mit Recht bejaht.

[17]   Hier ergab sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkennt, hat die Beklagte durch die Überlassung von Ersatzschlüsseln an die U-UAB ohne vorherige Prüfung, ob diese sich berechtigt im Besitz der mit den Ersatzschlüsseln zu versorgenden Kraftfahrzeuge befand oder berechtigt für die jeweiligen Halter/​Eigentümer handelte, die erhebliche Gefahrenlage für diese Eigentümer geschaffen, dass ihr Fahrzeug von Unbefugten genutzt und/​oder entwendet wird. Durch die Nachbestellung und das Inverkehrbringen des Ersatzschlüssels wird eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug geschaffen, welche die Gefahr des Missbrauchs durch Unbefugte in sich trägt (vgl. zu Sicherungspflichten des Fahrzeugbesitzers bezüglich der Fahrzeugschlüssel bzw. zur Verhinderung von Schwarzfahrten: Senat, Urt. v. 15.12.1970 – VI ZR 97/69, NJW 1971, 459 = juris Rn. 28; OLG Hamm, Urt. v. 17.02.2004 – 9 U 161/03, NJW-RR 2004, 1097 = juris Rn. 7; OLG Jena, Urt. v. 08.07.2003 – 5 U 177/03, VersR 2004, 879; Geigel/​Haag, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 14 Rn. 188; Staudinger/Hager, a. a. O., § 823 Rn. E 401; BeckOGK/​Spindler, a. a. O., § 823 Rn. 414; MünchKomm-BGB/Wagner, a. a. O., § 823 Rn. 454; vgl. zur Missbrauchsgefahr bei Wohnungsschlüsseln: BGH, Urt. v. 05.03.2014 – VIII ZR 205/13, NJW 2014, 1653 Rn. 19; Schmidt-Futterer/​Eisenschmid, Mietrecht, 15. Aufl., § 535 Rn. 533). Dass die Gefahr sich aus missbräuchlichem Verhalten Dritter speist, steht der Annahme einer Verkehrssicherungspflicht nicht entgegen. Verkehrssicherungspflichten dienen auch der Verhütung solcher Gefahren, die aus unbefugtem oder missbräuchlichem Verhalten entstehen, wenn die Gefahr zweckwidriger Benutzung groß ist und dem Sicherungspflichtigen Vorkehrungen gegen die missbräuchliche Nutzung möglich und zumutbar sind (vgl. Senat, Urt. v. 11.03.1980 – VI ZR 66/79, NJW 1980, 1745 = juris Rn. 8 [zu missbräuchlichem Verhalten des Rechtsgutsinhabers]).

[18]   Dieser Gefahr und den tatsächlich eingetretenen Rechtsgutsverletzungen durch die Kfz-Diebstähle hätte – wie das Berufungsgericht zutreffend sieht – durch Prüfung der Berechtigung der Schlüsselanforderung und Plausibilisierung des Schlüsselverlustes vorgebeugt werden können. Vorkehrungen – etwa in Form der Vorlage eines Bestellschreibens des betroffenen Fahrzeughalters nebst Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen sowie eines Nachweises über den Defekt oder das Abhandenkommen des Erstschlüssels – waren der Beklagten möglich und zumutbar. Dass eine solche Handhabung der Erwartung der betroffenen Verkehrskreise entsprach, ergibt sich bereits aus den Empfehlungen der Volkswagen AG zur Verfahrensweise und Dokumentation bei Ersatzschlüsselbestellungen zur Verhinderung von Missbrauch, auch wenn diese ausdrücklich die Ersatzschlüsselbestellung durch den Kunden anspricht und auf das vorliegende Verhältnis eines Vertragshändlers zu einem NORA-Kunden nicht unmittelbar anwendbar sein sollte. Da die U-UAB für die Ersatzschlüsselbeschaffung nicht den direkten Weg zum Hersteller wählte, weil ihr dieser auch als NORA-Kunde verschlossen war, sondern die Beklagte damit beauftragte, musste diese als verständige, umsichtige, vorsichtige und gewissenhafte Vertragshändlerin mit der Befugnis zur Ersatzschlüsselbeschaffung im Bewusstsein der Missbrauchs- und Diebstahlsgefahren auch gegenüber der U-UAB die Vorsicht wie gegenüber jedem nachbestellenden Kunden walten lassen, selbst wenn dies die Vereinbarungen der Vertriebsorganisation nicht explizit vorgesehen haben sollten und die bisherigen stichprobenartigen Überprüfungen der U-UAB, die sich auf den Einbau gelieferter Ersatzteile bezogen haben sollen, keine Hinweise auf Organisationslücken oder Unregelmäßigkeiten ergeben haben sollten.

[19]   Zu Recht hat das Berufungsgericht es für unerheblich gehalten, dass die Bestellung der Ersatzschlüssel durch und deren Auslieferung an einen in die NORA-Organisation eingebundenen Händler erfolgt ist. Entgegen der Auffassung der Revision durfte das Berufungsgericht die genannten Sicherheitsvorkehrungen trotz der Geschäftsbeziehung der Beklagten zur U-UAB für zumutbar halten. Dass dies die geltend gemachte, seit 2004 bestehende langjährige Vertrauensbeziehung zur U-UAB bedroht und die wirtschaftlichen Interessen der Beklagten damit ernstlich beeinträchtigt hätte, erscheint fernliegend, nachdem die Beklagte selbst vorgetragen hat, die U-UAB zwischen 2012 und 2016 jährlich besucht und stichprobenartig auf die ordnungsgemäße Verbauung der gelieferten Ersatzteile kontrolliert zu haben, und die Beklagte sich für ihre Anforderungen auf den Schutz der gemeinsamen Kunden und die Empfehlungen des Herstellers hätte berufen können. Soweit der Senat in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Beaufsichtigung eines Fachunternehmens entschieden hat, dass der Beaufsichtigung durch das Erfordernis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie durch die Selbstständigkeit und Weisungsunabhängigkeit des Fachunternehmens Grenzen gesetzt seien und eine Kontrolle auf Schritt und Tritt nicht verlangt werden könne (vgl. Senat, Urt. v. 01.10.2013 – VI ZR 369/12, VersR 2014, 78 Rn. 16; Urt. v. 26.09.2006 – VI ZR 166/05, NJW 2006, 3628 Rn. 11; Urt. v. 30.09.1986 – VI ZR 274/85, NJW-RR 1987, 147 = juris Rn. 8 m. w. Nachw.; BeckOK-BGB/​Förster, a. a. O., § 823 Rn. 369), lässt sich dies auf den Streitfall nicht übertragen, weil schon nicht festgestellt worden ist, dass von der Beklagten im Zusammenhang mit der Ersatzschlüsselbestellung Verkehrssicherungspflichten auf die U-UAB delegiert worden wären. Dass insoweit Sachvortrag zu einer Delegation übergangen worden wäre, macht die Revision nicht geltend, auch nicht, dass der U-UAB als NORA-Kunde aufgrund von Vereinbarungen mit der Beklagten oder der Volkswagen AG eine der Beklagten vergleichbare Prüfungspflicht oblegen hätte. Das Berufungsgericht hat vielmehr unangegriffen festgestellt, dass die U-UAB – anders als die Beklagte in ihrer Funktion als Vertragshändlerin der Volkswagen AG – nicht befugt war, die Schlüssel direkt von der Volkswagen AG zu beziehen, wodurch die U-UAB letztlich – auch im Verhältnis zur Beklagten – einem privaten Endkunden gleichgestellt wird. Das etwaige Fehlen unmittelbar einschlägiger Verhaltensempfehlungen der Volkswagen AG für die Auslieferung von Ersatzschlüsseln an NORA-Kunden sowie das Bestehen einer langjährigen Vertrauensbeziehung der Beklagten zur U-UAB sind hierfür unerheblich.

[20]   Danach kann sich die Beklagte – anders als die Revision meint – nicht damit entlasten, dass die der maßgeblichen Verkehrsauffassung zu Prüf- und Kontrollpflichten bei der Ersatzschlüsselbeschaffung und -weitergabe entsprechende Empfehlung der Volkswagen AG zum Verfahren bei fehlenden beziehungsweise defekten Fahrzeugschlüsseln in Kundendienst und Handel verbindliche Regeln nur für den Fall vorsehe, dass der Partner der Vertriebsorganisation den Auftrag zur Beschaffung eines Ersatzschlüssels unmittelbar vom Endabnehmer entgegennehme.

[21]   Dass das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Beklagte wegen der ihr im Zusammenhang mit der Ersatzschlüsselbestellung obliegenden internen Organisations- und Überwachungspflichten für ihre für sie handelnden Mitarbeiter einzustehen hat (§ 831 BGB), greift die Revision nicht an. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht zu erkennen.

[22]   3. Auch den Kausalzusammenhang zwischen den Pflichtverletzungen, den Diebstählen und dem Schaden hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler bejaht.

[23]   a) Die Revision rügt ohne Erfolg, hinsichtlich des vierten Diebstahls (eines Pkw der Marke Audi) fehle es an widerspruchsfreien und damit das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen, um diesen der Beklagten zurechnen zu können. Das Berufungsgericht hat nicht offengelassen, ob bezüglich dieses Fahrzeugs ein Ersatzschlüssel oder eine Ersatzschlüsselbestellung in der Zerlegehalle aufgefunden wurden. Zwar findet sich eine entsprechende Formulierung in dem in Bezug genommenen Tatbestand des landgerichtlichen Urteils („Schlüssel bzw. der Beleg über die Schlüsselbestellung“), das Berufungsgericht hat dies aber auf das Auffinden einer Schlüsselbestellung konkretisiert, indem es von Belegen für Schlüsselbestellungen für zwei der streitgegenständlichen Fahrzeuge gesprochen und dazu den Ermittlungsbericht und das darin befindliche Asservatenverzeichnis konkret in Bezug genommen hat. Dort ist für den Audi nur eine Schlüsselbestellung verzeichnet.

[24]   Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe den Sachvortrag der Beklagten unbeachtet gelassen, wonach die Beklagte an die U-UAB Ersatzteile für Fahrzeuge der Marke Volkswagen geliefert habe, weshalb der Diebstahl eines Wagens der Marke Audi nicht zugerechnet werden könne. Abgesehen davon, dass diese Aussage im Sinne einer Beschränkung auf Ersatzteile allein der Marke Volkswagen diesem schriftlichen Vortrag nicht klar zu entnehmen ist, wäre eine derartige Behauptung auch nicht entscheidungserheblich, da sie der streitgegenständlichen Ersatzschlüsselbestellung für ein Fahrzeug der Marke Audi, einer Konzernmarke der Volkswagen AG, nicht entgegenstünde. Dafür spricht auch, dass die Instanzgerichte sich die Überzeugung gebildet haben, dass es sich bei der in der Zerlegehalle aufgefundenen Schlüsselbestellung um eine solche der Beklagten auch bei dem PKW Audi handelte.

[25]   b) Auch die Annahme eines Zurechnungszusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden trotz der Begehung der Diebstahlstaten durch Dritte wird von der Revision nicht in Abrede gestellt. Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.

[26]   c) Das Berufungsgericht hat der Beklagten auch den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens zu Recht versagt. Dem tritt die Beklagte mit ihrer Revision nicht entgegen.

[27]   4. Entgegen der Auffassung der Revision sind die der Beklagten auferlegten Prüfpflichten nicht zur Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit geeignet. Sie stellen keine unzulässigen Maßnahmen gleicher Wirkung gemäß Art. 35 AEUV dar.

[28]   a) Die der Beklagten zum Schutz der Fahrzeugeigentümer vor der Auslieferung der Ersatzschlüssel auferlegten (deliktsrechtlichen) Prüf- beziehungsweise Verkehrssicherungspflichten betreffen im Sinne der Differenzierung im Dritten Teil Titel II Kapitel 3 AEUV („Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten“) zwischen Einfuhr- (Art. 34) und Ausfuhrbeschränkungen (Art. 35) entgegen der Auffassung der Revision nicht Art. 34, sondern Art. 35 AEUV.

[29]   Nach Art. 35 AEUV sind mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Hierunter fallen nationale Maßnahmen, die tatsächlich Ausfuhren – das heißt Waren, die den Markt des Ausfuhrmitgliedstaats verlassen – stärker betreffen als den Absatz der Waren auf dem inländischen Markt dieses Mitgliedstaats (vgl. EuGH, Urt. v. 17.09.2020 – C-648/18, ECLI:EU:C:2020:723 = juris Rn. 29 – Hidroelectrica; Urt. v. 28.02.2018 – C-518/16, ECLI:EU:C:2018:126 = juris Rn. 43 m. w. Nachw. – ZPT; Becker, in: Schwarze/​Becker/​Hatje/​Schoo, EU-Kommentar, 4. Aufl., Art. 35 AEUV Rn. 12). Nationale Maßnahmen, die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel eines Mitgliedstaats und für seinen Außenhandel schaffen, sodass die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staats zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt, sind als Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen eingestuft worden (EuGH, Urt. v. 08.11.1979 – 15/79, ECLI:EU:C:1979:253 = Slg. 1979, 3409 Rn. 7 – Groenveld; Urt. v. 16.12.2008 – C-205/07, ECLI:EU:C:2008:730 = Slg. 2008, I-9947 Rn. 40 – Gysbrechts und Santurel Inter). Diese Voraussetzungen erfüllen die der Beklagten auferlegten Prüfpflichten aber nicht. Dem inländischen Händler werden lediglich bezüglich der Bestellung und Auslieferung von Fahrzeugersatzschlüsseln an eine Reparaturwerkstatt bestimmte Verhaltenspflichten in Form einer Prüfung der Berechtigung des Bestellers auferlegt. Dies berührt den inländischen wie den grenzüberschreitenden Vertrieb von Fahrzeugersatzschlüsseln rechtlich und tatsächlich in gleicher Weise. Die Frage, ob der ausländische Vertragspartner die Überprüfung der Berechtigung ebenso zuverlässig übernehmen könnte, ist für die Frage nach einer Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit unerheblich.

[30]   b) Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 III AEUV zur Klärung der Frage, ob sich die von dem Berufungsgericht aufgestellten Anforderungen bei der Vergabe von Ersatzschlüsseln „als gleichwirkende Maßnahme i. S. des Art. 34 AEUV (richtig: Art. 35 AEUV) auch unter Berücksichtigung des Art. 36 AEUV“ darstellen, ist entgegen der Auffassung der Revision nicht veranlasst. Die Rechtslage ist insoweit von vornherein eindeutig (acte clair, vgl. EuGH, Urt. v. 06.10.2021 – C-561/19, NJW 2021, 3303 Rn. 33 – ECLI:EU:C:2021:799 = Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi; Urt. v. 06.10.1982 – 283/81, = ECLI:EU:C:1982:335 = Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257 = juris Rn. 21 – CILFIT; BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschl. v. 14.01.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005 Rn. 15 m. w. Nachw.; Wegener, in: Calliess/​Ruffert, EUV/​AEUV, 6. Aufl., Art. 267 AEUV Rn. 33).

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