Soweit Arglist die Kenntnis offenbarungspflichtiger Umstände voraussetzt, kann sich der Tatrichter nicht mit der Feststellung begnügen, der Verkäufer habe sich der „Kenntnis bewusst verschlossen“. Ausreichend ist demgegenüber, dass der Verkäufer die Umstände zwar nicht positiv kennt, ihr Vorhandensein aber für möglich hält und sie nicht offenbart, obwohl er weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass die Umstände für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sind.

BGH, Urteil vom 07.03.2003 – V ZR 437/01

Sachverhalt: Mit notariellem Vertrag vom 09.05.1996 kaufte der Kläger von dem Beklagten für 290.000 DM eine Eigentumswohnung im Haus L-Straße 62 in F. Der Vertrag enthält einen Gewährleistungsausschluss für Größe und Beschaffenheit von Grund und Gebäuden sowie die Versicherung des Beklagten, dass ihm keine versteckten Mängel des Gebäudes bekannt seien und dass er keine ihm bekannten Mängel verschwiegen habe. Die Wohnung wurde im Juni 1996 übergeben.

Bei dem Nachbarhaus, L-Straße 60, das ebenfalls dem Beklagten gehört, waren 1992 Setzungen und Risse aufgetreten, die auf ein unter dem Fundament befindliches Wurzelwerk zurückzuführen waren. Dieses hatte dem Erdreich Wasser entzogen und Schrumpfungen des Bodens und damit Erdbewegungen verursacht, denen das Mauerwerk nicht standgehalten hatte.

Im März 1996 stellte der seinerzeit von dem Beklagten beauftragte Bodengutachter Dr. S auch im Keller des Hauses L-Straße 62 Setzungen fest. Mit Schreiben vom 22.04.1996, von dem der Beklagte erst im Juni oder Juli 1996 Kenntnis genommen haben will, teilte Dr. S diesem mit, dass auch der Boden unter dem Haus L-Straße 62 mit vitalen Wurzeln durchzogen sei, die zu Setzungen und Rissen führen könnten.

Im Jahre 1997 kam es zur Bildung von Rissen im Mauerwerk des Hauses L-Straße 62. Schadensursache war eine Verwurzelung des Abwasserkanals. Die Kosten für die Beseitigung betrugen anteilig für den Kläger 1.758,75 DM.

Mitte 1998 verlangte der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrags und den Ersatz weitergehender Schäden unter dem Gesichtspunkt des § 463 BGB a.F. Seiner auf Zahlung von zunächst 356.477,04 DM nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückübertragung des Wohnungseigentums, gerichteten Klage hat das Landgericht in Höhe von 313.296,09 DM nebst Zinsen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat den zu zahlenden Betrag auf 334.719,13 DM nebst Zinsen erhöht. Auf die Revision des Beklagten, der damit seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgte, wurde das Urteil des Oberlandesgerichts im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden war. In diesem Umfang wurde die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht hält die Klage – ohne die Norm allerdings ausdrücklich zu nennen – unter dem Gesichtspunkt des § 463 Satz 1 BGB a.F. für begründet. Es meint, der Beklagte habe „arglistig … zugesichert, dass ihm keine versteckten Mängel des Gebäudes bekannt seien und dass er keine ihm bekannten Mängel … verschwiegen habe“. Diese Zusicherung sei falsch, da sich der Beklagte jedenfalls so behandeln lassen müsse, als sei ihm bekannt gewesen, „dass sich wegen der Durchwurzelung des Untergrundes des Hausanwesens L-Straße Nr. 62 eine erhöhte Gefahr von Setzungen des Bodens und damit eine Gefahr von Entstehen von Schäden an Gebäudebestandteilen … des Gemeinschaftseigentums bekannt gewesen seien“ (gemeint ist wohl: dass eine solche Gefahr bestanden habe).

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Die Annahme, der Beklagte hafte wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft (§ 463 Satz 1 BGB a.F.), ist verfehlt. Die Versicherung in dem notariellen Vertrag, keine versteckten Mängel zu kennen und keine bekannten Mängel zu verschweigen, stellt keine Zusicherung einer Eigenschaft der Kaufsache dar (Senat, Urt. v. 09.11.1990 – V ZR 194/89, NJW 1991, 1181, 1182; Urt. v. 22.11.1991 – V ZR 215/90, NJW-RR 1992, 333; Urt. v. 03.03.1995 – V ZR 43/94, NJW 1995, 1549). Sie bedeutet nicht die Gewährübernahme für das Fehlen von Mängeln, sondern enthält eine Aussage zum Kenntnisstand und zur Redlichkeit des Verkäufers.

2. Soweit das Berufungsgericht von einer „arglistigen Zusicherung“ ausgeht und dadurch und durch Bezugnahme auf Ausführungen des Landgerichts zum arglistigen Verschweigen eines Mangels zum Ausdruck bringt, dass es auch die Voraussetzungen einer Haftung nach § 463 Satz 2 BGB a.F. für gegeben erachtet, ist ihm nach den bisher getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht zu folgen.

a) Die Haftung nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Beklagte einen zum Zeitpunkt des Kaufs vorhandenen Fehler der Kaufsache arglistig verschwiegen hat. Als Fehler sieht das Berufungsgericht „die konkrete Gefahr des Eintritts erheblicher Schäden“ an dem Haus an, zu dem die gekaufte Eigentumswohnung gehört. Das ist im Ansatz nicht zu beanstanden. Dass eine solche konkrete Gefahr bestand, hat das Berufungsgericht aber – wie die Revision zu Recht rügt – nicht fehlerfrei festgestellt. Soweit es pauschal auf die Aussage des Zeugen Dr. S und ein Gutachten des Sachverständigen Dr. H (im Urteil: Dr. L ) verweist, ist dem nicht zu entnehmen, worin es die konkrete Gefahr sieht. Ohnehin liegt ein Sachverständigengutachten Dr. H nicht vor. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens, die zunächst vom Landgericht angeordnet worden war, ist nämlich nicht durchgeführt worden. Der Sachverständige hat in einem vorbereitenden Schreiben lediglich eine knappe Bemerkung zum Zustand des Gebäudes gemacht, die indes keine konkreten Angaben zur Gefahrensituation zum Zeitpunkt des Kaufvertrags enthalten. Die Aussage des Zeugen Dr. S lässt ebenfalls nicht erkennen, dass im Mai 1996 die konkrete Gefahr eines erheblichen Schadenseintritts bestand. Der Zeuge hat lediglich über Austrocknungserscheinungen berichtet, die auf das Vorhandensein vitaler Wurzeln zurückzuführen seien und die – wie er auch in seinem Schreiben vom 22.04.1996 zum Ausdruck gebracht hat – zu Setzungen und Rissbildungen führen können. Von einer konkreten Gefahr des Eintritts erheblicher Schäden ist nicht die Rede.

Darauf deutet auch nicht die weitere Entwicklung hin. Die Schäden, die 1997 eingetreten sind, hatten eine andere Ursache, von deren Vorhandensein im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht ausgegangen werden kann, jedenfalls die Parteien nicht ausgehen konnten. Rückschlüsse auf den vom Berufungsgericht angenommenen Fehler bei Vertragsschluss lassen sich daraus nur bedingt ziehen. Verwertbare Aussagen eines Sachverständigen liegen hierzu nicht vor. Zudem konnte das Berufungsgericht zu seiner Einschätzung nicht gelangen, ohne dem unter Beweis gestellten Vortrag des Beklagten nachzugehen, dass es sich bei den aufgetretenen Rissen um Setzungsrisse handele, die bei einem etwa hundert Jahre alten Haus – wie hier – normal seien und keine wesentliche Beeinträchtigung darstellten.

b) Unterstellt man das Vorhandensein einer konkreten Gefahr für den Eintritt erheblicher Schäden, so ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe diesen Fehler arglistig verschwiegen, nicht frei von Rechtsfehlern. Ein arglistiges Verschweigen setzt voraus, dass der Verkäufer den Fehler kennt oder ihn zumindest für möglich hält und zugleich weiß oder doch damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (st. Rspr. des Senats, vgl. nur Urt. v. 10.06.1983 – V ZR 292/81, WM 1983, 990; Urt. v. 20.03.1987 – V ZR 27/86, NJW 1987, 2511; Urt. v. 07.07.1989 – V ZR 21/88, NJW 1989, 42). Dass der Beklagte den Fehler gekannt oder ihn wenigstens für möglich gehalten hat, stellt das Berufungsgericht nicht fest. Soweit es davon ausgeht, dass diese Erkenntnis aus dem Schreiben des Zeugen Dr. S vom 22.04.1996 habe gewonnen werden können, und soweit es meint, der Beklagte habe nicht schlüssig dargelegt und auch keinen ihm obliegenden Beweis dafür angeboten, dass ihm im Zeitpunkt des Kaufs dieses Schreiben nicht bekannt gewesen sei, verkennt es – wie die Revision zu Recht rügt – die Darlegungs- und Beweislast. Die die Arglist des Verkäufers begründenden Umstände muss der Käufer beweisen, nicht muss sie der Verkäufer ausräumen (Senat, Urt. v. 21.02.1992 – V ZR 268/90, BGHZ 117, 260, 263; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, 2. Aufl., § 463 BGB a.F. Rn. 5 m. w. Nachw.).

Soweit die Revisionserwiderung meint, der Beklagte habe sich nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung (§ 166 I BGB entsprechend) eine etwaige Kenntnis seines Architekten K, den er mit umfassenden Vollmachten ausgestattet habe, zurechnen zu lassen, ist ihr nicht zu folgen. Die Voraussetzungen für eine Wissenszurechnung liegen nicht vor (vgl. Senat, Urt. v. 24.01.1992 – V ZR 262/90, BGHZ 117, 104, 106 f.). Unabhängig davon, welche Vollmachten K hatte, war er jedenfalls nicht von dem Beklagten als Verhandlungsführer oder Verhandlungsgehilfe in die Vertragsverhandlungen mit dem Kläger eingeschaltet worden. Insoweit war er lediglich im Innenverhältnis für den Beklagten beratend tätig, was eine (entsprechende) Anwendung des § 166 I BGB ausschließt (Senat aaO m.w.N.).

Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe sich jedenfalls der Kenntnis bewusst verschlossen, hält ebenfalls einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

Die Rechtsprechung des BGH hat ein bewusstes Sichverschließen der Kenntnis dann gleichgestellt, wenn es um rechtliche Bewertungen von Tatsachen geht. So erfordert die Kenntnis davon, nicht zum Besitz berechtigt zu sein (§ 990 I 2 BGB) oder etwas rechtsgrundlos empfangen zu haben (§ 819 I BGB), nicht nur ein Kennen der tatsächlichen Umstände, aus denen auf die Nichtberechtigung zu schließen ist, sondern auch die Kenntnis dieser Rechtsfolge selbst (für § 819 I BGB: BGH, Urt. v. 17.06.1992 – XII ZR 119/91, BGHZ 118, 383, 392 m. w. Nachw.; für § 990 I 2 BGB: vgl. BGH, Urt. v. 25.02.1960 – II ZR 125/58, BGHZ 32, 76, 92). Die Kenntnis der Tatsachen ist stets nötig und kann nicht durch wertende Überlegungen ersetzt werden (vgl. auch Martinek, JZ 1996, 1099, 1100, 1102 f.; Schreiber, JuS 1977, 230, 231). Nur hinsichtlich des Schlusses von der Tatsachenkenntnis auf die Einschätzung der Rechtslage, den Mangel des rechtlichen Grundes (§ 819 I BGB) oder die fehlende Besitzberechtigung (§ 990 I 2 BGB), genügt nach der Rechtsprechung des BGH ein Weniger. Im Wege einer wertenden Betrachtung, um einerseits die Beweisschwierigkeiten des Gläubigers zu vermindern und andererseits nicht den Schuldner zu belohnen, der sich rechtsblind stellt, lässt die Rechtsprechung eine objektivierte Sicht ausreichen. Würde sich ein redlich Denkender, dem die Tatsachen bekannt sind, der zutreffenden rechtlichen Bewertung nicht verschließen, so darf auch im jeweiligen Fall angenommen werden, dass der Schuldner die Rechtsfolge kennt (Senat, Urt. v. 22.01.1958 – V ZR 27/57, BGHZ 26, 256, 260; Urt. v. 12.04.1996 – V ZR 310/94, NJW 1996, 2030, 2031; Urt. v. 12.07.1996 – V ZR 117/95, BGHZ 133, 246, 250 f.).

Um eine solche rechtliche Bewertung, um einen Schluss von bekannten Tatsachen auf eine bestimmte rechtliche Einordnung, geht es bei § 463 Satz 2 BGB a.F. nicht. Entscheidend ist allein, ob der Beklagte die den Fehler begründenden Umstände kannte. Ob er sie zutreffend als Fehler im Sinne des Gesetzes einordnete, ist ohne Belang. Er musste nur wissen, dass die konkrete Gefahr bestand, dass das Gebäude infolge der Durchwurzelung des Bodens erheblichen Schaden nehmen könnte. Diese Kenntnis muss festgestellt werden. Sie kann nicht durch wertende Überlegungen ersetzt werden. Die Annahme, der Beklagte habe sich dieser Kenntnis „bewusst verschlossen“, ist daher verfehlt.

Unabhängig von diesen Kategorien reicht es für einen bedingten Vorsatz allerdings – wie stets – aus, dass der Verkäufer die Umstände zwar nicht positiv kennt, ihr Vorhandensein aber für möglich hält und sie nicht offenbart, obwohl er weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass die Umstände für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sind. Mit einem Sichverschließen vor der Kenntnis dieser Umstände hat das indes nichts zu tun.

III. Da ein Anspruch aus § 463 Satz 1 BGB nicht in Betracht kommt, bleibt es Sache des Tatrichters zu prüfen, ob aus den gesamten Umständen des Falles auf ein arglistiges Verhalten des Beklagten geschlossen werden kann, das zu einer Haftung nach § 463 Satz 2 BGB führt.

PDF erstellen