Art. 15 I lit. c der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass das zum Ausrichten der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers eingesetzte Mittel, das heißt eine Internetseite, nicht kausal sein muss für den Vertragsschluss mit diesem Verbraucher. Liegt eine solche Kausalität vor, ist dies allerdings ein Indiz dafür, dass der Vertrag an eine solche Tätigkeit anschließt.

EuGH (3. Kammer), Urteil vom 17.10.2013 – C-218/12 (Emrek/Sabranovic)

Das vorliegende Urteil betrifft die Auslegung von Art. 15 I lit. c der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO).

Sachverhalt: Am 13.11.2010 schloss Herr Emrek, der seinen Wohnsitz in Deutschland hat, als Verbraucher mit Herrn Sabranovic, der in Frankreich einen Gebrauchtwagenhandel betreibt, in dessen Geschäftsräumen einen schriftlichen Kaufvertrag über einen Gebrauchtwagen.

Zu dem genannten Zeitpunkt unterhielt Herr Sabranovic eine Internetseite mit näheren Angaben zu seinem Unternehmen, auf der er unter anderem – jeweils mit internationaler Vorwahl – eine französische Telefonnummern und eine deutsche Mobilfunknummer nannte. Herr Emrek, der auf der Suche nach einem Gebrauchtwagen war, hatte allerdings nicht über diese Internetseite, sondern durch Bekannte von der Möglchkeit erfahren, bei Herrn Sabranovic ein Fahrzeug zu erwerben.

Mit einer nach Abschluss des Kaufvertrags beim AG Saarbrücken (Deutschland) erhobenen Klage machte Herr Emrek Ansprüche aus Gewährleistungsrecht gegenüber Herrn Sabranovic geltend. Er vertrat die Auffassung, das AG Saarbrücken sei gemäß Art. 15 I lit. c EuGVVO für eine solche Klage international zuständig. Aus der Gestaltung der Internetseite des Herrn Sabranovic folge nämlich, dass dessen gewerbliche Tätigkeit auch auf Deutschland ausgerichtet sei.

Das AG Saarbrücken wies die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, dass Art. 15 I lit. c EuGVVO im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, da Herr Sabranovic seine gewerbliche Tätigkeit nicht im Sinne dieser Vorschrift auf Deutschland ausgerichtet habe.

Herr Emrek legte gegen diese Entscheidung beim LG Saarbrücken Berufung ein. Er machte geltend, Art. 15 I lit. c EuGVVO setze nicht voraus, dass zwischen der auf den Mitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichteten gewerblichen Tätigkeit und dem Vertragsschluss ein Kausalzusammenhang bestehe. Ebenso wenig sei es nach dieser Bestimmung erforderlich, dass der Vertrag im Fernabsatz geschlossen worden sei.

Für das Landgericht Saarbrücken steht es im Ausgangsverfahren fest, dass die gewerbliche Tätigkeit des Herrn Sabranovic auf Deutschland ausgerichtet war. Insbesondere durch die Angabe der internationalen Vorwahl für Frankreich und zudem noch einer deutschen Mobilfunknummer werde der Eindruck vermittelt, dass Herr Sabranovic auch außerhalb Frankreichs – insbesondere auch im angrenzenden Deutschland – ansässige Kunden gewinnen wolle.

Auch wenn die Anwendung von Art. 15 I lit. c EuGVVO keinen Vertragsschluss im Wege des Fernabsatzes voraussetzen sollte, ist es nach Ansicht dieses Gerichts zur Verhinderung einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung jedoch erforderlich, dass die Internetseite des Gewerbetreibenden für den konkreten Vertragsschluss mit dem Verbraucher zumindest ursächlich geworden sei. Daher sei die Bestimmung nicht anwendbar, wenn ein Verbraucher „zufällig“ einen Vertrag mit einem Unternehmer abschließe.

Das LG Saarbrücken hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof unter anderem folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Setzt Art. 15 I lit. c EuGVVO in Fällen, in denen der Internetauftritt eines Gewerbetreibenden das Merkmal des Ausrichtens erfüllt, als weiteres ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraus, dass der Verbraucher durch die vom Gewerbetreibenden betriebene Website zum Vertragsschluss motiviert wurde, dass der Internetauftritt mithin kausal sein muss für den Vertragsschluss?

Der EuGH hat diese Frage wie aus dem Leitsatz ersichtlich beantwortet.

Aus den Gründen: [19]   Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil vom 06.09.2012 (C-190/11, NJW 2012, 3225Mühlleitner/Yusufi) bereits die Antwort auf die zweite Vorlagefrage des LG Saarbrücken in der vorliegenden Rechtssache gegeben hat. Artikel 15 Ilit. c EuGVVO ist danach so auszulegen, dass er nicht verlangt, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer im Fernabsatz geschlossen wurde.

[20]   Folglich ist nur die erste Frage zu prüfen, mit der das vorlegende Gericht wissen möchte, ob Art. 15 I lit. c EuGGVO dahin auszulegen ist, dass das zum Ausrichten der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers eingesetzte Mittel, das heißt eine Internetseite, kausal sein muss für den Vertragsschluss mit diesem Verbraucher.

[21]   Hierzu ist erstens festzustellen, dass nach Art. 15 I lit. c EuGVVO die Anwendung dieser Vorschrift nicht ausdrücklich von einer solchen Kausalität abhängt.

[22]   Nach ihrem Wortlaut findet diese Bestimmung nämlich Anwendung, wenn zwei spezifische Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen ist erforderlich, dass der Gewerbetreibende seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausübt oder sie auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet. Zum anderen muss der streitige Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeiten fallen.

[23]   Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die entscheidende Voraussetzung für die Anwendung von Art. 15 I lit. c EuGVVO die auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ist (EuGH, Urt. v. 06.09.2012 – C-190/11, NJW 2012, 3225 Tz. 44 – Mühlleitner/Yusufi). Im vorliegenden Fall hält das vorlegende Gericht diese Voraussetzung für erfüllt.

[24]   Zweitens ist im Rahmen einer teleologischen Auslegung von Art. 15 I lit. c EuGVVO zu bemerken, dass die zusätzliche ungeschriebene Voraussetzung eines Kausalzusammenhangs in dem in Textziffer 20 des vorliegenden Urteils genannten Sinne dem mit dieser Bestimmung verfolgten Ziel zuwiderliefe, das im Schutz der Verbraucher besteht, die bei Verträgen mit einem Gewerbetreibenden als schwächere Vertragspartei gelten.

[25]   Wie die Europäische Kommission geltend gemacht und der Generalanwalt in Nr. 25 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, könnte nämlich das Erfordernis der vorherigen Konsultierung einer Internetseite durch den Verbraucher Beweisschwierigkeiten mit sich bringen, insbesondere wenn, wie im Ausgangsverfahren, der Vertrag nicht im Fernabsatz über diese Internetseite geschlossen worden ist. In einem solchen Fall könnten die Schwierigkeiten, die mit dem Beweis der Kausalität zwischen dem zum Ausrichten der Tätigkeit eingesetzten Mittel, das heißt einer Internetseite, und dem Vertragsschluss verbunden sind, die Verbraucher davon abhalten, die nationalen Gerichte gemäß den Art. 15 und 16 EuGVVO anzurufen, wodurch der mit diesen Vorschriften erstrebte Schutz der Verbraucher geschwächt würde.

[26]   Wie der Generalanwalt in Nr. 26 seiner Schlussanträge außerdem hervorgehoben hat, kann dieser Kausalzusammenhang allerdings, auch wenn er keine ungeschriebene Voraussetzung für die Anwendung des Art. 15 I lit. c EuGVVO ist, ein wichtiger Anhaltspunkt sein, den der nationale Richter bei der zu treffenden Feststellung, ob die Tätigkeit tatsächlich auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist, berücksichtigen kann.

[27]   Der Gerichtshof hat insoweit in Textziffer 93 und im Tenor des Urteils vom 07.12.2010 (C-585/08 und C-144/09, Slg. 2010, I-12527 – Peter Pammer/Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH/Oliver Heller) eine nicht erschöpfende Liste von Indizien aufgestellt, die einem nationalen Gericht bei der Beurteilung der Frage helfen können, ob die entscheidende Voraussetzung der auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichteten gewerblichen Tätigkeit erfüllt ist.

[28]   Darüber hinaus hat der Gerichtshof im Urteil Mühlleitner, in dem er entschieden hat, dass die Anwendung von Art. 15 I lit. c EuGVVO keinen Abschluss eines Verbrauchervertrags im Fernabsatz voraussetzt, in Textziffer 44 zu dieser nicht erschöpfenden Liste weitere Indizien für den Nachweis, dass der Vertrag an eine auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtete Tätigkeit anschließt, hinzugefügt, darunter insbesondere die „Aufnahme von Fernkontakt“ und den „Abschluss eines Verbrauchervertrags im Fernabsatz“.

[29]   Im Hinblick auf die Verhinderung einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Art. 15 I lit. c EuGVVO ist festzustellen, dass der Kausalzusammenhang, der Gegenstand der ersten Vorlagefrage ist, ebenso wie die Aufnahme von Fernkontakt, die dazu führt, dass der Verbraucher im Fernabsatz eine vertragliche Bindung eingeht, als Indiz für eine „ausgerichtete Tätigkeit“ anzusehen ist.

[30]   Wie der Generalanwalt in den Nrn. 33 bis 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann außerdem der Umstand, dass ein Gewerbetreibender – wie im Ausgangsverfahren – in einem Mitgliedstaat in der Nähe der Grenze zu einem anderen Mitgliedstaat, in einem sich dies- und jenseits der Grenze erstreckenden Ballungsraum ansässig ist und eine von dem anderen Mitgliedstaat zugeteilte Telefonnummer in der Weise verwendet, dass er sie seinen in diesem anderen Mitgliedstaat wohnhaften potenziellen Kunden zur Verfügung stellt, um ihnen die Kosten für ein Auslandsgespräch zu ersparen, ebenfalls ein Indiz dafür sein, dass seine Tätigkeit „auf“ diesen anderen Mitgliedstaat „ausgerichtet“ ist.

[31]   Jedenfalls hat das vorlegende Gericht, unter Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verbrauchervertrag geschlossen wurde, zu entscheiden, ob aufgrund des Vorliegens oder Nichtvorliegens von Indizien – unabhängig davon, ob sie auf der nicht erschöpfenden Liste stehen, wie sie der Gerichtshof in der in den Textziffern 27 und 28 des vorliegenden Urteils erwähnten Rechtsprechung erstellt hat – Art. 15 I lit. c EuGVVO anwendbar ist.

[32]   Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 15 I lit. c der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass das zum Ausrichten der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers eingesetzte Mittel, das heißt eine Internetseite, nicht kausal sein muss für den Vertragsschluss mit diesem Verbraucher. Liegt eine solche Kausalität vor, ist dies allerdings ein Indiz dafür, dass der Vertrag an eine solche Tätigkeit anschließt …

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