1. Ein vom VW-Abgasskandal betroffener Neuwagen – hier: ein Audi A5 –, dessen Stickoxidemissionen softwaregesteuert (nur) reduziert werden, sobald das Fahrzeug auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert, ist mangelhaft. Denn der durchschnittliche Käufer eines Neuwagens kann i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB erwarten, dass sein Fahrzeug die einschlägigen Emissionsgrenzwerte nicht nur auf dem Prüfstand und dort nicht nur deshalb einhält, weil eine Software die Testsituation erkennt und sodann den Schadstoffausstoß optimiert.
  2. Eine Nacherfüllung ist dem Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagens jedenfalls dann i. S. des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB unzumutbar, wenn Verkäufer des Fahrzeugs dessen Hersteller selbst ist. Denn der Fahrzeughersteller hat seine Kunden systematisch getäuscht, indem er in einer Vielzahl von Fahrzeugen eine den Schadstoffausstoß manipulierende Software installiert hat. Mit Blick darauf hat der Käufer eines solchen – mangelhaften – Fahrzeugs ein berechtigtes Interesse daran, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer/Fahrzeughersteller Abstand zu nehmen.
  3. Die Pflichtverletzung des Verkäufers, die in der Lieferung eines vom VW-Abgasskandal betroffenen – mangelhaften – Neuwagens liegt, ist jedenfalls dann nicht unerheblich i. S. des § 323 V 2 BGB, wenn der Verkäufer zugleich der Hersteller des Fahrzeugs ist. Denn eine den Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag ausschließende unerhebliche Pflichtverletzung ist in der Regel zu verneinen, wenn der Verkäufer den Käufer über die Beschaffenheit der Kaufsache arglistig getäuscht hat. Hinzu kommt, dass die Frage, ob die Schadstoffemissionen eines Kraftfahrzeugs unterhalb der einschlägigen Grenzwerte bleiben, nach der allgemeinen Verkehrsauffassung eine erhebliche Bedeutung hat.
  4. Kosten, die einem Kfz-Käufer für die Tieferlegung des Fahrzeugs entstanden sind, sind ebenso wie Finanzierungskosten Aufwendungen i. S. des § 284 BGB, die der Käufer unter den dort genannten Voraussetzungen vom Verkäufer ersetzt verlangen kann.

LG Bayreuth, Urteil vom 12.05.2017 – 23 O 348/16

Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal auf Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags und Schadensersatz in Anspruch.

Er erwarb von der Beklagten durch Vermittlung der A-GmbH am 15.03.2013 einen fabrikneuen Audi A5 zum Preis von 41.381,55 €. Dieses Fahrzeug ließ der Kläger tieferlegen und wandte dafür 1.055,58 € auf.

In dem Audi A5 kommt eine Software zum Einsatz, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert oder ob es regulär im Straßenverkehr betrieben wird. In einer Testsituation wird der Ausstoß von Stickoxid (NOX) so optimiert, dass das Fahrzeug den einschlägigen Emissionsgrenzwert einhält.

Nachdem ihm dies bekannt geworden war, erklärte der Kläger mit Schreiben seiner späteren Prozessbevollmächtigten vom 05.04.2016 gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte auf, ihm den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.586,62 € bis zum 19.04.2016 zurückzuzahlen. Dem kam die Beklagte nicht nacht.

Der Kläger hält sein Fahrzeug für mangelhaft, weil es bezüglich seiner Schadstoffemissionen und seines Kraftstoffverbrauchs nicht die vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 I 1 BGB) habe. Dass die Beklagte durch eine Nachbesserung Abhilfe schaffen kann, ist aus Sicht des Klägers nicht zu erwarten, zumal – so behauptet der Kläger – trotz Nachbesserung ein merkantiler Minderwert verbliebe. Der Kläger meint deshalb, dass er der Beklagten keine Frist zur Nacherfüllung habe setzen müssen, sondern sogleich seinen Rücktritt vom Kaufvertrag habe erklären dürfen.

Mit der Klage hat der Kläger die Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung verminderten Kaufpreises nebst Zinsen verlangt. Außerdem hat er – jeweils nebst Zinsen – den Ersatz von Finanzierungskosten (2.898,33 €), den Ersatz der Kosten, die er für die Tieferlegung des Fahrzeugs aufgewendet hat, und den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (1.965,88 €) begehrt. Darüber hinaus wollte der Kläger festgestellt haben, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Audi A5 in Verzug befinde.

Die Klage hatte überwiegend Erfolg.

Aus den Gründen: Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 32.869,68 € Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs nach §§ 433 I 2, 434 I 2 Nr. 2, 437 Nr. 2 Fall 1 und Nr. 3, 326 V, 346 ff., 284 BGB zu.

Der Pkw wies bei Übergabe durch die Beklagte an den Kläger einen Sachmangel nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB auf.

Eine Sache ist danach frei von Mängeln, wenn eine Beschaffenheit nicht vereinbart ist, sie sich aber für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.

Vorliegend eignet sich der Pkw zwar trotz des Einbaus der Abschalteinrichtung für die gewöhnliche Verwendung, da er technisch sicher und verkehrstauglich ist. Er weist aber nicht die Beschaffenheit auf, welche der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Ein durchschnittlicher Käufer kann davon ausgehen, dass ein Pkw zumindest den für eine Typgenehmigung erforderlichen Test unter den gesetzlich festgelegten Laborbedingungen ohne Zuhilfenahme einer Abschalteinrichtung zur Reduzierung der Stickoxidwerte erfolgreich absolviert. Die Einhaltung der einschlägigen Grenzwerte unter Verwendung einer dafür konzipierten Software kann diesen Erwartungen nicht gerecht werden (vgl. auch LG Krefeld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 72/16, juris Rn. 21 ff. m. w. Nachw.).

Eine Fristsetzung nach § 323 I BGB war im vorliegenden Fall entbehrlich, da eine Nacherfüllung für den Kläger gemäß § 440 Satz 1 Fall 3 BGB unzumutbar war.

Für die Beurteilung, ob eine Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers, eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses der Parteien, die Art der Sache und der Zweck, für die sie benötigt wird, die Art des Mangels und die Begleitumstände der Nacherfüllung. Die Unzumutbarkeit ist allein aus der Perspektive des Käufers ohne Abwägung mit den Interessen des Verkäufers zu beurteilen (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 76. Aufl., § 440 Rn. 8; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2014, § 440 Rn. 23 f.).

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass einem Käufer die Nachbesserung durch den Verkäufer in der Regel unzumutbar ist, wenn dieser ihn arglistig über den Kaufgegenstand getäuscht hat, da wegen der hieraus resultierenden nachhaltigen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses der Käufer von einer weiteren Zusammenarbeit Abstand nehmen darf (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.2010 – VIII ZR 182/08 Rn. 19 f.; Palandt/Weidenkaff, a. a. O., § 440 Rn. 8 m. w. Nachw.).

So ist auch der vorliegende Fall zu beurteilen, da die Einhaltung der Grenzwerte unter serienmäßiger Verwendung einer dafür konzipierten Software für den vorgesehenen Rollenprüfstand mit Abschaltvorrichtung für den normalen Straßenverkehr eine systematisch für eine Vielzahl von Fällen angelegte verdeckte Vorgehensweise darstellt, die von vorneherein auch auf eine Täuschung der Kunden gerichtet ist (i. E. ebenso LG München I, Urt. vom 14.04.2016 – 23 O 23033/15 [unter I 1]; LG Krefeld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 72/16, juris Rn. 36 f., 42).

Nach den Umständen des Falles ist vorliegend auch nicht von einer nur unerheblichen Pflichtverletzung i. S. des § 323 V 2 BGB auszugehen, die einen Rücktritt ausschließen würde.

Die Klärung der Frage, ob eine Unterschreitung der Erheblichkeitsschwelle im vorbezeichneten Sinne gegeben ist, erfordert eine umfassende Interessenabwägung. Zu berücksichtigen sind vor allem der für die Mangelbeseitigung erforderliche Aufwand und bei einem nicht behebbaren Mangel die von ihm ausgehende funktionelle und ästhetische Beeinträchtigung, aber auch die Schwere des Verschuldens des Schuldners, wobei bei Arglist eine unerhebliche Pflichtverletzung in der Regel zu verneinen ist (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 323 Rn. 32 m. w. Nachw.).

Wie bereits vorstehend dargelegt, ist hier aber eine arglistige Täuschung der Kunden durch den Hersteller, der auch Verkäufer ist, gegeben. Hinzu kommt, dass der betroffenen Einhaltung von gesetzlichen Grenzwerten bei Fahrzeugemissionen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung eine erhebliche Bedeutung zukommt. Daher scheidet unter diesen Gesichtspunkten eine Unerheblichkeit wegen der beklagtenseits in diesem Zusammenhang kalkulierten Kosten aus (vgl. auch LG Krefeld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 72/16, juris Rn. 50).

Damit liegt ein erheblicher Sachmangel vor, der ein Rücktrittsrecht des Klägers nach §§ 437 Nr. 2 Fall 1 BGB i. V. mit § 326 V BGB begründet, sodass durch den vom Kläger gemäß § 349 BGB erklärten Rücktritt ein Rückgewährschuldverhältnis i. S. des § 346 I BGB entstanden ist. Danach haben die Parteien die jeweils empfangenen Leistungen grundsätzlich Zug um Zug zurückzugewähren (§§ 346 I, 346 BGB). Statt der Rückgewähr kann nach § 346 II BGB auch ein Wertersatzanspruch in Betracht kommen.

Danach hat der Kläger im Rahmen der Rückwicklung einen Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises in Höhe von 41.381,55 €. Dem steht ein Anspruch der Beklagten gegen den Kläger auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen aus § 346 I BGB gegenüber. Da die Gebrauchsvorteile … nicht in Natur herausgegeben werden können, hat der Kläger insoweit Wertersatz zu leisten (§ 346 II 1 Nr. 1 BGB).

Der Wert von Gebrauchsvorteilen bei Eigennutzung einer beweglichen Sache wird regelmäßig nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung berechnet, also nach dem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Wertes bzw. des vereinbarten Kaufpreises (Wertverzehr). Bei Kraftfahrzeugen wird die Nutzungsdauer regelmäßig in Kilometern bemessen. Insoweit ergibt sich die mathematische Berechnungsformel:

$$\text{Gebrauchsvorteil} = {\frac{\text{Bruttokaufpreis}\times\text{gefahrene Kilometer}}{\text{erwartete Gesamtlaufleistung}}}$$

(vgl. hierzu insgesamt Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl., Rn. 1161 ff.).

Insoweit ist vorliegend von einer durchschnittlich zu erwartenden Laufleistung von 250.000 km auszugehen (was zum einen der allgemeinen Verkehrserwartung entspricht und zum anderen gutachterlichen Einschätzungen der zu erwartenden Gesamtlaufleistung in gerichtbekannten vergleichbaren Fällen) sowie einer gefahrenen Kilometerzahl (bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) von 75.310, entsprechend dem unstreitigen Vortrag des Klägers in der letzten mündlichen Verhandlung am 17.03.2017.

Damit ergibt sich ein zu berücksichtigender Gebrauchsvorteil in Höhe von

$${\frac{\text{41.381,55 €}\times\text{75.310 km}}{\text{250.000 km}}} = \text{12.465,78 €}$$

In diesem Zusammenhang sind weiterhin bestehende Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte nach §§ 437 Nr. 3, 284 BGB auf Ersatz von aufgewendeten Kosten für die Tieferlegung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 1.055,58 € sowie Finanzierungskosten für die Anschaffung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 2.898,33 € zu berücksichtigen.

Nach § 284 BGB kann der Gläubiger, wenn sein Vertragspartner wie vorliegend den Mangel des Vertragsgegenstandes aufgrund arglistiger Täuschung zu vertreten hat, Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat und billigerweise machen durfte. Hierzu zählen insbesondere Montagekosten zur Anpassung des Vertragsgegenstandes an die individuellen Wünsche des Käufers sowie Kosten einer nutzlos gewordenen Finanzierung (vgl. Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 284 Rn. 5).

Insoweit sind vorliegend für den Umbau des Fahrzeugs (Tieferlegung) 1.055,58 € angefallen. Hinsichtlich der streitigen Finanzierungskosten in Höhe von 2.898,33 € hat diese der Kläger durch die hierzu vorgelegten Bankunterlagen und die glaubhaften Angaben bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 17.03.2017 (bestimmungsgemäße Verwendung des betroffenen Bankdarlehens für die Anschaffung des streitgegenständlichen Fahrzeugs) ausreichend nachgewiesen.

Damit steht im Ergebnis den Ansprüchen des Klägers gegen die Beklagte auf Kaufpreisrückzahlung in Höhe von 41.351,55 € sowie Aufwendungsersatz in Höhe von 1.055,58 € und 2.898,33 € ein Anspruch der Beklagten auf Nutzungsvergütung in Höhe von 12.465,78 € gegenüber. Insoweit findet zwar keine automatische Saldierung oder Verrechnung statt; der Kläger hat im vorliegenden Rechtsstreit aber selbst eine entsprechende Saldierung und Verrechnung vorgenommen, indem er die vorbezeichneten Ansprüche dem Grunde nach als Rechnungspositionen der Ermittlung seiner Klageforderung bzw. in der Antragstellung zugrunde gelegt hat. Entsprechend der tatsächlichen Höhe der streitgegenständlichen Forderungen verbleibt damit im Ergebnis ein Zahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte in Höhe von (41.381,55 € + 1.055,58 € + 2.898,33 € − 12.465,78 € =) 32.869,68 €.

Aufgrund des in diesem Zusammenhang bestehenden Rückabwicklungsverhältnisses (Kaufpreisrückzahlung Zug um Zug gegen Fahrzeugrückgabe) ist auch ein Feststellungsinteresse des Klägers nach § 256 I ZPO für die beantragte Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten gegeben, da ein schützenswertes Interesse auf Vereinfachung und Beschleunigung des Zugriffs in der Zwangsvollstreckung für den Kläger besteht (vgl. Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 1273).

Die Beklagte befindet sich mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs aufgrund des vom Kläger wirksam erklärten Rücktritts mit Fristsetzung bis 19.04.2016 seit dem 20.04.2016 gemäß § 295 BGB auch in Annahmeverzug.

Weiterhin steht dem Kläger gegen die Beklagte nach § 280 I BGB ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.474,89 € … zu.

Der Zinsausspruch folgt aus §§ 286 I 1, 288 BGB.

Im Übrigen ist die Klage abzuweisen. …

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