Die eigenmächtige Weggabe einer Sache durch einen Besitzmittler steht einem gutgläubigen Erwerb durch einen Dritten nicht i. S. des § 935 I BGB entgegen.

BGH, Urteil vom 20.09.2004 – II ZR 318/02

Sachverhalt: Die Parteien streiten um die Herausgabe eines Pkw sowie um die Verpflichtung des Beklagten, eine Nutzungsentschädigung an den Kläger zu zahlen. Beide Parteien behaupten, Eigentümer des Pkw zu sein.

Der Beklagte gewährte M, die als Halterin des Pkw im Kfz-Brief eingetragen war, am 29.02.2000 ein Darlehen über 3.000 DM. Er erhielt von M am selben Tag einen von ihr geschriebenen und unterschriebenen Schuldschein, in dem zum einen erwähnt ist, dass M dem Schuldscheininhaber 3.000 DM schuldet und dieser als Sicherheit den Kfz-Brief und einen Schlüssel des Fahrzeugs erhält. Weiter heißt es:

„Die Rückzahlung beginnt im März 2000 und ist bis Ende Mai 2000 abgeschlossen. Bei Nichteinhaltung des Rückzahlungstermins und Schuldsumme geht das Kfz […] in Eigentum und Besitz des Schuldscheininhabers über. Der Kfz-Brief und der Zweitschlüssel vom Kfz werden dem Schuldscheininhaber bei Unterzeichnung ausgehändigt.“

Der Schlüssel wurde dem Beklagten am selben Tag ausgehändigt; der Kfz-Brief verblieb entgegen der Absprache in der Folgezeit bei M.

Nachdem keine Rückzahlung des Darlehens erfolgte, brachte der Beklagte den Pkw am 13.06.2000 am Arbeitsplatz des Klägers mithilfe des Zweitschlüssels in seinen Besitz.

Der Kläger, der am 31.05.2000 als Halter in den Kfz-Brief eingetragen wurde, behauptet, M habe ihm den Pkw circa eine Woche vor dem 31.05.2000 übereignet. Er begehrt mit der Klage die Herausgabe des Pkw, die Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 1.903,02 € für die Zeit vom 13.06. bis zum 31.07.2000 sowie die Feststellung, dass der Beklagte ihm vom 01.08.2000 bis zur Herausgabe des Pkw eine Nutzungsentschädigung zahlen muss.

Das Landgericht hat der Herausgabeklage stattgegeben und die auf Nutzungsentschädigung gerichteten Klageanträge abgewiesen. Beide Parteien haben dagegen Berufung eingelegt, mit der sie jeweils ihre erstinstanzlich abgewiesenen Anträge weiterverfolgten; der Beklagte hat zusätzlich Eventualwiderklage auf Feststellung erhoben, dass er Eigentümer des Pkw sei. Das Berufungsgericht hat die Herausgabeklage auf die Berufung des Beklagten abgewiesen und der Eventualwiderklage stattgegeben. Auf die Berufung des Klägers hat es den Beklagten zur Zahlung der beantragten Nutzungsentschädigung verurteilt und dem auf zukünftige Nutzungsentschädigung gerichteten Feststellungsbegehren entsprochen.

Die Revision des Beklagten, der eine Klageabweisung bezüglich der Nutzungsentschädigung erreichen wollte, hatte ebenso Erfolg wie die Anschlussrevision des Klägers, der die Herausgabe des Pkw sowie die Abweisung der Eventualwiderklage erstrebte.

Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Der Kläger habe keinen Herausgabeanspruch gegen den Beklagten gemäß § 861 BGB. Zwar liege eine verbotene Eigenmacht des Beklagten i. S. des § 858 BGB vor. Der Anspruch aus § 861 BGB sei jedoch gemäß § 864 II BGB erloschen, da auf die Feststellungswiderklage des Beklagten dessen Eigentum festgestellt werde. Einen eigenen Eigentumserwerb habe der Kläger nicht bewiesen. Zugunsten des Beklagten spreche die Vermutung des § 1006 I 1 BGB. Die zugunsten des Klägers sprechende Vermutung des § 1006 II BGB habe der Beklagte widerlegt, indem er durch die Vorlage des Schuldscheins vom 29.02.2000 dargetan und bewiesen habe, dass er (Sicherungs-)Eigentümer des Pkw geworden sei. Da der Kläger jedoch bis zur rechtskräftigen Feststellung des Eigentums des Beklagten aus § 861 BGB besitzberechtigt gewesen sei, stehe ihm gegen den Beklagten ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung gemäß § 1007 III 2 BGB i. V. mit §§ 987 ff. BGB zu.

II. Die Revision des Beklagten ist begründet. Ist, wovon das Berufungsgericht ausgeht, der Beklagte Eigentümer des Pkw geworden und geblieben, hat der Kläger gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Nutzungsentschädigung.

Die Voraussetzungen des § 1007 III 2 BGB i. V. mit §§ 989 ff. BGB sind entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht erfüllt. Dem ursprünglichen Besitzer steht gegen den (zum Besitz berechtigten) Eigentümer auch dann kein Anspruch aus § 1007 III 2 BGB i. V. mit §§ 989 ff. BGB zu, wenn der unmittelbare Eigenbesitz des Eigentümers durch verbotene Eigenmacht erlangt wurde. Zwar formt § 1007 III 2 BGB die Regelungen über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis dergestalt um, dass bei einer Vindikationslage der ursprüngliche Besitzer an die Stelle des Eigentümers tritt. Einem Anspruch aus § 1007 III 2 BGB i. V. mit §§ 989 ff. BGB steht jedoch entgegen, dass ihm gegenüber, wie die Verweisung auf § 986 BGB zeigt, petitorische Einwendungen erheblich sind (BGH, Urt. v. 07.05.1991 – VI ZR 259/90, BGHZ 114, 305 [312 ff.] m. w. Nachw.; MünchKomm-BGB/Medicus, 4. Aufl., § 1007 Rn. 7; Staudinger/Gursky, BGB, Neubearb. 1999, § 1007 Rn. 1, 18, 36 jeweils m. w. Nachw.).

Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte Eigentümer des Pkw geblieben ist (s. unten III).

III. Die Anschlussrevision des Klägers ist ebenfalls begründet.

1. Im Ergebnis zutreffend, wenn auch nicht frei von Rechtsfehlern, sind die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Erwerb des Sicherungseigentums des Beklagten.

Das Berufungsgericht hat die für einen Eigentumsübergang auf den Beklagten neben der Einigung erforderliche Übergabe des Fahrzeugs gemäß § 929 BGB nicht fehlerfrei festgestellt. Der von dem Berufungsgericht angenommene unmittelbare Besitzerwerb im Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung, den es darin begründet sehen will, dass dem Beklagten durch die Aushändigung des Zweitschlüssels die Zugriffsmöglichkeit auf den Pkw eröffnet war, reicht zur Begründung eines Besitzübergangs i. S. des § 929 BGB nicht aus (BGH, Urt. v. 10.01.1979 – VIII ZR 302/77, NJW 1979, 714 m. w. Nachw.; MünchKomm-BGB/Quack, 4. Aufl., § 929 Rn. 111, 115 ff.; Erman/Michalski, BGB, 11. Aufl., § 929 Rn. 10). Die gemäß §§ 133, 157 BGB an den Parteiinteressen auszurichtende Auslegung des Schuldscheins ergibt jedoch, dass der Beklagte am 29.02.2000 durch Einigung gemäß § 929 BGB und Vereinbarung eines Besitzkonstituts gemäß § 930 BGB Sicherungseigentum an dem Pkw erworben hat. Der Senat kann die Auslegung selbst vornehmen, da die dazu erforderlichen Feststellungen bereits zweitinstanzlich getroffen worden sind und weitere Aufklärung nicht mehr in Betracht kommt (BGH, Urt. v. 14.12.1990 – V ZR 223/89, NJW 1991, 1180; Urt. v. 12.12.1997 – V ZR 250/96, NJW 1998, 1219).

Entgegen der Ansicht der Anschlussrevision scheitert die Annahme des Besitzmittlungsverhältnisses nicht daran, dass sich aus der Vereinbarung der Parteien keine konkreten Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Sicherungsgut ergeben. Zur Annahme eines Besitzmittlungsverhältnisses genügt im Ergebnis jedes besitzbegründende Rechtsverhältnis. Nach der Rechtsprechung des BGH (s. nur BGH, Urt. v. 02.05.1979 – VIII ZR 207/78, NJW 1979, 2308 f.), der die überwiegende Literaturmeinung folgt (s. die Nachw. bei Staudinger/Wiegand, BGB [1995], Anh. zu §§ 929–931 Rn. 87), wird das gemäß § 930 BGB erforderliche Besitzmittlungsverhältnis aus der Sicherungsabrede (stillschweigend) abgeleitet, auch wenn diese keine ausdrückliche Regelungen über Rechte und Pflichten enthält.

Die Vereinbarung kann entgegen der Ansicht der Anschlussrevision auch nicht im Sinne einer bedingten Übereignung ausgelegt werden. Zwar ist grundsätzlich die Begründung von Sicherungseigentum auch durch eine bedingte Übereignung möglich. Eine solche ist im Rahmen der Begründung von Sicherungseigentum jedoch im Allgemeinen nicht anzunehmen, vielmehr muss hierfür ein Anhaltspunkt in dem Parteivorbringen gegeben sein (BGH, Urt. v. 02.02.1984 – IX ZR 8/83, NJW 1984, 1184; Urt. v. 30.10.1990 – IX ZR 9/90, NJW 1991, 353 [354]). Dies folgt daraus, dass eine bedingte Übereignung den Sicherungsinteressen des Sicherungsnehmers nicht ausreichend gerecht wird, sodass es der Feststellung besonderer Umstände in den Parteierklärungen bedarf, wonach der Sicherungsnehmer – ausnahmsweise – auf seine relativ unangreifbare Sicherung für den Fall der Nichterfüllung der Forderung verzichtet.

Anhaltspunkte dafür, dass M und der Beklagte hier von dem Normalfall der Sicherungsübereignung abweichen wollten, ergeben sich weder aus dem Inhalt ihrer Vereinbarung noch aus dem sonstigen Parteivorbringen. Insbesondere reicht dafür nicht aus, dass die Nichteinhaltung der Rückzahlungsverpflichtung als Bedingungseintritt für den Eigentumserwerb genannt wird. Dies ist bei der Vereinbarung von Sicherungseigentum mittels Besitzkonstitut durchaus üblich und besagt lediglich, dass sich mit Eintritt des Sicherungsfalls das Treuhandeigentum in vollwertiges (Verwertungs-)Eigentum umwandelt.

2. Das Berufungsgericht verkennt jedoch, dass die Vermutungswirkung aus § 1006 II BGB für das Eigentum des Klägers spricht und diese Vermutung durch den Nachweis des Erwerbs des Sicherungseigentums des Beklagten nicht widerlegt ist.

a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger am 13.06.2000, als der Beklagte den Pkw eigenmächtig an sich gebracht hat, Besitzer des Pkw gemäß § 854 BGB. Diesen Besitz hat er durch die Wegnahme des Beklagten unfreiwillig verloren, sodass für den Kläger die Vermutung des § 1006 II BGB streitet. Infolgedessen wird zu seinen Gunsten ohne Weiteres vermutet, dass er von Beginn seiner Besitzzeit an Eigenbesitzer gewesen ist und dass er mit dem Besitzerwerb zugleich Eigentümer geworden ist (st. Rspr.; s. nur BGH, Urt. v. 23.04.1975 – VIII ZR 58/74, LM BGB § 1006 Nr. 14; Urt. v. 30.11.1988 – VIII ZR 305/87, NJW-RR 1989, 651 [652]).

Diese Vermutung kann der Beklagte nur durch den Beweis des Gegenteils (§ 292 ZPO) zu voller – freilich gemäß § 286 ZPO auch aus den Gesamtumständen zu gewinnender – Überzeugung des Gerichts widerlegen (Senat, Urt. v. 04.02.2002 – II ZR 37/00, NJW 2002, 2101 [2102] m. w. Nachw.). Der Beklagte muss folglich beweisen, dass der vermutungsbegünstigte Kläger nie Eigentümer geworden ist (BGH, Urt. v. 16.10.2003 – IX ZR 55/02, ZIP 2003, 2247 [2250]; Staudinger/Gursky, a. a. O., § 1006 Rn. 38; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast II, 2. Aufl. § 1006 Rn. 18 m. w. Nachw.). Er hat daher entweder den Nachweis zu erbringen, dass es zwischen M und dem Kläger keine Einigung über einen Eigentumsübergang auf den Kläger gegeben hat oder dass der Kläger im Zeitpunkt des Erwerbs bösgläubig war. Ein gutgläubiger Eigentumserwerb ist hier nicht von vornherein ausgeschlossen, da die Weggabe durch die Besitzmittlerin M nicht zu einem Abhandenkommen des Pkw gemäß § 935 BGB aufseiten des Beklagten geführt hat (BGH, Urt. v. 16.04.1969 – VIII ZR 64/67, WM 1969, 656 [657]) und der Kfz-Brief, dessen Fehlen bei der Übereignung den guten Glauben des Klägers ausgeschlossen hätte (BGH, Urt. v. 08.05.1978 – VIII ZR 46/77, NJW 1978, 1854; Senat, Urt. v. 13.04.1994 – II ZR 196/93, NJW 1994, 2022 [2023]; Urt. v. 13.05.1996 – II ZR 222/95, ZIP 1996, 1384 [1385]), ebenfalls übergeben wurde.

b) Da somit aufgrund der bisherigen Feststellungen die zugunsten des Klägers sprechende Eigentumsvermutung nicht widerlegt ist, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 I 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.

Eine eigene Sachentscheidung (§ 563 III ZPO) konnte der Senat nicht treffen, da die Frage, ob die Eigentumsvermutung zugunsten des Klägers Bestand hat, weiterer Sachaufklärung bedarf. Die sich aus § 1006 II BGB ergebenden Folgerungen sind bislang von allen Prozessbeteiligten verkannt worden, sodass den Parteien Gelegenheit gegeben werden muss, hierzu weiter vorzutragen. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht weiter Gelegenheit, den Vortrag der Parteien darauf zu überprüfen, ob der Beklagte möglicherweise schon die Vermutungsgrundlage, nämlich den Eigenbesitz des Klägers, widerlegt hat (s. dazu Staudinger/Gursky, a. a. O., § 1006 Rn. 38; Baumgärtel, a. a. O., § 1006 Rn. 9 m. w. Nachw.). Wird die Eigenbesitzvermutung gemäß § 286 ZPO zur Überzeugung des Berufungsgerichts widerlegt, streitet § 1006 II BGB nicht zugunsten des Klägers (BGH, Urt. v. 21.02.1979 – VIII ZR 124/78, BGHZ 73, 355 [361]; Staudinger/Gursky, a. a. O., § 1006 Rn. 7 m. w. Nachw.). Das Berufungsgericht wird bei der erneuten Entscheidung auch zu berücksichtigen haben, dass die Höhe einer eventuell zu zahlenden Nutzungsentschädigung begrenzt ist durch den Wert des Pkw im Zeitpunkt der Wegnahme. …

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